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Ausgabe:

1979

Spalte:

926-927

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Kirchliche und nichtkirchliche Religiosität 1979

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 12

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der genuin theologischen Dimensionen" bei Hiltner kritisierte gtomswissenschaftl icher Grundlage, 1. Bd. 1918,313-393). Der Auf-

(a. a. 0.108), stellte immerhin auch Riess bei ihm die Tendenz fest, weis, daß Theologie nicht ein System lebensferner Wahrheiten bie-

..den Akt der Verkündigung in die seelsorgerliche Beziehung aufzu- tet, sondern dynamische Prozesse der gegenwärtigen sozialen und

lösen" (Seelsorge, 241). Die deutsche Veröffentlichung gerade die- psychischen Wirklichkeit widerspiegelt und analysiert, muß immer

ses Titels soll nun wohl die Gelegenheit geben, die erwähnte Kritik wieder neu erbracht werden, und dafür gibt uns diese Veröffent-

zu überprüfen oder zu korrigieren. Um den persönlichen Eindruck lichung eines Seelsorgers hilfreiche Beispiele.

sogleich vorwegzunehmen: Ich empfinde den Inhalt zwar nicht als Ernst-Rüdigor Klesow
besonders überraschend, muß aber die hier behandelten Themen
und die Argumentation durchaus als theologisch bezeichnen.

Welche Auffassung von Theologie Hiltner vertritt und wie er das
Anliegen dieses Buches verstanden wissen will, hat er im letzten ßertsch, Ludwig, u. Felix Schlösser [Hrsg.]: Kirchliche und nichtKapitel
(„Zur Dynamik der Theologie", 150-165) selber expliziert. kirchliche Religiosität. Pastoraltheologische Perspektiven zum
Er geht von der (Tiefen-)Psychologie und den modernen Sozial- problom der Distanzicrung von der Kirche. Freiburg - Basel -
Wissenschaften aus, die die Probleme um Spannungen und Gleich- Wien: Herder [1978|. II. 124 S. 8° = Quaestiones Disputatae,
gewicht zwischen Gruppen und Einzelperson zum Gegenstand ha- 81 Kart- j)>f 19,80.
ben. und will nun in den klassischen Themen der Theologie eine

ähnlich wirkende interpersonale oder intrapersonale Dynamik auf- Der Band enthält Beiträge zum Kongreß der deutschsprachigen
weisen. Theologie ist für ihn „eine treibende Kraft, die dm Glau- katholischen Pastoraltheologen im Januar 1978 in Wien,
ben und die Religion in Verbindung mit den sich wandelnden so- Kaufmann (11-48) kritisiert als Soziologe (wie Zerfaß als Prak-
zialen und personalen Prozessen des Lebens hält" (154); sie zeigt tischer Thoologe) das Pastoralmodell der konzentrischen Kreise,
sich als „Ausdrucksform des Glaubens", als „kritische Forschung" Danach legen sich um das Zentrum Christus die Kreise der Hierund
als „Anleitung zum Leben". Gerade der letztgenannten Funk- archie, des Klerus, der Kerngemeine, dei Gruppen und Verbände,
tion weiß sich Hiltner in seiner Pastoralpsychologie besonders ver- und schließlich der kirchendistanzierten Religiosität. Dieses ahisto-
pfliohtet, weswegen er diese auch - ebenso wie die Ethik - als eine rische Modell übersieht die Möglichkeit von Teilidentifik itionen
genuin theologische Disziplin versteht. ebenso wie das Faktum der Konfessionen. Kritisch beurteilt Kauf.

Die Uberschriften der einzelnen Kapitel (vom letzten war bereits mann ferner die Ausweitung des Religionsbegriffs. Empirisch sei

die Rede) charakterisieren in ihrer jeweiligen dialektischen Span- außerk.rchl.che Cl.r.s hchke, kaumi nachweisbar, wohl aber die

nung schon die Haupt intention des Vf., nämlich durch die Analyse Ex.stenz unterschiedlicherJe, Identifikationen. Kaufmann beob-

faditioneller theologischer Probleme aktuelle Glaubens- und Le- »chtet eure zentral ist.sehe Tendenz und damit eine Minderung der

benshüfe m vermitteln: 1. Freiheit und Schicksal, 2. Gnade und Tradierungschancen. denn „die Trad.en.ng von Sinngehalten setzt

Dankbarkeit, 3. Vorsehung und Vertrauen. 4. Sünde und Krank- aus soziologischer Sicht pönalisierte soziale Beziehungen vor-

heit, 5. Ki.che und Gemeinschaft, 6. Sexualität und Liebe, 7. Der aus" (44). Die Kirche braucht eine reiche Vielfalt chr.sthcher Iden-

Tod und der Mut, 8. Wort und Sakrament. tifiz.erungsangebote. 1 .efgreifende V eranderungen des .nstitutio-

Als Beispiel dafür, wie der Vf. mit seinen Themen etwa umgeht, nellen Selbstverstandn.sse« und der k.rchhchen Organ.sat.on sind

sei das 2. Kap. genannt: Bei „Vorsehung und Vertrauen" wird die deshalb nötig __ _________ . „ _

..Tiefendimension" sowohl in der geschichtlichen Entwicklung der Lehmann (49-69) geht in seinen systematischen Reflexionen

ealvinistischen Lehre von der Prädestination und in bestimmten davon aus, daß die natürliche Spannung zwischen Geist und Orga-

hjLi:u„, . •____■ „„.„hnWiseher Hin- nisation sich verschal lt hat. so daß eine von kirchlichen Strukturen

oiolischen Aussagen angegangen wie auch in psychoiogiscner nm . . „_, . • ,

«icht. Xeben den Hinweisen auf Calvin, Barth und Bonhoeffer, de- .sol.erte Religiosität freigesetzt wurde. Zugleich erwache in der
nen sich Hiltner in wesentlichen Punkten anschließt, wird Bezug neuen d'e alU' Überzeugung wieder, „daß der Mensch
genommen auf R. Spitz, Anna Freud und Krikson. Wie Vertrauen die letzte Erfu hing seines Labe.» ...cht in. IWeich des Geschatteter
psychosozialem Aspekt entsteht und welche Gründe es nach nen . . .findet (54. Hinzu kommt die neu aulgebrochene Sinn-
Meinung der Theologie gibt, auf Gottes Vorsehung zu vertrauen, frage, die aber nicht von selbst zu. Religiosität fuhrt. Die „neue
«las wird hier in eine ganz einleuchtende Beziehung zueinander ge- Religiosität ka.m e.nm Ruclda 1 in atavist isehe Zonen bedeuten
setzt. Die „Macht" der Eltern, die ihre Kinder in jeder Hinsicht -Am Beispiel der Mys ,k erörtert U-hmann (,e,nc,nsamke„en und

nriij ... .. . , . , , „• ^^„„r, Tirntilematische Differenzen im Verhältnis von kirchlicher und uußerkirc Ii icher

prädestinieren wollen, erweist sich als eine ebenso probiemanscni

und begrenzte wie die eines allmächtigen Gottes, der seinen Ge- Religiosität, Abschließend erläutert er Kriterien für d.e Beurte.-
sehöpfen keine Freiheit ließe. Gott hat aber seinen Machtgebrauch lu"j ^^'^h"}^^' Tl . ,
durch Liebe und Güte begrenzt. Vorsehung heißt für Hiltnernicht, Mette 70-87)setzt s.ch mit der Ihese auseinander Religion se.
daß Gott im voraus über Himmel und Hölle für den einzelnen ent- Hilfe zur Bewältigung; von Kontingenten, Risiken und Krisen. Sie
schiede, sondern daß er „bereit ist, uns genau da zu helfen, wo wir gerat damit wie d.e Kontingenzen selber in eine marginale Ex-
unfähig sind, uns selbst zu helfen" (64). „Wir tun gut daran, Gottes Stenz. Daß ein erhebliche 1M des kirchlichen Handelns immer m
Vorsehung a s die Möglichkeit zu verstehen, die die Entscheidun- Krisenhilfen bestand darf nicht zu eurer solchen Reduktion fuhren,

„ , * , s„ , zumal daraus die Gefahr der Pnvatisienmg folgt. Pastorales Hangen
desMenschen zum Guten lenkt. (M) ^ ^ ^ ^ prwdg univcrsa]eI. SolidllI.itat anleiten

einander wobei er mitunter auch sehr kritisch zu überholten Posi- er von den. Grundkonti.kt zw.schen. Auftrag und Anspruch der
tiönen sie lung im S wendet er sich etwa im 7. Kap. gegen Kirche einerseits, Erwartungen bzw. Verweigerungen der Men-
nen Stellung nimmt. OB "« nostmortalen Zustand und sehen andererseits ausgeht. Der pastorale Auftrag wird als Hilfe
^ift'Crmf T IT" M Tum Sein Jade ange ichts des Todes zur Identitätsbildung, d. h. als partnerschaftliche Hilfe bei der
g e.ft auf1 illichs Mut zun. bte* de„noch nicht, Suche nach einem sinnvollen, geglückten Leben beschrieben. Die

1 .Mimige uoerzeugung, uau■ u tlieologischer Sicht ent- wissen" Jesu, das im Gesprächs- und I^ebenszusammenhang der

prunghehen Sinn in sich trag *heolog n ^ j uud im ge8e„8chaftlichen Engagement wirksam

spring der Mut dem neuen So bat u« Je»» Lh ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^

Bedrohung in der .Nachfolge Jesu ^I^W«^^ er nocU fragmentarisch. Wer bereit ist, sich darüber selbstkritisch Rechen-

eurem Junger Jesu gehören mag - er we.ß jedentaf ^ ^ ^ ^ ^ ^ .christlich-kirchlichen'

ni°r. VVT'11 ' • ^ti^lieh geschrieben und wendet sich Lebenswissen nach Möglichkeit zu reduzieren", kann „Heimat -

^f0^^^6^«^^,0^^^^^ sind, um recht in der Kirche beanspruchen" (105).

bewußt an diejenigen, die nicht theologiscne rawi™ „,,,,,_ 10.. , ,>. „

ilu.cn die lebendige Bedeutung der christlichen Grundüberzeugun- Zerfaß (107-124) umreiß abschließend Konsequenzen für die

gen EU interpretieren Es erinnert etwas an den Versuch, den vor theolog.sche Ausbildung. Z.el ist, „als Erwachsener mit erwaehse-

Lchs Jahrzehnten Friedrieh Niobergall mit seiner „praktischen nen Menschen umgeheir zu kö.me... Dazu sind wechselseit ige Lern-

Dog,„,t ik" gemacht hatte (in i Praktische Theologie ... auf rel- bere.tschaft, d.e 1 ahigkeit zum mundigen Umgang mit der Tradi-