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Ausgabe:

1979

Spalte:

897-899

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Thoma, Clemens

Titel/Untertitel:

Christliche Theologie des Judentums 1979

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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897

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 12

S98

wurde. Die seit Alts Arbeit klassisch gewordene Unterscheidung Thema geworden, wiewohl christlicher Offenbarungsglaube das
von kasuistischem und apodikt ischem Recht, zieht sich auch durch Judentum niemals einfach der Welt der Religionen zuschlagen
diese Arbeit hindurch und vermittelt ein lebendiges Bild der konnte. Die aus der Geschieht« gewonnene Hinsicht in die Konti-
Probleme. Bewußt verzichtet ist auf zwei Bereiche, deren Einfluß nuität jüdischer Existenz vom Frühjudentum bis zum Israel unse-
auf das Alte Testament weniger stark war, Ägypten und das rar Tage hat das Problembewußtsein wachgerufen. Tiefgreifender
Hethiterreich. Unberücksichtigt bleibt aber auch die kultische noch erscheint die Herausforderung durch die in jüdischen und
Gesetzgebung des Alten Testaments, wie sie sich vornehmlich in christlichen Kreisen der USA verbreitete holocaust-Theologie1. die
der sogenannten Priesterschrift des Pentateuch niedergeschlagen den millionenfachen Martertod der europäischen Judenheit biblisch
liat. Unter Einbezug dieser (Stoffe wäre das Buch erheblich ange- und heilsgeschichtlich zu deuten unternimmt, aber auch harte
wachsen. Es wäre außerdem unumgänglich gewesen, leligionsge- kirchen- und christentumskritische Fragen stellt, Deren Echo, das
schichtliche Fragen und Vergleiche aufzunehmen, die von eigener uns in den gelegent lich unausgewogenen Äußerungen der Charlotte
Thematik sind und eine breitere Grundlegung erfordert hätten. Klein2 erreicht und aufgesehreckt hat, soll uns diese Aufgabe noch
Dafür ist dem Codex Hammurabi, aber auch dem Bundesbuch im dringlicher erscheinen lassen. Sie ist nun erstmalig in Angriff go-
Alten Testament (Ex 20.22-23.19 bzw. 23.33) viel Raum gegeben nommen worden von Clemens Thoma. dem in Luzern lehrenden
"nd die als Beispiele zitierten zahlreichen Text abschnitte weiden Bibelwissenschaftler und Judaisten. der zugleich Konsultor für
'in Kleindruck mitgeteilt, So wird es schnell möglich, sich an Hand jüdische Fragen beim Vatikanischen Einheitssekretariat ist, Wieder
ausgewählten Stellen ein erstes Urteil zu bilden. derum hat sich die katholische Theologie einem Gegenstand zuge-
Die brisante Frage nach Wesen und Herkunft des „apodikti- wandt, dem anderwärts im Zeichen von Existenzial- und Soziaischen
Rechts", die noch am meisten die rechtsgeschichtliche For- theologie die angemessene Beachtung versagt wurde,
schung der Alttestamentler in den letzten Jahrzehnten beschäftigt Daß dieser Versuch den Dialogpartner zu eigener Positionsbe-
hat, stellt Boecker mit Bedacht an den Schluß seines Überblicks. Stimmung zu provozieren vermag, zeigt das Vorwort von David
Er referiert ausführlich die Position Albrecht Alts, der dieBe- Flusser. dem bekannten jüdischen Jesusforscher. Unter dem Titel:
Zeichnung einführte und im Unterschied zum kasuistisch formu- Bemerkungen eines Juden zu einer christlichen Theologie des
Herten Recht ReihenbUdongen von Rechtssätzen beobachtete, die Judentums (6-32) gibt er dieser eine Weisung mit auf den Weg,
jeweils gleichen syntaktischen Formen folgen. Boecker faßtent- die in dem Satz gipfelt, daß sie sich nicht nur mit dem Glauben
sprechend neueren Untersuchungen diese Reihen in zwei Katego- Israels, sondern auch mit dem Volk Israels zu befassen habe (17).
rien zusammen und spricht von „apodiktischen Rechtssätzen in Dieser Einrede korrespondieren Grundentscheidungen, die den
der Partizipial- und Relativsatzform" (nach Alt die möt-jümat- Entwurf von Clemens Thoma nach Ansatz und Durchführung beleihe
und die 'dMlr-Reihc Dtn27) und von „apodiktischen Rechts- stimmen. Es geht ihm „um ein radikales Ei nstnehmen der Ur-
sätzen in der Prohibitivfbrm" (nach Alt die Reihe Lerv 18,7-17 Und sprungs-, Widerspruchs- und Begleitungsfunktion des Judentums
der Deltalog). Boecker tritt im Gegensatz zu heute oft vertretenen für die christliche Kirche" (43).

Auffassungen dafür ein. daß die Besonderheit dieser Reihenbildun- Eine Theologie des Judentums kann nicht ohne historische

gen samt ihren spezifischen Inhalten noch immer am besten mit Dimensionen sein. Deren Umfang erklärt sich nicht nur daraus,

dem dafür üblich gewordenen Begriff ..apodiktisches Recht" um- daß hier die weiträumigste und gründlichste Vorarbeit von jüdi-

rissen wird und darum an ihm festzuhalten sei. Zutreffend stellt er gehen und christlichen Forschem geleistet wurde. Mehr noch: kein

fest, daß „bis heute keine altorientalischen Rechtsreihen bekannt- wesentlicher Aspekt des aktuellen Judentums, der nicht mit seinen

geworden 'sind. die wie die möt-jümat-Tieihe oder die 'äri/r-Reihe Wurzeln bis in die Zeit der Anfänge zu verfolgen wäre, keine

allgemeine Rechts- und Verhaltensgrundsätze für eine Volksge- Erwägung zum Thema des gespaltenen Gottesvolkes, die nicht

meinschaft normsetzend zusammengefaßt haben" (175). Ermöchte beim frühjüdischen Wurzelboden des Neuen Testaments und der

deshalb im israelit ischen apodiktischen Recht Formen „normati- postbiblischen Synagoge anzusetzen habe, kein christlich-jüdisches

ven Rechts" im Sinne von Rechtsgrundsatz oder Rechtskonsti- Zwiegespräch, das nicht letztlich um Gestalt und Anspruch des

tuierung erkennen. Die Frage der Herkunft des apodiktischen Juden Jesus von Nazarcth kreiste. So ist denn der mittlere der drei

Rechts ist weitgehend offengelassen. Der Vf. neigt hinsichtlich der Hauptteile, der Jesus im Zusammenhang des Frühjudentums be-

Prohibitive der Auffassung E. Gerstenbergers zu, sie als „autorita- handelt, der bei weitem umfangreichste (53-211): so gehen von

tive Gebote des Sippen- und Faniilienältosten" zu deuten, diesem Zentrum die Verbindungslinien aus in die grundlegenden

Man mag es bedauern, daß über diesen oder jenen Bereich israe- Kapitel, die der (systematisch-historischen) Einführung in die

■'tischen Hechts nur kurz referiert wird, daß vor allem dem Deka- jüdisch-christliche Wirklichkeit (dem „Wesen einer christlichen

'og kein eigener Abschnitt gewidmet ist, Mehr noch muß man aber Theologie des Judentums") gewidmet sind (33-52) und in den ab-

sni vielen Stellen die Präzision bewundern, mit der oft komplizierte schließenden Teil, der das Verhältnis von Juden und Christen in

Sachverhalte in knappe Form gebracht sind und der Leser ohne der Zeit nach Christus im Zeichen des Gegeneinander. Nebenein-

Simplifikation auf engem Raum zuverlässig erfährt, was er sonst ander und Füreinander (211-269) zu begreifen sucht,

erst nach dem Studium umfangreicher Einzeluntersuchungcn ver- Das Judentum in der Zeit zwischen den Testamenten nimmt in

stehen würde. Am Ende des Buches stehen Sätze über den Charak- dieser Darstellung erstaunlich breiten Raum ein. Das mag sich aus

ter der alttestamentlichen Prohibitive von grundlegender Bedeu- dem Forschungsinteresse des aus der Schule Kurt Schuberts

tung. Verbote werden nicht aufgerichtet, um eine positive Ordnung kommenden Vf. herleiten, hat aber auch tiefere Gründe. Anders

zu gestalten, sondern um eine, vo!gegebene Ordnung zu begrenzen als in der Spätjudentumsforschung der Vorkriegszeit3 erscheint

und zu schützen Es geht. nicht darum, ein Ethos aufzurichten, das das Jüdische nicht als dunkle Folie, die vor allem dazu be-

Maxiinalford'-rungen stellt, vielmehr darum, „den von Gott ge- stimmt ist. die Strahlkraft des Urchristentums besser zum Lcueh-

währten Lebensraum ZU bewahren, dem Menschen die Grenze zu ten zu bringen. Vielmohr tritt die Vielfalt beider Seiten ins Bild,

zeigen, die diesen ihm gewährten heilvollen Lebensraum um- vor allem die Pluralität der Messianologie.

sehließt" Dabei werden auch sehr pointierte Thesen nicht gescheut, etwa

^ Siegfried Herriuann zur Herkunft der Vorstellung vom Menschensohn, „der nicht als

eine nur apokalyptische Erwartungsgestalt klassifiziert werden
kann" (94), zur priesterlichen Apokalyptik als Hintergrund der
Qumran-Theologie (104). zur Problematik des Begriffs der Pseud-
epigraphen (109). Dies führt nur scheinbar vom eigentlichen
Gegenstand des Werkes ab. denn für den Vf. ist die intertesta-

Thoma, Clemens: Christliche Theologie des Judentums. Mit einer mentarische Literatur und das in ihr enthaltene theologische

Einführuns v.D. Flusser. Aschaffenburg: Pattloch [19781. 300 S. Spektrum das gemeinsame Vorfeld von christlicher Theologie und

8° = Der Christ in der Welt. Eine Enzyklopädie. VI. Reihe Das rabbinischem Judentum und eben darum für die historische

Buch der Bücher, 4a/b. Grundlegung des jüdisch-christlichen theologischen Dialogs von

entscheidender Bedeutung.

Judaica

Theologie der Religionen ist eine längst ergriffene Aufgabe. Eine
christliche Theologie des Judentums ist offenbar erst jetzt zum Die hier fallige Frage nach dem „spezifisch Christlichen stellt