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Ausgabe:

1979

Spalte:

801-803

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Steck, Odil Hannes

Titel/Untertitel:

Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift 1979

Rezensent:

Schmidt, Werner H.

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

802

R. Mortley, L'historiographie profane et les Peres
(315-327);

P. Prigent, Thallos, Phlegon et le Testimonium Flavianum;

Temoins de Jesus? (329-334);
M. Smith, On the history of the "Divine Man" (335-345);
G. Widengren, Reflexions sur le bapteme dans la

chretiente syriaque (349-357).

T. H.

Altes Testament

Steck, Odil Hannes: Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift.

Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen
Problematik von Genesis 1,1 - 2,4a. Göttingen: Vanden
hoeck & Ruprecht [1975J. 270 S. gr. 8° = Forschungen zur
Religion und Literatur des Alten u. Neuen Testaments, 115.
Kart. DM 50,-., Lw. DM 56,-.

Ein Versuch, den Werdegang der zwar planvoll aufgebauten
und zielstrebig verlaufenden, aber doch auffällig komplexen
Schöpfungsgeschichte von Gen 1 zu erklären, hat mehrere
Sachverhalte zu berücksichtigen:

a) die vielfältigen Schöpfungsvorstellungen (wie Gottes
„Madien", .Schaffen", .Sprechen", .Nennen", .Segnen", Nachklänge
an den Mythos von der Mutter Erde) und verschiedenen
Redeweisen (wie die Billigungsformel „und Gott sah, dafj es
gut war"),

b) die Beziehungen zu einigen alttestamentlichen Texten
(wie Ps 136, 7-9; auch Ex 20, 11 u. a.)

c) die Berührungen mit dem babylonischen Weltschöpfungsepos
Enuma elis,

d) mancherlei Unebenheiten im Aufbau von Gen 1 : die
Diskrepanz zwischen acht Werken Gottes und sechs Tagen
(so dafj etwa die Scheidung des Wassers auf zwei Tage verteilt
, aber die Erschaffung von Landtieren und Menschen zu
einem Tag zusammengefaßt werden), gewisse Unstimmigkeiten
zwischen Wort- und Tatbericht, Stellung und Funktion
der Zustandsbeschreibung 1,2, das göttliche „Wir" in 1,26
oder auch das Fehlen eines Segens für die Landtiere (l,23f gegenüber
1,22).

Wie wird die Entstehung einer so spannungsvollen Texteinheit
verständlich? Literarkritisch? Kaum. Überlieferungsge-
schkhtlich oder traditions- bzw. vorstellungsgcschichtlich? St.
wendet sich gegen die übcrlieferungsgeschichtliche Erklärungsweise
, die „den vorliegenden Text als Endpunkt eines
Werdeganges betrachtet, den der Text unter mancherlei Wandlungen
und Umgestaltungen durchlaufen hat" und versteht
ihn „als ein von Anfang an in all seinen Bestandteilen einheitliches
Stück" (26f), dessen Vorstellungselemente „aus sehr
verschiedenen Überlieferungskontexten als mobile Wissensstoffe
und Bildungsgehalte zuhanden" waren (28). „Der Text trägt an
keiner Stelle Spuren eines allmählichen Werdens von der Art
an sich, daß korrigierende, interpretierende, modifizierende
Wachstumsschichten im Laufe der Zeit übereinander gekommen
wären."1

Strittig ist demnach nicht, ob die Schöpfungsgeschichte in
ihrer vorliegenden Form ein in sich geschlossener und „stimmiger
" Text ist, sondern die Frage seiner Entstehung: Ist Gen 1
in allen Teilen „gleichursprünglich", nämlich in einem Zug von
P entworfen, oder erlauben gewisse Unebenheiten im Text
noch Rückschlüsse auf eine vorgegebene Überlieferung?

Zunächst drängt sich bei einer solchen Fragestellung die
Einsicht auf: In bestimmten Textbereichen, wie Gen 1-3, hat
Exegese mittlerweile einen kaum mehr überbietbaren Grad
der Verfeinerung (und des Aufwands) erreicht. Gerät exegetisches
Nachdenken hier nicht an seine Grenzen?- Wo liegen
angesichts dieser Situation .Scheinbeobachtungen" (118), von
aufjen „herangetragene exegetische Vormeinungen" (243; vgl.
203f. 245), wo objektivierbare Kriterien vor, die eine eindeutige
Entscheidung erlauben?

Allerdings hat M. Welker die Argumentation gegen die
Trennung von Wort- und Tatbericht gepriesen: Die Arbeit am
AT hat „es vermocht, das Denken der Schrift selbst gegen eine
exegetische Tradition wieder in Kraft zu setzen". „Die Konsequenzen
dieser exegetischen Korrektur einer auf unbefragten
gedanklichen Voraussetzungen (Trennung von .Theorie' und
.Praxis') beruhenden Auslegungstradition werden das theologische
Denken über den Bereich exegetischer Arbeit hinaus
prägen".3

Zweifellos ist eine Intention von Gen 1, wie überhaupt der
Priesterschrift, die Übereinstimmung von Wort und Geschehen,
die „Wirklichkeitswerdung" des Wortes. Sind aber Überlieferung
und Intention eines Textes nicht zunächst einmal auseinanderzuhalten
? Eine Erklärung, die beidem gerecht zu werden
sucht, könnte religionsgeschichtliche und theologische
Fragestellung, Einsichten in die Berührung des Textes mit der
altorientalischen Tradition und in die Eigenaussagc des Textes
, verbinden.

Daß überlieferungsgeschichtliche Erklärung „den Schöpfungsbericht
gegenüber dem Befund in den Erzählungen der
Grundschrift der Priesterschrift ziemlich isolieren dürfte"
(St. 21), wird man deshalb kaum behaupten können, weil
Gen 1 innerhalb der Priesterschrift von sich aus ziemlich isoliert
dasteht. Wo bietet P sonst eine geschlossene Darstellung
von solcher Komplexität? Ist etwa Gen 17 oder Ex 6 nicht
schlichter, einheitlicher, homogener gestaltet?''

1) Hätte eine völlig frei gestaltende Priesterschrift Gen 1,2
nicht glatter formuliert? In dieser Beschreibung des Vorschöp-
fungszustandes ist der Anteil vorgegebener, auch dem alten
Orient vertrauter Traditionselemente besonders hoch (vgl. St.
228f). Hält man an der traditionellen Deutung von 1,2b auf
den von Gott ausgehenden, starken Wind fest, „muß man mit
einer Inkonsequenz von P rechnen, ... in Gen 1 eine Partikel
eines in 1,2 doch verarbeiteten Überlicferungsstücks annehmen
, die P aus Pietät vor der Tradition einfach stehen gelassen
hätte" (234). Fügt sich aber die von St. bevorzugte
Deutung von rwvh als „Atem Gottes vor dem Sprechen" zu
dem Verb riip? Die Übersetzung „der Atem Gottes war in
Bewegung über den Wassern" charakterisiert St. selbst als
„singuläre Aussage" (236971)- Bedenkt man, dal) V 2 nur schwer
mit der überschriftartig, das Ganze zusammenfassenden Aussage
von V 1 („Gott schuf alles") und dem Einsatz des schöpferisch
wirksamen Gotteswortes in V 3 harmoniert, wird man
in V 2 doch eher ein vorgegebenes, von P überarbeitetes „Überlieferungsstück
" erkennen.

2) Nach St. stammt „auch die in Gen 1 gebotene Abfolge der
Schöpfungswerke von P" (200f; vgl. 213. 220. 251f). Sieht man
einmal von der Frage ab, ob sich die Tageszählung wirklich
nahtlos zur Ordnung der acht Schöpfungswerke fügt (und
ilinen gegenüber nicht eher ein jüngeres Interpretationselement
ist), dann bleibt doch das Problem bestehen, wie sich
Gen 1 zu ähnlichem Überlieferungsgut verhält. Speziell das
babylonische Weltentstehungsepos Enuma elis zeigt mancherlei
Gemeinsamkeiten im Aufbau mit Gen 1 (u. a. etwa: Meer
und dessen Teilung - Gestirne - Ankündigung der Erschaffung
des Menschen und Ausführung - göttliche Ruhe), so dafi beide
Texte in einem überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang
stehen werden. In diesem Rahmen wird auch das innerhalb
von Gen 1 auffällige „Wir" Gottes (1,26), das babylonische
Tradition aufgreift, verständlicher. So liegt m. E. die Annahme
näher, daß der Handlungsablauf mit der Folge der
Werke P vorgegeben ist."' Dies bedeutet, dal) P in Gen 1 nicht
nur einzelne „mobile Wissensstoffe", sondern die „reihende Anlage
" (27f) aufgreift.

3) Lassen sich gewisse Unterschiede zwischen Wort- und
Tatbericht, Ankündigung und Ausführung, noch überzeugend
erklären, wenn beide Teile „gleichursprünglith" sind? Warum
nennt nur der Tatbericht 1,21 die Meeresungeheuer? Warum
erfolgt die Erschaffung der Gestirne nach l,16f anders als nach
l,14f in zwei Akten? Mag man den Wortbericht „und Gott
sprach" für eine jüngere Intcrprctationsschicht halten oder
nicht, in jedem Fall hat er für die Schöpfungsgeschichte konstitutive
Bedeutung.