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Ausgabe:

1979

Spalte:

913-914

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dantine, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Versöhnung 1979

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 12

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wünschenswerter Klarheit, Dabei sind Passagen der Würdigung deren tragfähige Fundamente" herausarbeiten (ebd.). Das ist

nicht zu ubersehen (z. B. 9 15. 23 1(54). Scharfe Abgrenzung bildet allenfalls die Beschreibung des Inhalts. Eine weitere Zurücknahme

den Tenor. In der Einführung (7-29) etwa, die den Titel „Paul erfolgt sofort: „Die Vollständigkeit einer wissenschaftlichen Mono-

Tilliehs Weg vom religiösen Sozialismus zum weltanschaulichen graphie ist" durch diese Vorlesung vor Hörem aller Fakultäten

Antikommunismus" trägt heißt es am Schluß: „Wir wären - im 19(17/77 in Wien ..nicht beansprucht" (ebd.).

Gegensatz zu Rhein und anderen Interpreten - eher geneigt zu Was wird also geboten? Das Büchlein gliedert sich in eine Em-
meinen, daß derselbe Tillich dem in jungen Jahren die Leiden des leitung und vier Teile. In der Einleitung wird ein „provisorischer
Proletariats noch ein permanentes Schuldbewußtsein verursach- Raster" (llff) vorgestellt, der die Linien des Versölmungsgedan-
ten. im Verfolg des eigenen weltanschaulichen Ansatzes nicht nur kens orten helfen und ein besseres Umgehen und Verstehen ermog-
eben dieses Proletariat verraten, sondern auch das Proprium des liehen soll: der spezifisch soteriologische Aspekt (Versöhnung im-
von ihm verbal bekannten christlichen Glaubens aufgegeben hat" pliziert Heil und Rettung), der kosmische Aspekt (es geht auch um
(29). Als jemand, der T.s Theologie mehr und mehr kritisch gegen- Heil und Rettung des .Kosmos') und der zwischenmenschliche
übersteht, dabei meint, auch dessen Verwurzelung in bürgerlichen Aspekt (sowohl die Dimension des ,Ich-Du' als auch die des .Ich-
Positionen, z. B. im rein theoretischen Marxismus-Verständ- Wir', d. h. die personalen und die gesellschaftlichen Beziehungen
nis, nicht übersehen zu sollen und die rein phänomenologische bedürfen der Versöhnung). Dieser Raster taucht als methodisches
Literatur über T. unbefriedigend findet, möchte ich zu dieser (und Element immer wieder auf. Vor allem weist er auf eine Frage hm.
vergleichbaren Aussagen) feststellen: So simpel scheint mir selbst die der Vf. durch die Feststellung der „Gleichwertigkeit oder
das nicht bei T. auflösbar zu sein. Wie soll ein Mann verraten Gleichrangigkeit und die Zusammengehörigkeit ohristologischer
können, was ihm u.a. aufgrund seiner Herkunft verschlossen und ethischer Wahrheit" (13) vorbereitet: „Welche Grunde und
blieb und er nur von ferne in seiner Bedeutung ahnte - freilich Hintergründe hat es gegeben, daß dieses anfanglieh stark vorhan-
intensiver als die meisten Standes- und Fachgenossen? Hier man- dene Potential an Versöhnungswissen für die Vorstellungen vieler
gelt es den Feststellungen an politischen Distinktionen. Daß T. Christen und Nichtchristen heute so relativ magere Fruchte getra-
Christ war und blieb, ist so sicher, wie das simul iustus et peccator gen hat?" (14).

«»oh für ihn zutrifft falls jemand das Zitat anders verstehen sollte. Im Anschluß an G. Aulen werden die '1 ypen des Versohnungs-

An der Kritik der T sehen Behauptung der Koinzidenz von gedankens vorgeführt (der Vf. des Abrisses der Dogmatik. Guters-
SchöpfunR und Fall (114 vgl 55-58) erweist sich einmal mehr, daß loh 1975. heißt Horst-Georg Pöhlmann. zu S. 15 Anm. l)undan-
es schwierig ist, mit jemanden zu disputieren, der von ganz anderen gefragt. Dogmen- und theologiegeschichtliche Konzeptionen pas-
Prinzipien ausgeht Das ist eine der Schwierigkeiten, die der Leser sieren Revue. Das Ergebnis ist, von noch zu benennenden Ausnahmt
der Einschätzung T s durch die Autorin hat - eine Brücke des men abgesehen, in toto negativer Natur. So interessant die syste-
Verständnisses kann auch nicht durch die gelegentliche Verwen- matische Aufbereitung der „Schwerpunkte seines [sc. des Versoh-
<bmg des Urteils „unwissenschaftlich" (z. B. (58. 104) geschlagen nungsgedankensl Schicksals" (39-51) ist. so wenig vermag sie zu-
WWden, so sehr es im Einzelfall lohnen könnte, dieses Urteil im friedenstellen, weil hier die notwendige Kurze der Vorlesung zur
Interesse des Abbaus von Postamenten zu verifizieren. Verkürzung in der Sache geführt hat, Je länger je mehr fragt man

Es ist zu befürchten daß dieses Buch wirkungslos bleibt. Die sich bei geschichtlichen Darstellungen d.eser Art, ob so noch verLektüre
von T kann und will es nämlich nicht ersetzen. Insofern fahren werden kann. Man kann nicht die Entwicklung einer theoeignet
es sich nicht als Einführung anstelle des Originals. Die T.- logischen Kategorie zu dem Zweck darlegen, daß s.e dann Überkenner
aber könnten m E in die Gefahr geraten, sich nun ihrer- Sprüngen werden darf, weil sie aus der Sicht heutiger Situation
seits von den eigenen Voraussetzungen her gar nicht erst auf das falsifizierbar ist, Es entsteht dann ein „Positivismus" des UrBuch
einzulassen Das wäre bedauerlich, weil dieses Buch um die Sprungs (Teil 2) und der gegenwärtigen Erkenntnis (Teile 3 und 4).
Rezeption gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse bemüht Dabei liegt das gar nicht in der Intention des Vf.. und trotzdem
'8t. die seit langem ansteht. Insofern ist es auch ein mutiges gelangt der Leser zu diesem Eindruck. Außer auf die „großartigste
Buch theologische Konzeption in der Frage persönlicher Heilsgewißlicit

Rez. wünscht sich, daß der Band der Erstling einer publizisti- und der Heilslehre" von M. Luther (35-37) wird lediglich auf zwei

when Auseinandersetzung mit T. bei uns wäre. Innerhalb derselben Entwürfe „aufmerksam" gemacht: Jakob Böhme und Fr. Wilhelm

«ürden seine Schwächen und Stärken vergleichbar werden. Diese Hegel (39). Luther. Böhme und Hegel wären (im Sinne des Vf.)

Auseinandersetzung sollte nicht wimiger kämpferisch als dieses Seh werpunkte gewesen, die es sich intensiv (gleichsam exempla-

Buch sein Die latente Krise von Kirche und Theologie hierorts risch) zu entfalten gelohnt hätte. Aber so wird im wesentlichen eine

können wir nämlich nicht versöhnlerisch überwinden. Mängelg-schichte vorgeführt. Warum werden bei der Entfaltung

Der neuralgische Punkt der Darstellung wird m. E. getroffen. geschichtlicher Wahrheit nicht die gleichen geschichtstheologi-

wenn Vfn sehreibt daß die Ausweglosigkeit der Konzeption von sehen Einsichten angewendet, wie bei der Suche nach der bibll-

T. selbstverständlich nur erschöpfend dargestellt werden könne, sehen Wahrheit, wo die Differenziertheit der Aussagen bis heute

wem! man die sozialen und politischen Verhältnisse eingehend als gültig akzeptiert wird? Letzteres zeigt der Vf. selbst bei der

kenne in die er sich nach seiner Emigration integrieren ließ (163). Darstellung der biblischen Grundlagen für „Frieden" und „Ver-

Dieser Bezug zur politischen Empirie fehlt mir zu oft gerade da. söhnung" (Teil 2). Am meisten erfreut der Teil 3: hier wird Ver-

wo er den Hintergrund von Urteilen erklären müßte. An seiner söhnung als Schlüssel von Dogmatik in einer detaillierten Konzep-

Stelle stehen vielfach Prämissen, wie das in der theologischen tion dargestellt; freilich wird der Kürze wegen jeweils nur die

Arbeit auch sonst gang und gäbe ist. Mir ist das zu idealistisch. Problematik angesprochen. Im 4. Teil werden die Linie in die

Dadurch wird die Krise der bürgerlichen Theologie prolongiert. Ethik hin ausgezogen. Für den Rez. ist es aus seiner Situation

schwierig, hier alles nachzuvollziehen; schon die Frage nach der

"'•rlin Jen8 L,l"ser Konkretion legt Zurückhaltung auf.

Wir verdanken gerade Wilhelm üantine sehr viel und vor allein
Wegweisendes. Das ist nicht vergessen. Die hier vorgelegte Konzeption
ist reizvoll und wäre sicher wert, ausgeführter dargestellt

Dantine, Wilhelm: Versöhnung. Ein Grundmotiv christlichen zu werden, zumal die Problematik der Verknüpfung von Et hik

Glaubens und Handelns. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus und Dogmatik im allgemeinen nicht immer gelingt,

Gerd Mohn [1978]. 110 S. 8" = GTB Siebenstern 265. Kart.

DM 9.80.

Der vielversprechende und umfassend anmutende Titel läßt

- durch den Untertitel verstärkt sich die Erwartung! - auf die Beinert. Wollgang: Das Problem der Verifikation theologischer

I >ar!...nm» von Perspektiven hoffen, die Dogmatik und Ethik um- Sätze ((lath 32. 1978 S. 177 187).

schließen Dennoch darf der Erwartungsradius (mit dem Vf., 7) Biser. Eugen: Auf der Grenze zweier Welten. Zur Frage nach den

nicht zu hoch gespannt werden: die „angebotenen Überlegungen" Grenzen des Menschen und der Anthropologie (StZ 104, 1979

«ollen „unter Aufarbeitung der Geschichte der Versohnungsidee S. 209-277).

Leipzig Martin lVtzoldt