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Ausgabe:

1979

Spalte:

850-851

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rolinck, Eberhard

Titel/Untertitel:

Geschichte und Reich Gottes 1979

Rezensent:

Bertinetti, Ilse

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849

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

850

Philosophie, Religionsphilosophie

Schär, Hans Rudolf: Christliche Sokratik. Kierkegaard über den
Gebrauch der Reflexion in der Christenheit. Bern - Frankfurt
/M. - Las Vegas: Peter Lang [1977].V, 214 S. 8° = Basler
und Berner Studien zur historischen und systematischen
Theologie, 34. Kart, sfr 34,-.

Die Grundfrage christlicher Reflexion lautet: Wie ist das geschichtliche
Faktum Jesus als der Christus, auf dem das Christentum
aufruht, sachgemäö darstellbar und entsprechend mitteilbar
? Kierkegaard hat sich zur Lösung dieser Aufgabe der
sokratischen dialektischen Maieutik bedient, da er nicht Hegels
absolutes Wissen zu teilen vermochte. Die christologische Wirklichkeit
des Christentums ist eben nur indirekt, dialektisch,
paradox mitteilbar. Und diese Mitteilungsform kann nicht die
voraussetzungslos aufstrebende „synthetische", direkte Dialektik
Hegels sein, sondern eine „analytische", die das Religiöse
in der Fülle des Lebens anfänglich sein läßt.

In den „Brocken" und in dem „Begriff Angst" diente diese
„heidnische" Sokratik zur Abhebung des christlichen Lernens;
in den „Reden" soll sie gerade den Prozeß „christlicher Mitteilung
" darstellen (93). Und was dabei die Pseudonymität der
beiden ersten Werke im Literarischen intendiert, bringt im Horizont
der Logik der hypothetische Charakter zum Ausdruck.
Beides zusammen kommt gleichsam exemplarisch in Sokratcs
und Jesus selbst zum Ausdruck: Christus kann nicht direkt
sprechen wie ein „Apostel", sondern verhüllt, inkognito (123).
Und das zeigt nochmals, daß sich Wahrheit nicht in einer Lehre
erschöpfen kann, sondern selbst „existentielle" Mitteilung ist.

1841/42 hörte K. in Berlin Sendling (129ff). In Auseinandersetzung
mit dessen Spätphilosophie macht K. nochmals deutlich
(144ff), daß jedes Reden über Wirklichkeit Mitteilungscharakter
, so etwas wie „Predigtstruktur" hat (157). Damit
kommt Wirklichkeit aber nur noch als „Forderung" und „Aufgabe
" ins Blickfeld.

Bei Hegel werde Wirklichkeit einzig und umfassend im Denken
faßbar, sofern nämlich Gott dem menschlichen Begreifen
vollkommen offenbar ist (158ff). Sprach Hegel deswegen von
der „substantiellen, in Christus erschienenen Einheit des Göttlichen
und Menschlichen", so K. vom „unendlichen qualitativen
Unterschied zwischen Gott und Mensch" (160). Entsprechend
gibt es bei K. nie den „objektiven", „absoluten Geist"; entsprechend
bleibt die gesellschaftliche Dimension (sieht man von
der Denkfigur des Protestes ab) vor der Tür (171). Aus der
Tradition Hegels wiederum hat heutige Theologie (mit Pannenberg
) die Aufgabe erhalten, „das Wesen Gottes selbst aus
der absoluten Zukunft der Freiheit zu verstehen, statt es umgekehrt
als Vermögen seiner Freiheit zugrundeliegend zu denken
' (180).

In den „Reden" treibt K., ähnlich wie etwa Nietzsche, seine
Gedanken bis zur blasphemischen Meinung, die Reflexion könne
ja Gott von sich selbst aus erfunden haben (181ff). Wie
Nietzsche mutet K. der „empirischen Subjektivität das zu, was
Hegel mit Hilfe der transzendentalen Subjektivität des Geistes
zu erreichen suchte: dem geschichtlichen Leben Sinn und Wahrheit
zu schaffen" (W. Anz), nur wird dies bei Nietzsche allein
der Kraft des Ubermenschen zugemutet (191). Bei beiden aber
stehe letztlich die Selbstauflösung des christlichen Glaubens
am Ende (so Grau), oder doch mindestens die „Vernichtung
des Endlichen" durch die Konzentration auf die cartesianische
Geist-Dimension (so Vf. mit Anz).

Fazit: Hegels Insistieren auf der objektiv geschehenen Versöhnung
verlangt K.s subjektive Realisierung; die betonte Objektivität
bei Hegel verlangt im Medium der sokratischen Mitteilung
den kierkegaardschen Forderungscharakter. Die Sokratik
wird dadurch offen für die Wirklichkeit und wird
dann selbst Teil praktischer Wirklichkeitsrealisierung; sie erhält
eine zeitliche Komponente und bleibt nicht nur (sich selbst
auflösendes) Apercu; sie kann getrost propädeutisch vorgreifen
auf das noch erst ganz zu Realisierende und muß nicht exklusiv
„sprunghaft" gefaßt werden. Diese „Ergebnisse" sollen

und können heutige Theologie zu einem weiteren Studium des
deutschen Idealismus und Spätidealismus anleiten (196).

Rehburg-Loccum Uwe Gerber

Systematische Theologie: Allgemeines

Rolinck, Eberhard: Geschichte und Reich Gottes. Philosophie
und Theologie der Geschichte bei Paul Tillich. München-Paderborn
-Wien : Schöningh 1976. 299 S. gr. 8° = Beiträge zur
ökumenischen Theologie, 13. Kart. DM 34,-.

Auf die „nicht nachlassende Diskussion über Philosophie und
Theologie Paul Tillichs" eingehend, will die vorliegende Untersuchung
„Tillich stärker ins geschichtstheologische Gespräch
bringen" (Vorwort, 5). In einem ersten Teil geht der Vf. auf
„Ort und Struktur der Theologie Tillichs" ein (22-55). Sein
besonderes Interesse gilt der Konfrontation von Karl Barth
und Paul Tillich, wobei die Parteinahme eindeutig für den
letzteren erfolgt. Durch Orthodoxie und Liberalismus hindurch
habe Tillich einen dritten Weg eingeschlagen und gegenüber
Barth die „Einheit von Ja und Nein, die Wirklichkeit des
Durchbruchs, der Gnade in der Schöpfung, in Religion und Geschichte
wie in einzelnen Menschen" verteidigt (43). Rolinck
verweist dabei auf den religionsphilosophischcn Begriff des
positiven Paradoxes, von dem her Tillich die Christologie und
die Rechtfertigungslehre begründet.

Tillichs Sicht des Verhältnisses von Philosophie und Theologie
nach dem Schema von Frage und Antwort, seine darauf
basierende Methode der Korrelation sowie seine Verwendung
des Symbolbegriffes werden vom Vf. bejaht: „Eine Theologie,
die ihre Aufgabe darin sieht, im Sinne dieser Methode die
Symbole des Glaubens zu deuten, indem sie die transzendente
Realität, die die Symbole zum Ausdruck bringen, und die Situation
des Menschen, für den sie auf diese Realität hinweisen,
in eine schöpferische Korrelation bringt ... - eine solche
Theologie ist nicht in Gefahr, die religiösen Symbole für Schöpfungen
menschlicher Wünsche zu halten" (55).

Im zweiten und dritten Teil werden „Anfänge und Entfaltung
der Geschichtsdeutung Tillichs" (59-109) sowie „Die Frage
nach dem Sinn der Geschiente in Tillichs Geschichtsphilosophie"
(113-166) behandelt. Die Tillich'sche Marx-Interpretation, wonach
sich eine „Nähe des Marxismus zur Prophetie" abzeichnet
(73), wird trotz der darin enthaltenen Widersprüche positiv
aufgenommen und festgestellt, das „Symbol der klassenlosen
Gesellschaft", das Tillich als utopisch bezeichnet, oszilliere „wie
die jüdische Prophetie zwischen Immanenz und Transzendenz"
(77). Utopie gehöre jedoch zum Wesen des Menschen, und von
daher gäbe es „keine Geschichtsauffassung ohne utopische Elemente
" (87). In Tillichs Geschichtskonzeption, die der Vf. als
gläubigen Realismus charakterisiert (vgl. 105ff), findet Rolinck
stark optimistische Züge, die er allerdings am Schluß (vgl. 279)
selbst wieder in Frage stellt. Tillichs offenkundige Rechtfertigung
des Bestehenden (d.h. der eigenen bürgerlichen Welt -
I.B.) sei als „geschichtliche Selbst-Transzendierung" zwar in
gewissem Sinne immer „zweideutig" (155), aber indem Geschichte
und Heilsgeschichte ineinanderfallen, werde trotz Destruktion
und Entfremdung die Erlösung geschichtliche Realität.

Auch im vierten Teil, „Geschichte als Heilsgeschichte in Tillichs
Geschichtstheologie" (169-267), wird wieder der Gegensatz
zu Barth sichtbar; Religionsgeschichte und Offenbarung
befinden sich nicht, wie bei Barth, in einem „absoluten Gegensatz
", sondern jedes Offenbarungsgeschehen werde durch „konkrete
Religion" (auch wenn diese der „Verzerrung" unterworfen
ist) vermittelt (205). Der immer gegenwärtige Sinn der Ge
schichte bestehe darin, daß sie sich ständig selbst transzen-
dicre, so daß Tillich von der „.Ewigkeitsdimension der Geschichte
, in der die Zweideutigkeit der Geschichte aufgehoben'"
wird, sprechen kann (263).

In einem fünften, zusammenfassenden und zugleich kritisch
wertenden Teil, „Kritische theologische Geschichtstheorie in