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Ausgabe: | 1979 |
Spalte: | 821-823 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Goppelt, Leonhard |
Titel/Untertitel: | Der Erste Petrusbrief 1979 |
Rezensent: | Weiß, Konrad |
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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11
S22
diese Vermutung hinsichtlich der Abfassung und Entstehungszeit
des Briefes praktisch keine Rolle. Mit Recht wird
hervorgehoben, daß in der Forschung der letzten Jahre an
drei Punkten neue Einsichten für das Verständnis des Kol
gewonnen wurden: hinsichtlich der religionsgeschichtlichen
Bestimmung der im Kol verhandelten Problematik; im Blick
auf die Herkunft der ethischen Weisungen, insbesondere der
Haustafel, aus dem Hellenismus und dem hellenistischen
Judentum und schließlich in der Unterscheidung von Tradition
und Redaktion, beim Hymnus 1,15-20 (215). Gerade diese
Unterscheidung ist für den ökumenischen Dialog, zu dem der
EKK einen Beitrag leisten möchte, von Belang. Denn die
nüchterne Erkenntnis der Zweischichtigkeit der Aussagen in
1,12-23 bewahrt vor schwärmerischen Konstruktionen. Die
Aussagen des Hymnus mit ihrer „hochfliegenden Anschauung"
sind als vorgegebene Tradition zu verstehen, die der Schreiber
des Briefes kritisch aufnimmt (204f). „Die Erkenntnis, daß
Sprache auf verschiedenen Ebenen lebt und z. B. im Lobgesang
anders formulieren mufj als in der Lehre", führt zum
rechten Verständnis der hymnischen wie der lehrhaften Aussagen
. Eine Lehre von der Allversöhnung kann sich nicht auf
den Kol gründen. Wohl aber gilt, daß „die Gemeinde in ihrem
Lobgesang gar nicht anders kann als Gott immer wieder an
seine unbegrenzte Gnade zu erinnern und damit alle und alles
in ihr Loben und Bitten einzuschließen" (205).
Die Bestimmung des religionsgeschichtlichen Hintergrunds
sowie die Analyse des Briefes, wie sie von Schweizer vorgenommen
werden, lassen deutlich hervortreten, daß der Autor
des Kol in eine Zeit hineinspricht, die von Weltangst umgetrieben
wurde (217). Mit der Gemeinde aber ist er darin völlig
einig, daß man dieser Weltangst nicht anders als so begegnen
kann, daß man im Danklied die Hoheit Jesu Christi preist und
damit von dem spricht, „der der Herr der Schöpfung und der
Neuschöpfung ist" (218). Deshalb aber ist den Christen asketischer
Rückzug aus der Welt verwehrt. Denn „daß in der
Tat alle Welt Christus gehört, kann also nur recht gedacht,
gesagt und bekannt werden, indem man ihn Herr werden
läßt in dieser Welt" (220).
Hannover Eduard Lohso
Goppelt, Leonhard: Der Erste Petrusbrief, übers, u. erklärt,
hrsg. v. F. Hahn. 8. Aufl., 1. Aufl. dieser Neubearb. Göttingen :
Vandenhoeck & Ruprecht [1978]. 358 S. gr. 8° = Kritisch-
exegetischer Kommentar über das Neue Testament. XII/1 -
8. Aufl. Lw. DM 48.-.
Wenn dieses Buch als Neubearbeitung des zuletzt in 7. Aufl.
1912 von Rudolf Knopf herausgegebenen 1 Petr-Kommentars
im Meyer erscheint, so kann man annehmen, daß es sich
eigentlich um ein neues Werk handeln muß. Das gilt in der
Tat hinsichtlich der die Auslegung bestimmenden Thematik
sowie ihrer Methodik. Erstere findet G. in der polaren Einheit
zwischen der Darstellung der Existenz der Christen als
Fremde und Beisassen in der nichtchristlichen Gesellschaft
(Exodus-Motiv) und der Paränese, das daraus folgende Leiden
zu bewältigen. Mit dieser, auch die literarische Einheit des
Briefes begründenden Konzeption entledigt sich G. der verschiedenen
in der Geschichte der Exegese vorgetragenen und durchgeführten
Versuche, den Brief durch analytische Aufteilung
begreiflich zu machen, sei es der literarkritischen von Perdel-
witz oder der form- und traditionsgeschichtlichen von Preisker
und Selvyn begründeten und der anderen diese Entwürfe weiter
entwickelnden Exegeten. - Methodisch werden literarische
Abhängigkeiten von irgendwelchen anderen urchristlichen
Schriften strikt abgelehnt, um ausschließlich form- und traditionsgeschichtliche
Zusammenhänge, diese freilich im weitesten
Umfange, gelten zu lassen und nachzuweisen. G. charakterisiert
sie als einen in Qumran auftretenden, christlich bereits
fortgebildeten „Traditionskomplex der hellenistischen Kirche,
der also aus Palästina herkommt und bei Paulus nur in Ausschnitten
auftritt" (so zu 2,4-10) als Verbindung der „weit-
offenen, hellenistischen Tradition mit der weitabgewandten
.mönchischen' Tradition von Qumran zu einem Neuen" (so zu
2,11-4,11) oder als „eigenständige Tradition palästinischen Ursprungs
, die von Paulus zwar beeinflußt, aber nicht bestimmt
ist" (67) - wobei deren weitere Zusammenhänge mit alt-
testamentlichen, weisheitlichen und jüdischen Voraussetzungen
selbstverständlich nicht außer Acht gelassen sind. Ohne die Berührungsflächen
des Briefes mit den Paulinen, Deuteropau-
linen, Jakobusbrief u. a. zu übersehen (vgl. 279f und die
Tabellen S. 48-51), ordnet G. den 1 Petr in den gleichen kirchlichen
Traditionsstrom ein wie die synoptische Jesus-Überlieferung
(54). Der grundsätzlichen Ablehnung einer direkten
Berührung mit den Paulinen steht in der fortlaufenden Erklärung
freilich der unumgängliche Aufweis ständiger, z. T.
singulärer Aufnahme der von Paulus in die kirchliche Traditionsmasse
eingebrachten Elemente gegenüber. Beherrschend
ist jedoch der Nachweis des Niederschlags kerygmatischer,
katechetischer, liturgischer und hymnischer Traditionseinheiten
in selbständiger Aufnahme durch 1 Petr. Zu den Vorarbeiten
von Nauck, Selvyn, Boismard, Wengst, Schille u. a. wird
dabei jeweils Stellung bezogen.
In engem Zusammenhang mit dieser Einbettung in den
kirchlichen Traditionsstrom stehen G.s Antworten auf die
Fragen nach Verfasser, Herkunft und Abfassungszeit des
Briefes. Er trägt den Selbstaussagen des Briefes insofern
Rechnung, als er die von Petrus und Silvanus repräsentierte,
aus Palästina über das hellenistische Missionsgebiet des Paulus
nach Rom (Babylon) übermittelte, sich mit Recht auf diese
Namen berufende Tradition als die Quelle ansieht, aus der der
Brief fließt. Er „eröffnet" also „allen Anzeichen nach die Reihe
der von der römischen Gemeinde ausgehenden ökoumenischen
Schreiben nach dem Osten" (66). Die Zeit ergibt sich ihm sowohl
aus der im Brief vorausgesetzten Situation der Christen in der
zeitgenössischen Gesellschaft wie aus der in ihm vorausgesetzten
innergemeindlichen Verfassung. Es sei die aus der Neronischen
Verfolgung resultierende Ächtung des Namens (Christus
bzw. Christen), noch nicht das Problem der göttlichen Verehrung
des Kaisers unter Domitian einerseits (Einleitung § 4,41,
der Obergang von der charismatischen Ämterordnung pauli-
nischer Art zitr Frühform der Presbyterialverfassung andererseits
(320). Beides führe auf die Zeit zwischen 65 und 80.
Den Zusammenhang mit der apostolischen Zeit, der sich aus
dieser mehr äußeren Argumentation ergibt, sieht G. aber auch
theologisch begründet und bestätigt. Die „Dialektik des Schon
und Noch-Nicht", durch die die Hermeneutik des Briefes das
Eschaton vergegenwärtige, stelle ihn „in die Mitte des .apostolischen
' Zeugnisses" (55), das jedoch, hier wie in anderen
nachpaulinischen Schriften, „die christliche Existenz primär an
der Hoffnung, nicht wie Paulus am Glauben" orientiere (95:
vgl. 113, 9). Dieses Zeugnis spiegele sich etwa schon in der
Anrede „Fremdlinge": aus dieser Welt in die eschatologische
Existenz Berufene, und „Beisassen": diese Existenz in der
Geschichte Lebende und Bewährende (157) wider. Es sei
letztes Kriterium für die sozialethischen Maximen des Briefes
. Die bereits verliehene „Miterbenschaft der Gnade des
Lebens" setze den „geschichtlichen Lebensformen" „Grenze und
Ziel, hebe sie aber nicht auf" (222). Das schließt die Ansiedelung
dieser Ethik in der Anpassungs-Mentalität einer durch
Parousieverzögerung ernüchterten zweiten Generation aus.
Sie sei vielmehr unmittelbarer Ausdruck des urchristlich-
eschatologischen Selbstverständnisses und leite sich über bei
Paulus entwickelte Ansätze von der Jesus-Oberlieferung selbst
her (so speziell zur Ständetafeltradition S. 173f). Das schließt
nicht aus, daß G. die zugleich kritische wie missionarisch
intendierte Einordnung dieser Ethik in die der hellenistischen
Umwelt mit ihrem Idealty.p des kälos kaqathos nachdrücklich
konstatiert (162. 174). Paulinisches Erbe findet G. dagegen in
der Weise, wie der Brief „christliche Existenz in der Dialektik
von Indikativ und Imperativ" aussagt (HOff).
Ihematik und Methode bestimmen auch die Anlage des Kommentars. Nsch
der Voraussetzungen und Ergebnisse in geschlossener Darstellung in 5
Paragraphen behandelnden Einleitung (von J. Roloff ergänzt) wird der Text
in drei Hauptteile (nebst Präskript und Briefsdilufj): 1,3-2,10: .Existenz in
der Gesellschaft"; 2.11-4,11: .Beteiligung an und Leiden in der Gesellschaft";