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Ausgabe:

1979

Spalte:

823-825

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

O'Brien, Peter Thomas

Titel/Untertitel:

Introductory Thanksgivings in the letters of Paul 1979

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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82:1

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

824

4,12-5,11: „Bewährung in Gesellschaft und Gemeinde" gegliedert und in vielen
Unterteilen mit Spezialthemen ausgelegt. Der Einzelexegese geht jeweils die
Übersetzung und umfängliche Erörterung von Form, Stil, Aufbau, Bedeutung,
Thema. Gedankenführung, Tradition, Struktur u. dgl. des jeweiligen Abschnittes
voran. Viele Verse erhalten ihrerseits noch einmal eine thematische Überschrift
. Die Auslegung wird von einer Masse von Anmerkungen mit kompletten
Literatur-Angaben und Erörterungen und sprachlich-lexikalischen Untersuchungen
begleitet und von vierzehn, sich z. T. monographischem Ausmafj nähernden
Exkursen unterbrochen. Es bleibt sozusagen keine Frage offen, die
der Benutzer stellen könnte - und es bleibt ihm nichts erspart.

Der beherrschende Eindruck, den die Durcharbeitung dieses
Buches hinterläßt, ist der, daß hier an Hand eines vergleichsweise
bescheidenen literarischen Dokumentes ein zeit- und
theologiegeschichtliches Gemälde entworfen ist, das unser noch
immer so lückenhaftes Bild vom ersten Jahrhundert urchristlicher
Geschichte bedeutsam zu vervollständigen vermag. Es
geschieht in einer „kolorierenden" Manier unter bewußter
Weglassung oder Entfernung einzelner Gestalten, die der
Brief selbst bietet, und unter Ausschaltung konkreter geschichtlicher
, liturgischer und literarischer Vorgänge und Fakten
, die vorangegangene Exegeten in ihm wiederzuerkennen
glaubten. Solche Risiken sind hier vermieden. Man kann aber
fragen, ob die Texte des Briefes, die jene kritischen Analysen
oder kompositorischen Entwürfe provozierten, durch das einheitliche
Gesamtverständnis des Briefes bei G. wirklich befriedigend
erklärt sind. Gewiß, daß 1 Petr auf die Taufe als
den Berufungsakt der Erwählten (zu 1,2a) anspielt, sieht auch
G. Schließt das aber die Rückführung gewisser Brief texte auf
konkrete Stücke von Taufakt und -liturgie und die Anrede an
Neophyten aus? Bedarf man solcher Annahmen in diesem
Fall zu einem befriedigenden Text-Verständnis zwar nicht, so
gilt Gleiches für G.s Erklärung des Neuansatzes der Paräncse
in 4,12ff doch nicht ohne weiteres. Er erklärt ihn (295) einerseits
als konkret und situationsbezogen gegenüber der vorherigen
grundsätzlichen Redeweise und als neu in der paräne-
tischen Sinndeutung. Aber eben das sind auch Argumente für
eine literarkritische Aufteilung des Briefes. Andererseits gibt
G. zu, daß diese Sinndeutung ansatzweise schon in den vorangehenden
Kapiteln da war - warum also die Wiederholung
durch den gleichen Autor? - Das einheitliche Verständnis
des Briefes wird endlich auch durch die permanente Rückführung
seinere Traditionen auf Qumran gestützt. Gewiß, die Exodus
-Ideologie verbindet beide. Aber die unterschiedliche Begründung
der Erwählung, Gesetzeserfüllung dort, das Werk
Christi hier, und die diametral entgegengesetzten Konsequenzen
, Sezession dort, gesellschaftliche Integration hier - beides
von G. selbst erörtert (155) mahnen m. E. in dieser Frage zu
größerer Zurückhaltung, zumal man auch hier in der Zeichnung
des gleichen Traditionshintergrundes jedes Wort darüber
vermißt, wie, wo, wann, durch wen vermittelt die christlichen
Traditionsströme so intensiv durch Qumran gefärbt
werden konnten.

Selbstverständlich mindern solche und andere kritische
Fragen an das Buch den Respekt vor der imposanten Leistung
dieses Entwurfs einer urchristlichen Sozialethik, der auch
nicht der geringsten durch den Text gestellten Frage ausweicht
, in keiner Weise.

Konrad Weifi t

O'Brien; Peter Thomas: Introductory Thanksgivings in the
Letters of Paul. Leiden: Brill 1977. XII, 309 S. gr. 8° = Supplements
to Novum Testamentum, 49. Lw. hfl. 76.-.

Die Überarbeitung einer unter F. F. Bruce in Manchester
1971 abgeschlossenen Dissertation greift das Thema wieder
auf, das P. Schubert 1939 (Form and Function of the Pauline
Thanksgivings) monographisch im Rahmen der formgeschichtlichen
Forschung behandelte und dessen Wirkung leider
durch den Erscheinungstermin beeinträchtigt wurde. Der australische
Vf. legt nicht eine Hintergrundstudie sondern eine
Analyse der einschlägigen Texte vor, wobei auch Kol, Eph und
2Thess als paulinisch angeschen werden, was im Umfeld von
F. F. Bruce nicht untypisch ist (vgl. ThLZ 103, 1978 Sp. 181-183).
Das hat für die Einzelinterpretation natürlich gelegenlich erhebliche
Konsequenzen. (Wenn z. B. der Erkenntnisbegnii'
Phil 1,9 von Eph und Kol her interpretiert wird, ist das Bild
ein anderes, als wenn nur Phlm 6 eine direkte Parallele darstellt
).

Die Untersuchung geht nicht chronologisch vor, sondern
analysiert die Texte nach den im wesentlichen von Schubert
herausgearbeiteten Strukturmustern: Erste Kategorie: Eingangsdanksagung
mit Fürbitte verbunden (19-104: Phil, Phlm, Kol) ;
zweite Kategorie: reine Eingangsdanksagung (107-137; 1 Kor);
drittens Mischformen (141-230: IThess, 2Thess, Rom); viertens
die Eingangs-Berakah des 2Kor (233-258). Die Einzeltexte
werden sorgfältig untersucht, wobei die Literatur minutiös
aufgearbeitet wird. Hinsichtlich der paulinischen Gebetstheologie
werden durchgehend die Ergebnisse bestätigt, wie
sie 1974 G. P. Wiles (Paul's Intercessory Prayers) erbracht
hat. Ging Wiles von der Fürbitte aus, so O'Brien vom Fürdank
; in den Berührungen, die für die zentrale Gesamtsicht
des paulinischen Gebets als einem wesentlichen Mittel des
Apostolats und der Mission bestimmend sind, treffen sich
beide. Daß beide Arbeiten unabhängig voneinander entstanden
, verstärkt das Gewicht der vorgetragenen Einsichten; daß
O'Brien bei seiner Überarbeitung die Untersuchung von
Wiles mit den entsprechenden Verweisen berücksichtigt hat,
ist eine dankbare Hilfe. (Auf eine wiederholende Beschreibung
der gebetstheologischen Einzelheiten kann zugunsten
der ThLZ 100, 1975 Sp. 427-430 ausführlich gegebenen Darstellung
verzichtet werden).

Bei dem vielen, was man aus der Arbeit lernen kann, ist
man besonders dankbar für eine weiterführende Klärung der
Wortfeldanalysen in bezug auf die Gebetsterminologie: Nicht
nur deesis sondern auch proseuche bezeichnen speziell das Bittgebet
, und euchatistein und eulogein sind weitgehende Synonyme
für das Dankgebet, wobei charis und eulogetos für den
direkten performativen Vollzug (das letztere speziell zum Ausdruck
eigener Erfahrungen) verwendet wird. Dennoch bleiben
auf diesem Feld Fragen für die Weiterarbeit offen: Daß Rom 1,8
eine vollzogene und nicht nur eine berichtende Danksagung
vorliege, scheint nicht überzeugend, da die Rede in der dritten
Person „ich danke meinem(!) Gott" eindeutig Berichtsstil hat.
Auch hinsichtlich der Feststellung verschiedener Gebetstypen
dürfte noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. In dieser
Typisierung gehen die Klassifikationsmerkmale noch inhomogen
durcheinander. So wären die Differenzierungsebenen klarer
zu unterscheiden hinsichtlich ihrer makrosyntaktischen
Oberflächenstruktur und ihrer makrosyntaktischen Tiefenstruktur
: Was im ersten Falle differiert, kann unter dem zweiten
Gesichtspunkt funktionsgleich sein, wenn man etwa die
verschiedenen Mittel sieht, mit denen Final- oder Kausalzusammenhänge
ausgedrückt werden können. Zweitens wäre
konsequenter zwischen Gebetsvollzug (performativ) und Gebetsbericht
(metasprachlich) zu unterscheiden. (So kommt es
z. B. 107f zu methodologisch bedenklichen Scheinargumentationen
, wenn das Fehlen bestimmter Elemente ins Feld geführt
wird, die dem metasprachlich-berichtenden Bereich angehören
und demnach in einem performativ vollzogenen Gebet
gar nicht zu erwarten sind. Weiter wird das „hoti" rein
nach der Oberflächenstruktur zunächst als Übereinstimmung
gewertet, während 116 dann modifiziert: Es hat eine andere
Tiefenstruktur, da es nicht vom Grundverb abhängt und darum
vielmehr in seiner semantischen Funktion explikativ ist.
Von daher wird es auch zweifelhaft, ob IKor 1,4-9 wirklich
ein zweiter Typ [ohne Fürbittgebet] vorliegt und 1,8 nicht
doch als Fürbitte verstanden werden muß. Daß die Oberflächengestalt
wechseln kann, zeigte Phlm 6. Wenn dort eine
Fürbitte vorliegt, dann wohl auch in IKor 1,8. Das hier vorkommende
Futurum kann als solches nicht Gegenstand des
Dankes sein, da sich Dank auf Geschehenes bezieht. Die Verwendung
einer christologischen Vollformel am Ende von IKor
1,7 zeigt ebenso das Ende einer Einheit an wie die Verwendung
derselben am Ende von V.8, während V.9 dann stilgc-
mäß zum vollziehenden Dank in Form der Ruhmrede zurückkehrt
). Wie in dem genannten Beispiel eben schon anklang,
muß auch methodisch konsequenter neben den semantischen