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Ausgabe:

1979

Spalte:

915-916

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pieper, Josef

Titel/Untertitel:

Über den Begriff der Sünde 1979

Rezensent:

Beintker, Horst

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Seite 1

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915

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 12

916

Dieckmann, Bernhard: Die theologischen Hintergründe für Bultmanns
Bildfeindschaft (Cath 32, 1978 S. 270-298).

Eicher, Peter: Geschichte und Wort Gottes. Ein Protokoll der
Pannenbergdiskussion von 1961-1972 (Cath 32, 1978 S. 321
bis 354).

Iserloh, Erwin: Die Confessio Augustana als Anfrage an Lutheraner
und Katholiken im 16. Jahrhundert und heute (Cath 33,
1979 »S. 30-48).

Kern, Walter: Menschenrechte und christlicher Glaube (StZ 104,
1979 S. 161-172).

Koch, Traugott: Der Leib und die Natur. Zum christlichen Naturverhältnis
(NZSTh 20, 1978 S. 294-316).

Kollhaus, Wilhelm: Die Botschaft des Karl Barth. Faksimileausgabe
zum neunzigjährigen Bestehen des Verlages. Neukirchen-
Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins 1978. IV,
80 S. 8°. Kart. DM 10,-.

Loades, A. L.: Analogy, and the Indictment of the Deity: Some
Interrelated Themes (StTh 33, 1979 S. 25-43).

Müller, Martin: Hoffnung im Sterben (ZdZ 32, 1978 S. 454-460).

Schneider, Gunda: Überlegungen zur Identität des Sünders
(NZSTh 20, 1978 S. 237-252).

Simian-Yofre, Horacio: Die Theologie der Befreiung und ihre
bibeltheologischen Voraussetzungen (StZ 103, 1978 8. 807-818).

Wachinger, Lorenz: Vergessene Themen der Theologie. Leben und
Werk Joseph Bernharts (StZ 104, 1979 S. 478-488).

Walter, Nikolaus: Ewiges Leben - und unser Tod (ZdZ 32. 1978
S. 444-453).

Wolfinger. Franz: Leiden als theologisches Problem (Cath 32. 1978
S. 242-266).

Systematische Theologie: Dogmatik

Pieper, Josef: Über den Begriff der Sünde. München: Kösel-Verlag
[1977]. 136 S. 8°. Kart. DM 14,80.

Wer über hundertfünfzig Jahre Theologie nachdenkt, bemerkt,
wie schwankend die Lehre von der Sünde darin oft beurteilt wird.
Tholuck und Julius Müller haben sie ganz entschieden vertreten,
ihre radikale Natur hat Kierkegaard bezeugt. Viel Einfluß bekamen
sie gegen die Schleierma chersehe Deutung der Sünde als,,Hemmung
des Gottesbewußtseins durch das sinnliche Welt- und Selbstbewußtsein
" jedoch nicht. Was Wunder, daß in unserer Zeit unter
neuen aufklärerischen Tendenzen die „Sünde" entweder „ein
nicht-gebrauchtes Wort" ist oder „versuchsweise humoristisch"
(Thomas Mann) gebraucht wird! Daran knüpft der em. Prof. für
Philosophische Anthropologie J. Pieper in Münster an. wenn er in
seinem essayartigen, tiefgründigen Beitrag ähnlich den zuvor
genannten protestantischen Autoren des vorigen Jahrhunderts
den Begriff der Sünde nun ganz ernsthaft reflektiert.

Es gelingt ihm dabei überraschend, die alten Meister des philosophischen
und theologischen Denkens Piaton, Augustin. Thomas
von Aquin mit den Autoren T. S. Eliot, Andre Gide, Dostojewski
und sogar einem Sartre für den Ernst der Sünde gleichsam verbündet
auftreten zu lassen. Dann aber korrigiert er die allgemeineren
Versuche einer Definition doch: „Obwohl etwas durchaus Zutreffendes
sagt, wer von der sittlichen Verfehlung behauptet, sie
beruhe auf Unordnung und bewirke Ungeordnetheit; sie sei ferner
etwas Naturwidriges, ein Hindernis für die Realisierung des mit
dem Menschen entwurfhaft Gemeinten; sie sei endlich ein Akt oder
eine Unterlassung gegen die eigene Vernunfteinsicht, wider das
bessere Wissen und also gegen das Gewissen - er hat dennoch mit
alledem nur uneigentliche Kennzeichnungen ausgesprochen.
Zwar verfehlen sie nicht die Sache, von der sie reden; aber das Entscheidende
und Unterscheidende der Sünde, daß sie nämlich ein
letztlich gegen Gott gerichteter Akt sei, bleibt noch immer unbenannt
. Jene uneigentlichen und sozusagen provisorischen Namen
können zwar ohne Schaden verwendet werden, solange man sie
nicht als endgültige, völlig adäquate Bezeichnungen versteht. Doch
werden sie in dem gleichen Augenblick, in dem man das tut, über
die bloße Uneigentlichkeit hinaus, falsch" (63).

Beeindruckend und - wie ich meine - für ein allgemeineres
Verstehen nützlich, betont Pieper nach diesem Rückblick auf
das Erarbeitete seiner ersten drei Kapitel, es zeichne sich allerdings

„wie schon deutlich geworden sein mag, der wahre Charakter der
Sünde bereits auf dem Grunde auch ihrer uneigentlichen Kenn
Zeichnungen als etwas mindestens Ahnbares ab" (ebd.). Das wird
dann etwas ausführlicher mit Rückgriff auf Thomas bei Sartre und
Piaton sowie Aristoteles erwiesen. Es zeigt sich, daß „der eigentliche
Name" der Sünde, nämlich ihr „Charakter der Gottwidrigkeit
nicht sozusagen .von außen', rein von der Theologie her. dem
menschlichen Verschulden zugesprochen wird" (68). Vielmehr sei
in Ordnungs-, Natur- und Vernunftwidrigkeit, „jenen drei, für das
durchschnittliche Denken offenbar zunächst plausibleren Kennzeichnungen
", der „Verstoß gegen Gott . . . bereits mitgedacht
und das im Grunde wahrhaft Gemeinte" (ebd.).

Ob diese Argumentation unwidersprochen bleibt, sei dahingestellt
. Für eine wetterfeste Apologetik ist gewiß keine Lanze zu
brechen, aber als Beispiel für einen keinesfalls unevangelischen
Ansatz fundamentaltheologischer Arbeitsmethoden sollten wir
Pieper annehmen, wenn freilich das sonst Dargelegte auch meist
katholische Tradition aus Thomas ist. Selbst die Sartresche Hölle
in der „geschlossenen Gesellschaft" (Huis clos) muß neben Andre
Gides Tagebüchern helfen, damit „die überlieferte Weisheit, wonach
für den Menschen die Hölle" - als „Endgültigkeit der Strafe"
(114) - „darin besteht, daß seine Weigerung zu lieben, die in der
tödlichen Sünde als endgültige Entscheidung gemeint ist. beim
Wort genommen und unwiderruflich ,wahr gemacht' wird" (Höf),
für Pieper als „bestätigt" dasteht.

Hier, aber auch schon bei der .erinnernden Energie", mit der
Pieper „das seit je Gewußte oder doch Geahnte" in die Denkweise
und Sprache unserer Tage zurückholt, gibt es Fragen. Unbestritten
ist Pieper „ein ausgewiesener Meister in dieser Kunst, die .Weisheit
der Alten' lebendig zu machen" (3). Bleibt es letztlich nicht
aber mehr restaurativ als reproduktiv, wenn über eine Unterscheidung
peccata mortaliajpeccata venialia zwar viel Geistvolles aufgeführt
, aber doch nur Thomas bestätigt und die Sache als dogmatisch
entschieden hingestellt wird?! Oder wäre Luthers biblisch
gegründeter Neuansatz - auch in der Hamartiologie und Anthropologie
- nicht zu erinnern (von dem kein Wort gehört wird, wenn
auch um der Modernität willen Martin Luther King angeführt ist) ?

Mit dem radikaleren reformatorischen Verständnis von Sünde zu
argumentieren, würde sachlich und seelsorgerlieh unseres Erachtens
heute angemessener sein. Paulus und Luther begriffen die Sünde -
und zwar alle Sünden ohne die Abschwächung in „läßlich" (oder
„nicht läßlich") - in ihrer sowohl tödlichen Wirkung (wenn sie im
Zeichen des Gesetzes steht) als auch nach der Seite ihrer möglichen
Heilung (wenn sie durch den Glauben an Christus entmächtigt ist).
Denn dann ist durch den Glauben an Christi versöhnende Tat die
Macht der Sünde gebrochen und die Sündenstrafe erlassen. In
dem vorliegenden Traktat über die Sünde gibt es aber Partien, wo
man von Luthers Erfahrungbericht mit dem Bußsakrament her an
die Verzweiflung denkt, die letztlieh nicht nur den Mönch macht,
sondern Satan über die ewige Seele Gewalt gewinnen läßt. Unsere
Schwachheit wäre m. E. immer „tödlich", wenn nicht Christus
und der Glaube an ihn siegreich ist. - Zwei Mißverständnisse bei
Pieper zum Schluß: Es ist etwas verwunderlich, warum Moltmann
sich nicht von Garaudy „interpretiert" finden soll in dem „durch
die Gnade Christi gewirkten Befreitsein des Menschen von seiner
eigenen Natur" (54). Tst es so grundsätzlich anders, wenn Pieper
sich bzw. die christliche Lehre der Sünde von ungläubigen Philosophen
bestätigt findet, auch wo diese verbal nicht akklamieren?
Freilich ist Moltmanns Hinweis auf den Ex-nihilo-Beginn jeder
christlichen Existenz mehr als fraglich, aber wohl diskussionspointiert
gemeint gewesen (vgl. ebd.). Widersprüchlich erscheint
mir sodann Piepers etwas gepreßte Interpretation Kierkegaards
zum Unverständnis der Sünde abseits vom Glauben (66). Die
Kritik macht Piepers Anfälligkeit für natürliche Theologie sichtbar
. Oder darf er doch so verstanden werden, daß „eigentlich"
eben doch nur - und auch da ganz unvollständig - die Sünde begriffen
wird, wo sie vergeben und die Vergebung im Glauben angenommen
worden ist? Denn darüber läßt „allerdings", wie der Verlagslektor
S. 3 voranschickt, von allen Zeugen Piepers keiner
„einen Zweifel zu: daß die willentliche Verneinung des eigenen
Lebensgrundes, die wir, genaugenommen, allein mit dem Namen
.Sünde' meinen, ein 11naufhellbares Geheimnis ist".

Jena Hörnt licintker