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Ausgabe:

1979

Spalte:

853-855

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dieckmann, Bernhard

Titel/Untertitel:

"Welt" und "Entweltlichung" in der Theologie Rudolf Bultmanns 1979

Rezensent:

Gräßer, Erich

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

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die geschichtlichen Bedingungsfaktoren ihrer theologischen
Aussagen erklärt. „Die Theologien Gogartens und Barths hätten
sich nicht bis zur Unvereinbarkeit auseinanderentwickeln
müssen, wäre beiden die im Gang der Neuzeit begründete
Zusammengehörigkeit ihrer zentralen Thematik sichtbar gewesen
" (395). So bleibt der Theologie die Bearbeitung des
Thcmcnkomplcxes der natürlichen Theologie unter bewußter
Durchklärung ihrer neuzeitlichen Problembezügc und unter
Berücksichtigung der in der dialektischen Theologie je unterschiedlich
gewonnenen Einsichten weiterhin aufgegeben.
Einige Hinweise dazu bietet das „Das Problem der natürlichen
Theologie und die Neuzeit" überschriebenc Nachwort (380-
396).

Der Vf. hat mit dieser materialreichen und mit stupendem
Fleiß erarbeiteten Gesamtdarstellung der dialektischen Theologie
eine imponierende Leistung vorgelegt. Der Versuch,
deren Probleme im größeren Rahmen des neuzeitlichen Denkens
zu verstehen, eröffnet neue Durchblicke und führt zu
interessanten Einsichten. Hervorgehoben sei u. a. die besonnene
Passage über Emanuel Hirsch (150-157). Freilich
scheint mir der Autor in seiner ansonsten sehr einleuchtenden
Interpretation der Theologie Barths im Horizont der Hegcl-
schen Philosophie zu weit zu gehen, wenn er Hegels Theologiekritik
als Vorformulierung des dogmatischen Program-
mes K. Barths, ja als Grundlage seines Neubaus erklärt (261).
Hier hätte man eine eingehende Analyse des Anselm-Buches
von Barth erwartet. Warum wird das Eigene der Ich-Du-Theo-
logic Gogartens im Vergleich mit F. Tönnies (90ff) und nicht
mit F. Ebner oder E. Grisebach herausgearbeitet, auf die sich
Gogarten ausdrücklich beruft? Auch bleibt zu fragen, ob die
systematische Konzentration der in der dialektischen Theologie
verhandelten Themenvielfalt auf das Problem der natürlichen
Theologie wirklich hilfreich ist. Dem Begriff wachsen
damit nach den mancherlei Erweiterungen und Modifikationen
in seiner bisherigen Geschichte nochmals eine Bedeutung und
ein Umfang zu, die zu einer Randunschärfe führen und seine
Verwendbarkeit gefährden. Die verarbeitete Stoffülle bringt
dann auch ihre spezifischen Probleme mit sich: von Fall zu
Fall wünschte man sich zur besseren Orientierung die
schärfer formulierte These, die Diktion der Argumentation ist
manchmal etwas umständlich. Diese kritischen Bemerkungen
können aber in keiner Weise den Rang dieser reichhaltigen
und grundlegenden Monographie zu einer entscheidenden
Epoche protestantischer Theologie im 20. Jh. schmälern.

An Corrigenda sei vermerkt, daß S. 136 Anm. 55 der Schluß
des Barth-Zitates verdruckt ist.

Hamburg Hermann Fischer

Systematische Theologie: Dogmatil«

Dieckmann, Bernhard: „Welt" und „Entweltlichung" in der
Theologie Rudolf Bultmanns. Zum Zusammenhang von Welt-
und Heilsverständnis. München-Paderborn-Wien: Schöningh
1977. 285 S. gr. 8° = Beiträge zur ökumenischen Theologie,
17. kart. DM 38,-.

Wem Bultmanns Theologie nicht vertraut ist, dem könnte
der Titel des Buches die Behandlung eines schmalen Sektors
daraus signalisieren. Tatsächlich aber leistet diese Münchener
katholische Dissertation aus dem Jahre 1974 nicht weniger
als eine Darstellung der hermeneutisch-theologischen Bemühungen
Rudolf Bultmanns im ganzen. Und zwar ist sie in
lockerer Anbindung an eine aktuelle Kritik seitens der sog.
politischen Theologie speziell der Versuch, „die Strukturen der
Theologie Bultmanns zu erhellen, die es verbieten, die Aufgabe
der Weltgestaltung als ein spezifisch theologisches Thema
aufzunehmen" (36). Das aber sind eben nicht nur zwei Be
griffe - Welt und Entweltlichung - , sondern das ist das ganze
der Theologie Bultmanns, die unter dieser Fragehinsicht m. E.
noch nie so einfühlsam, so glänzend disponiert, verständnisvoll
und verständlich zur Darstellung gebracht worden ist.

Ein I. Teil erhebt „Die ontologische Struktur der Existenz:
Ihre Problematik in Weltzuwendung und Geschichtlichkeit"
(43-130), ein II. Teil „Die ontische Wirklichkeit der glaubenden
Existenz: Existieren zwischen Selbstbehauptung in der
,Welt' und Selbstpreisgabe in der .Entweltlichung" (131-281).
Man sieht leicht: Vf. folgt Bultmanns methodischem Vorgehen,
wonach zunächst der Mensch vor der Offenbarung der Pistis
dargestellt wird, dann der Mensch unter der Pistis. Meist
deskriptiv und zunächst nur selten kritisch Stellung nehmend
(z. B. 49, 56, 64, 67, bes. 176f zum Begriff „Geschichtlichkeit")
kann der Vf. die Geschlossenheit, ja imponierende Einheitlichkeit
der Theologie Bultmanns deutlich machen, die überall
dem einen Ziel dient: „Die Geschichtlichkeit Gottes und seiner
Offenbarung in Jesus Christus soll radikal erfaßt werden,
damit der Mensch sich in seiner Geschichtlichkeit verstehen
kann" (173). Das bedingt einen vom Vf. gut beobachteten
„reduktive(n) Zug" (65) in Bultmanns Aussagen über Wissenschaft
, objektivierendes Denken und Weltanschauung. Inhalte,
Einzelwissenschaften, Ergebnisse interessieren nicht, weil
Bultmann allein „nach der anthropologischen Funktion" derselben
fragt (64; vgl. auch 65 und 81).

Diesem reduktiven Zug wird dann auch gerne das vermeintliche
politische Defizit in der Theologie Bultmanns angelastet.
Auf dieses sein eigentliches Thema kommt der Vf. jedoch
erst im letzten (6.) Kapitel „Glaube und Weltgestaltung" zu
sprechen (212-281). Bultmanns Position in dieser Sache ist
ebenso klar wie überzeugend: Aufgrund seiner Verständnisses
von Heil und In-der-Welt-Sein des Menschen ist es ihm selbstverständlich
, daß der Christ zur Weltgestaltung verpflichtet
ist. Er nimmt sie wahr mittels vernünftiger politischer Sachentscheidungen
. Eben darum ist die Weltgestaltung als solche
kein eigentlich theologisches Thema (36). „Entweltlichung"
heißt in diesem Zusammenhang wie überhaupt bei Bultmann
nicht Rückzug aus, sondern dialektisches Verhältnis zur Welt.

Gegen unqualifizierte Kritik in dieser Sache (z. B. bei Molt-
mann oder Solle) kann Vf. Bultmann durchaus in Schutz nehmen
(vgl. 67, 242f., 246ff., 250). Er sieht richtig: „Eine bestimmte
Interpretation der Rechtfertigungslehre trennt Bultmann von
seinen Kritikern im Umkreis der politischen Theologie. Für
diese ist das Sinnverlangen des Menschen in seiner konkreten
leiblich-gesellschaftlichen Existenz Bezugspunkt für das Verstehen
der Offenbarung.. Für Bultmann ist nur im Transzen-
dicren aller irdischen Möglichkeiten eschatologisches Heil
möglich. Das Heil ist ein jenseitiges und unweltliches Geschenk,
das nur verstanden werden kann, indem es von den eigenmächtigen
weltlichen Möglichkeiten des Menschen unterschieden
wird. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe der Theologie
, den Menschen auf die Begrenztheit dessen, was er in
der Welt erlangen kann, hinzuweisen. Die Welt wird zuerst
und vor allem als Versuchung zur Selbstbehauptung verstanden
. Diesem zentralen Anliegen bleibt die Verhältnisbestimmung
von Glaube und Weltgestaltung untergeordnet" (254).

Allerdings kommt der Vf. seinerseits in einer längeren
Sthlußbemerkung („Zur Selbstbehauptung als Bezugspunkt
der Theologie Bultmanns", 255-281) zu einer so nicht mehr
erwarteten Kritik an der anthropologisch-soteriologischen
„Engführung" der Theologie Bultmanns. Seiner Meinung nach
ist die Christologie in ihr „nur eine Funktion der Soteriolo-
gic" und das Heil nur „Selbstverständnis, das dem Glaubenden
im Hören auf die christliche Verkündigung geschenkt
wird" (181). Nun, diese Kritik ist nicht neu. Sie ist ganz ähnlich
so schon von Ernst Käsemann vorgetragen worden
(Paulinische Perspektiven. Tübingen 1969, 9-60). Nur - und
dabei kommt die Katze aus dem Sack - Käsemann protestiert
gegen die Anthropozentrik im Namen der Rechtfertigungslehre
, Dieckmann im Namen der katholischen Naturrechtslehre
. Allein so sind die massiven Vorwürfe zu verstehen, die
jetzt erhoben werden: Bultmanns „negative Theologie" verweigere
Gott die positiven „Prädikate der geschöpfliehen
Wirklichkeit" (274); der pro me-Charakter seiner Theologie
verhindere, daß Gott „als ein Geschehen aus sich (!) gedacht
wird" (276). „Bultmann wagt es nicht, sich theologisch auf den
Lebenswillen (!) des Menschen einzulassen, weil er ihn nicht