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Ausgabe:

1979

Spalte:

829-831

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fleckenstein, Josef

Titel/Untertitel:

Grundlagen und Beginn der deutschen Geschichte 1979

Rezensent:

Haendler, Gert

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821)

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

patristischen Tradition und ihr Selbstbewußtsein als Geichrtc.
Sie bemerkten kaum oder wollten nicht wahrhaben, was sie
doch bei Augustin auch hätten lesen können, daß auch die
Ketzer Christen seien, bibelgemäß denken, leben und wirken
.. ." (363).

Der Aufsatz „Kirchenfreiheit und Kaisermacht um 1190 in
der Sicht Joachims von Fiore" (Bd. 2,361-402) war 1969 in
den Miscellanea Mediaevalia 6,31-48 erschienen. Ausgangspunkt
ist Kapitel 24 des Jeremiabuchcs, das 2 l-'eigcnkörbc
deutet: Der Korb mit guten Feigen meint jene Juden, die sich
in die babylonische Gefangenschaft abführen ließen; der Korb
mit schlechten Feigen meint jene Juden, die diesem Weg sich
widersetzt hatten. Joachims Auslegung war nach G. vor allem
„eine aktuelle kirchenpolitische Stellungnahme" (365). Frei
war die Kirdie vor Konstantin, als sie äußerlich gesehen verfolgt
wurde. Durch Konstantin kam die Kirche in Gefahr,
wieder in die ägyptische Knechtschaft zurückzukehren (371).
Die Möglichkeit, mit kriegerischen Mitteln für die Freiheit
der Kirche zu streiten, lehnt Joachim ab: „Demütige Knechtschaft
ist besser als hochmütige Freiheit" (375). Joachim
erinnert an das Wort Jesu an Petrus „Stecke dein Schwert ein"
sowie an die Verheißung in der Passionsgeschichte, daß Gott
mehr denn zwölf Legionen Engel schicken könnte. G. zitiert
Joachim: „Wer seine Freiheit behaupten will, verliert sie nach
uncrforschlichem Ratschluß; wer sie um Gottes willen verliert
und preisgibt, wird umso mehr Freiheit finden" (383).
Als „Könige Babels" sieht Joachim zu seiner Zeit die Staufer-
könige, zumal den jungen Heinrich VI. Wahrscheinlich wollte
Joachim die Papstwahl 1191 beeinflussen, bei der sich eine
militante und eine friedliebende Partei gegenüberstanden. Gewählt
wurde der friedlichere Coelcstin III., der sich sofort
um Verhandlungen bemühte und Heinrich VI. zum Kaiser
krönte (391). Für Joachim war Freiheit der Kirche ein hohes
Ideal; er wollte nicht für die Staufer Partei nehmen, sie
„blieben ihm Könige Babels" (401). Aber Joachim war der
Meinung, daß die Freiheit der Kirche „nicht mehr verdient"
und daher auch „nicht zu verfechten" sei (401). Daher sollte
die Kirche sich „demütig der Knechtschaft fügen. Darin
sah er die geradezu hcilsgcschichtliche Bedeutung und Tragweite
der kirchenpolitischen Entscheidung in der Krise des
Frühjahres 1191, auf die er einzuwirken suchte" (402). An
den Schluß seines Aufsatzes stellte G. die Bemerkung, daß
es sich bei diesen Äußerungen des Joachim von Fiore um ein
Zeugnis handele für „eine christliche Gesinnung, die ähnlich
auch zu anderen Zeiten bis heute über Entscheidungsfragen
der Politik sich ihre eigenen Gedanken macht" (402).

Gerade die zuletzt genannten Worte von G. zeigen, daß seine
Aufsätze nicht nur reiches historisches Material zur Ketzergeschichte
des Mittelalters bieten. Es geht auch immer wieder
um allgemeine Probleme; wir werden nicht nur als Historiker
zum Nachdenken angeregt.

Rostock Gert Ilacndlcr

Kirchengeschichte: Mittelalter

Flcckenstein, Josef: Grundlagen und Beginn der deutschen
Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1974].
250 S. 8° = Deutsche Geschichte, 1. Kart. DM 15.80.

Die Einleitung trägt die programmatische Überschrift:
„Deutsche Geschichte als europäische Geschichte". Nicht Armin
der Cherusker, sondern Karl d. Gr. soll als Schlüsselfigur
gellen (14). Schwerpunkt ist die Verfassungs- und Sozialgeschichte
, der die politische Geschichte nachgeordnet wird (15).
Die erste Hälfte des Bandes ist überschrieben „Die Grundlagen
der deutschen Geschichte". Es geht um das fränkische
Reich unter den Merowingern und Karolingern. Die Kapitel
1-3 beschreiben die sozialen Grundnormen, Kräfte und Formen
der politischen Ordnung sowie die wirtschaftlichen
Grundlagen. Für den Kirchenhistoriker besonders interessant

ist Kapitel 4 .Das antike und das christliche Erbe'. Ihm
folgen die Kapitel „Ausbau und Organisation der Herrschaft",
„Das Kaisertum Karls d. Gr. und die europäische Einheit"
sowie „Entstehung und Ausbreitung des Lehnswesens . Die
zweite Hälfte des Bandes ist überschrieben „Der Beginn der
deutschen Geschichte". Es setzt ein mit dem Zerfall des karo-
lingischen Großreiches und der Konsolidierung des ostfränkisch
-deutschen Reiches. Es folgen die Kapitel „Der Ausbau
von Reich und Reidiskirche unter Otto d. Gr.", „Die Ausweitung
des Reiches im Osten und im Norden" sowie „Die Erneuerung
des Kaisertums". Für den Theologen besonders ergiebig
ist Kapitel 5 „Das Geistesleben im Ottonenreich". Es
folgt eine spannungsvolle Darstellung vom Gedanken der
Renovatio imperii Romanorum bis hin zum Vorabend des Investiturstreites
. Bibliographische Hinweise und Register beschließen
den Band.

Auf die Kirche wird häufig eingegangen. Als „Bindeglied
zwischen König und Volk" diente sie schon im Mcrowinger-
reich (41). Die Rolle der Kirdie beim Dynastiewechsel von dcr.
Merowingern zu den Karolingern wird umfassend beleuchtet
(74-78). Überhaupt wird die Kirche, soweit sie die Verfassung
, die Herrschaft oder die Bildung beeinflußte, ausführlich
berücksichtigt. Zumal die Funktion der Hofkapelle,
über die F. ein 2-bändiges Werk vorgelegt hatte, kommt
schön zur Darstellung. Die aktive Rolle vieler Bischöfe unter
den Merowingern, den Karolingern sowie den Ottonen wird
zutreffend dargestellt. Theologische Detailfragen werden nicht
erörtert. Leider führt soldies an sich verständliche Weglassen
zu Aussagen, die zu hinterfragen sind. Es seien zwei Probleme
näher erörtert:

1) Im Zusammenhang mit der Taufe Chlodwigs sagt F.: „Wie
bei allen germanischen Völkern drang das Christentum also
auch bei den Franken von oben nach unten ein" (41). Das
stimmt weithin, aber bei den ersten Anfängen war der Prozeß
umgekehrt: Erste Begegnungen der Goten mit dem Christentum
erfolgten von unten her, durch verschleppte christliche
Gefangene. Aus diesen Kreisen stammte der erste Germanen
bischof Wulfila, der durch seine Bibelübersetzung die weitere
Germanenmission stark förderte. Hätte der erste Germanenbischof
nicht in die Grundlagen einer deutschen Geschichte
liineingehört? Gewiß gibt es Gründe für eine Begrenzung des
Themas. Aber der Satz vom Eindringen des Christentums bei
allen Germanen von oben nach unten stimmt so pauschal
nicht. Ferner wird von Chlodwigs Taufe behauptet, sie habe
dem fränkischen Vordringen „gegen die Westgoten Vorschub
geleistet, da der eingesessene Episkopat Südgalliens dem
fränkischen Eroberer, der ihr Glaubensgenosse war, bereitwillig
entgegenkam" (41). Solche machtpolitisdie Rechnung
wurde schon oft behauptet, aber so glatt stimmt sie nicht.
Mindestens der führende südgallische Bischof Cäsarius von
Arles, der manchen Ärger mit seinen gotischen Herrschern
hatte, war deshalb keineswegs vom Vorrücken der Franken
beglückt! Die Erklärung der Taufe Chlodwigs allein aus politischen
Gründen reicht nicht aus. Andere Gründe nennt F.
leider nicht.

2) Mehrfach sagt F., daß die Germanen den Inhalt des
Christentums lange Zeit hindurch gar nicht verstanden hätten.
Sic hielten sich nur an Autoritäten, so „daß darüber die selbständige
Auseinandersetzung mit dem Überlief erungsgut,
seine rationale Durchdringung, weitgehend in den Hintergrund
trat" (62). Hier rächt sich erneut das Weglassen der
ersten christlich-germanischen Begegnung. Wulfila hinterließ
Schüler, die theologisch diskutieren konnten. Der Vandalen
könig Trasamund stellte theologische Thesen auf. Im Frankenreich
gab es ein Echo auf das 5. Ökumenische Konzil in Konstantinopel
553. Es muß dort ein Verständnis für die komplizierten
Fragen der Zweinaturenlehre gegeben haben, das sich
in einem Protestbrief eines fränkischen Königs an den Papst
äußerte. Auf der Synode zu Gcntilly 767 haben fränkische
Theologen mit byzantinischen Theologen über die Trinität
und die Bilderfrage diskutiert. Zur Zeit Karls d. Gr. entstanden
die Libri Carolini sowie Stellungnahmen zur adop-
tianischen Christologic und zum filioque-Problem. Gewiß be-