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Ausgabe:

1979

Spalte:

60-63

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Thalmann, Rita

Titel/Untertitel:

Protestantisme et nationalisme en Allemagne 1979

Rezensent:

Nowak, Kurt

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59

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 1

60

Partee, Charles: Calvin and Classical Philosophy. Leiden:
Brill 1977. X, 163 S. gr. 8° = Studies in the History of
Christian Thought, XIV, Lw. hfl. 44,-.

Dieses Buch thematisiert ein Problem, das für die Calvin-
Forschung äußerst wichtig ist und das im Hintergrund vieler
Kontroversen um die systematische Gestalt von Calvins
Theologie steht. Beiläufig wird auch erkennbar, wie die
gegenwärtige Diskussion um das Verhältnis von Erfahrung
und Erkenntnis Anstöße zum Verständnis Calvins gegeben
hat. Auch zum Verhältnis Calvins zum Humanismus leistet
das Buch wichtige Beiträge.

Drei Teile behandeln Calvin und die Philosophia Christiana
, Calvin und die Philosophie sowie Calvin und die
Philosophen, wobei sich naturgemäß Überschneidungen,
aber auch Wiederholungen ergeben. Eine der Grundthesen
des Buches ist, daß Calvin die antike Philosophie nicht
systematisch, sondern historisch aufgenommen und verwertet
hat, d. h. daß er sich nirgendwo von philosophischen
Konzeptionen hat vereinnahmen lassen, sondern sie umgekehrt
stets seiner Theologie untergeordnet hat, indem er
sich exemplarisch auf sie bezogen und sie zitiert hat. Calvins
„Humanismus" besteht also darin, daß er das, was er
von der antiken Philosophie gelernt hat, christlich transformiert
und damit zu erkennen gibt, daß er auch die Weisheit
der Heiden als von Gott stammend ansieht, ohne sie
damit zu überschätzen. Nach P. steht Calvin in dieser Beziehung
etwa zwischen Zwingli und Melanchthon einerseits
und Luther andererseits.

Die Überzeugung, daß allein der Glaube — vermittelt
durch Wort und Geist — die Gottesbeziehung konstituiert,
bleibt für Calvin unangetastet. Was ihn von der optimistischen
Erkenntnistheorie der Antike bezüglich der Gotteserkenntnis
unterscheidet, ist die Überzeugung von der
Sündhaftigkeit des Menschen. Aber auch die Erfahrung ist
für Calvin nur relevant als Erfahrung, die durch die Schrift
und den Glauben vermittelt ist. Was die platonische Seelenlehre
betrifft, so möchte P. das Verhältnis von Unsterblichkeit
der Seele und Auferstehung des Leibes bei Calvin als
in ähnlicher Weise untrennbar beschreiben wie Calvins
Lehre von Gott dem Schöpfer und dem Erlöser.

Auch in der Ethik Calvins werden nach P. immer wieder
zunächst übernommene Grundsätze der Stoa durchbrochen,
auch wenn es damit zu logischen Schwierigkeiten kommt,
speziell in der Vorsehungs- und Prädestinationslehre. Eine
wichtige Ursache dafür liegt nach P. in der soteriologischen
Verankerung von Providenz und Prädestination bei Calvin.
Zwar gibt der verborgene Wille Gottes die ontische Basis
für die Rettung ab; ihre Verständnisbasis ist jedoch die
Offenbarung in Christus.

Teil 3 des Buches verfolgt unter der Überschrift „Calvin
und die Philosophen" (die dem Inhalt dieses Teils nicht
recht angemessen ist) die Frage, wie sich Calvins Vorsehungslehre
zum Vorsehungsproblem in der antiken Philosophie
verhält. Hier werden Calvins Distanz von Aristoteles
ebenso wie seine Ablehnung des Epikureismus wie
auch seine relative Nähe zum Piatonismus und seine differenzierte
Einstellung zur Stoa notiert. Die Vorsehung Gottes
ist für Calvin nur von Gottes Fürsorge für die Gläubigen
her zu verstehen. Nach P. besteht also eine tiefe innere und
strukturelle Verwandtschaft zwischen Calvins Prädestina-
tions- und Providenzlehre, die es gleichzeitig unmöglich
macht, die eine oder die andere als Deduktionsprinzip für
die gesamte Theologie zu verwenden.

Eine Bibliographie sowie zwei Register schließen die Untersuchung
ab. In der Bibliographie vermisse ich die Arbeit
von Ernst Saxer: Aberglaube, Heuchelei und Frömmigkeit.
Eine Untersuchung zu Calvins reformatorischer Eigenart,
Zürich 1970. Sie enthält u. a. wichtige Bemerkungen zu Calvins
Seneca-Kommentar.

Die Bedeutung des Buches von P. besteht darin, daß mit
ihm erneut der Unterschied zwischen Calvin und seinen
jüngeren Freunden und Schülern verdeutlicht wird. Ja, P.

nennt die philosophischen Entwürfe des niederländischen
Neucalvinismus, die sich mit ihrem Prinzip der Souveränität
Gottes z. T. auf jene Freunde und Schüler Calvins berufen
können, „eine Verdrehung des Denkens Calvins" (19).
Ferner dürfte das Buch Anlaß dazu geben, die These von
Calvins Biblizismus zu überprüfen. Aber auch auf die inneren
Zusammenhänge von Calvins Theologie fällt neues
Licht. Die Forschung wird gut tun, alle diese Gesichtspunkte
im Blick zu behalten.
Leipzig Ernst Koch

Baur, Jörg: Wahrheit der Väter — Hilfe für morgen. 400

Jahre Konkordienformel. Vortrag gehalten am 13. Mai

1977 im Hospitalhof Stuttgart. Stuttgart: Calwer [1977].

29 S. kl 8°. DM 2,90.
Beer, Theobald: Lohn und Verdienst bei Luther (MThZ 28,

1977 S. 258-284).
Bührer, Georg; Hobbs, R.Gerald; Senn, Matthias: Literatur
zur schweizerischen Reformationsgeschichte (Zwing.

XIV, 1977/2 S. 452-460).
Goertz, Hans-Jürgen; Talkenberger, Barbara; Wohlauf,

Gabriele: Neue Forschungen zum Deutschen Bauernkrieg

(MGB 34, 1977 S. 35-64).
Jurado, Manuel Ruiz: Hacia las fuentes del principio y fun-

damento de los Ejercicios (Gr. 58, 1977 S. 727-756).
Maron, Gottfried: Das Schicksal der katholischen Reform im

16. Jahrhundert (ZKG 88, 1977 S. 218-229).
Reinhardt, Klaus: Erfahrung des Geistes in der Mystik des

heiligen Johannes vom Kreuz (TThZ 87, 1978 S. 14-25).
Saxer, Ernst: „Siegel" und „Versiegeln" in der calvinisch-

reformierten Sakramentstheologie des 16. Jahrhunderts

(Zwing. XIV, 1977/2 S. 397-430).
Stayer, James M.: Die Schweizer Brüder (MGB 34, 1977 S. 7

bis 34).

Kirchengeschichte: Neuzeit

Thalmann, Rita: Protestantisme et nationalisme cn Alle-
magne (de 1900 ä 1945). Paris: Klincksieck 1976. 482 S. mit
10 Diagrammen, 2 Ktn. Skizzen, 22 Ktn., 4 Taf. gr. 8° =
Dialogues des Nations, 1.

Das vorliegende Buch der Direktorin des „Institut d'Etu-
des Germaniques" an der Universität von Tours besteht aus
vier, locker miteinander verbundenen Studien über Gustav
Frenssen, Walter Flex, Jochen Klepper1 und Dietrich Bon-
hoeffer sowie einem Einstiegskapitel, das sich mit Konfessionsstatistik
und Wählerverhalten in Deutschland beschäftigt
. Im historisch-politischen Ansatz ist es G. Castel-
lan, in der literaturwissenschaftlichen Methode R. Minder
verpflichtet. Sein Anliegen ist eine Innenschau des protestantischen
Nationalismus im Deutschland der ersten
Hälfte unseres Jahrhunderts auf der Basis von Leben und
Werk der genannten Autoren. Da die Literaturwissenschaft
Dichtern vom Schlage der Frenssen und Flex gemeinhin nur
Randbemerkungen widmet und auch die Geschichtswissenschaft
sie kaum der Aufmerksamkeit für würdig befindet,
bedurfte es wohl einer glücklichen Vermischung beider
Disziplinen, um des ideologischen Stellenwerts dieser Literaten
, Vertretern jener zweiten und dritten Garnitur in der
Geisteslandschaft, die die eigentlichen Multiplikatoren bestimmter
Zeitströmungen sind, innezuwerden. Mit ihrer
Analyse strebt die Vfn. zugleich einen Deutungsversuch des
Faschismus an, der über sozialökonomische Interpretationen
hinausgeht und vor allem das relative Eigengewicht des
ideologischen und politisch-psychologischen Faktors betont
.

Die Krankheitsgeschichte des protestantischen Geistes in
Deutschland ist oft beschrieben worden. Auch die kirchlich-