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Ausgabe:

1979

Spalte:

795-798

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Transzendenz und Immanenz, Philosophie und Theologie in der veraenderten Welt 1979

Rezensent:

Langer, Jens

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795

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 11

Dekaloys stehen. Man kann ihn mit Recht als „Magna Charta
der Humanität" bezeichnen, der implizit in den Geboten die
Grundwerte des Lebens, der Liebe, der Verbundenheit mit den
Eltern, der Ehre, des Eigentums, der Gemeinschaft etc. aufrichtet
. Diese Werte kommen auf uns zu in der geschichtlichen
Überlieferung und in der heutigen sozialen und politischen Gestaltung
und werden zur Herausforderung angesidits des bedrohten
Wechselverhältnisses von Mensch und Natur in allen
seinen Spielarten.

Die theologische Ethik versteht diese Werte und ihren Anspruch
an uns als Anspruch Gottes. Bereits im Alten Testament
und noch deutlicher im Neuen Testament zeigte sich die
Notwendigkeit, die einzelnen Gebote bzw. Wertvorstellungen
zu einem Grundgebot zusammenzufassen, dem Gebot der Gottes
- und Nächstenliebe. Gewiß ist dieses Grundgebot wegen
seiner biblischen Authentizität von unüberbietbarer, bleibender
Gültigkeit gerade in diesem Wortlaut. Von bleibender Bedeutung
ist auch, die Inanspruchnahme durch Gott gerade -
wie es im Gebot der Nächstenliebe der Fall ist - im Blick auf
den ganz konkreten „Nächsten" zu sehen. Das schließt nicht
aus, Formulierungen zu suchen, die zeitbedingte Akzente setzen
. Heute ist es wichtig zu betonen, daß Nächstenliebe über
alles elementar Caritative hinweg auch die Lebensbedingungen
und beispielsweise auch das „Denken" der Menschen einschließen
muß. Das alles scheint mir gut zum Ausdruck zu
kommen in Formulierungen wie diesen: Leben in Schutz, in
Obhut nehmen!

Letztlich liegt - theologisch gesehen - die Ermächtigung zu
solchen geschichtlich bedingten Formulierungen in der Geschichtlichkeit
Gottes. Das, was christliche Ethik zur Theologie
macht, ist dieses, daß sie als Teil der systematischen Theologie
sich integriert in die Wirklichkeit des geschichtlichen Gottes,
aus dessen alle Wirklichkeit umfassendem Zuspruch und Anspruch
die universale Forderung kommt, Leben in Obhut zu
nehmen.

1 Die herausragende Bedeutung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
und der Trinitätslehre für die „innere Sachlogik" der Dogmatik betont
auch G. Ebeling: „Am tiefsten in den inneren Sachnexus - unter Berücksichtigung
der für ihn konstitutiven Dialektik - führt die an Paulus orientierte
reformatorische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, sofern es gelingt,
sie aus der Isolierung zu einem theologischen Speziallocus und der Erstarrung
zu einer historischen Lchrform herauszulösen und mit ihr als einer Anleitung
zu theologischer Urteilsfähigkeit umzugehen. Auf die Gesamttradition
christlicher Theologie gesehen, stellt die Trinitätslehre einen solchen umfassenden
Kanon dogmatischen Denkens dar." (G. Ebeling, Studium der Theologie
. Eine enzyklopädische Orientierung. Tübingen 1975, S. 144-145).

Allgemeines

I'apenfuss, Dietrich, u. Jürgen Söring [Hrsg.J: Transzendenz und
Immanenz. Philosophie und Theologie in der veränderten
Welt. Internationale Zusammenarbeit im Grenzbereich von
Philosophie und Theologie. Tagungsbeiträge eines Symposiums
der Alexander-von-Humboldt-Stiftung Bonn-Bad Godesberg
, veranstaltet vom 12. bis 17. Oktober 1976 in Ludwigsburg
. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer (1977). XVI,
519 S. gr. 8° = Internationale Fachgespräche. Lw. DM 98,-.

46 Autoren aus rund 20 Ländern auf 4 Kontinenten präsentieren
in diesem auch äußerlich ansehnlichen Band ihre an Umfang
, Gestalt und Substanz sehr unterschiedlichen Beiträge. Die
Grenzen einer Rezension liegen damit auf der Hand.

Die Gliederung wird als eine erste Orientierungshilfe dankbar
zur Kenntnis genommen: 1. Das Verhältnis von Glaube
und Wissen, 2. Gott und das Absolute (mit den Abteilungen:
Wandlungen des Gottesbegriffes, Konzeptionen des Absoluten),
3. Die politisch-soziale Welt im theologischen und philosophischen
Denken (mit 4 Abteilungen: Grundfragen der politischen
Theologie, Aspekte der Öko-Theologie, Moraltheologische und
philosophische Ethik, Überlegungen zur Ideologie-Frage).

In der Fülle des Gebotenen nennt Rez. gern einige Aufsätze
im voraus, die für das Mosaik einer umfassenden ökumenischen
Theologie wichtig sein können und damit den von
G. Wingren1 vor einem Jahrzehnt beklagten theologischen Provinzialismus
aufzulockern vermögen: H.-O. Kvist berichtet

über die Gottesfrage in der gegenwärtigen schwedischen Religionsphilosophie
(185-201), J. Glebe-Moller über die
Positionen, die die dänische Theologie in der aktuellen moral-
philosophischcn Debatte einnimmt (393-403); G. Saito,
Der deutsche Idealismus und die Religion (179-184) stellt mit
Nishida (1870-1945) und Tanabe (1885-1962) zwei japanische
Denker vor. Damit gibt es weitere Bausteine, die die Umrisse
der theologischen Situation überschaubar strukturieren helfen.
Entsprechende Einblicke liegen bisher z. B. für Frankreich-
und - nicht so umfassend - für einige andere Länder3 vor.

Der erste Teil beginnt mit dem Aufsatz von K. Hartmann
, Die Konkurrenz spekulativ-philosophischer und theologischer
Wahrheit (3-28). Vf. konstatiert die Ernüchterung gegenüber
einer protestantischen Theologie, die sich im theoretischen
Bereich von der Metaphysik zurückgezogen hat auf das
Kierkegaardsche Glaubens Verständnis. Im Blick auf die katholische
Theologie ist er gewillt, abzuwarten, „ob sie trotz her-
meneutischer Revision ihre supranaturalistische Standfestigkeit
behauptet" (28). H.s Ernüchterung gilt ebenso den „praktisch
gewendeten Theologien" (ebd.), sofern sie sich gegen die
Metaphysik wenden. Sie müssen nach H. Randerscheinungen
bleiben und sind unfähig, die Welt christlich zu gestalten.
„Eine erneute Synthese, wie zu HEGELS Zeiten, kann nicht
erhofft werden" (ebd.). Dieses charakteristische Fazit bezieht
sich indirekt bereits auf Aspekte des dritten Teils. W. K 1 u -
x e n , Voraussetzungen einer philosophischen Theologik (29
bis 46), akzentuiert in ähnlicher Weise. Die Theologie müsse
sich wieder auf ihre theoretische Aufgabe besinnen. Darin
besitze die Theologik Chancen, weil die aufs „Ganze" verweisende
„Sinnfrage" auch gegenwärtig virulent sei. Allerdings
gäbe es diese Chance für die Theologik nur dann, wenn ein
Theorie-Begriff gestattet werde, der „Wahrheit" intendiere.
Vf. ist sich darüber im klaren, daß für die Theologik heute
andere Bedingungen gelten (würden) als in ihrer klassischen
Zeit. G. Janoska, Zur Unterscheidung von Glaube und
Wissen: Eine systematologische Betrachtung (47—52), stellt verschiedene
Lösungsversuche zu seinem Titelproblcm vor.
A. R i g o b e 11 o , Glaubenserfahrung und die Struktur des
Wissens als Hermeneutik (53—60), versucht, das gemeinsame
Merkmal von Glaubenserfahrung und philosophischer Erkenntnis
zu benennen, „ein Merkmal, in dem der Erkenntnisaspekt
mit der Ernsthaftigkeit der Erkenntnisintention verschmilzt'
(59). Er nennt es „Kampf um Sinnbedeutung" (ebd.). N. Nathan
, Rationalität und Begründung (61-66), befaßt sich mit
der Erklärung des vernünftigen und begründeten Glaubens im
kritischen Rationalismus von W. W. Bartley und H. Albert.
Problemstellungen, die bereits bei Hartmann und Kluxen begegneten
, greift F. Inciarte in seinem Beitrag auf, der
den Titel trägt: Wahrheit oder Sinn? Ein Konvergenzpunkt
zwischen analytischer Philosophie und hermeneutischer Theologie
(67-71). Den Glauben vor dem gänzlichen Bruch „mit
dem Weg der wesensweisen Reflexion" zu bewahren, ist auch
das Anliegen von D. S i n h a , Äquivalenz von Wissen und
Glauben. Eine phänomenologische Möglichkeit? (93-99). Reformatorischem
Denken teilweise recht nahe steht M. Benedikt
, Verwandlungsglaube in Anbetracht vergeblicher Gestalten
von Wissen und Glauben (101-118). Vf. betont, daß
durch den Verzicht auf eine vom Vater getrennte Doxa, also
Verzicht durch Kenosis, erst der Geist wirksam wird. Die Untersuchungen
von M. C a s u 1 a , Die Beziehungen zwischen
Vernunft und Offenbarung bei den Frühkantianern (73—87), und
M. A. Presas, Zur Philosophie als Glaube bei Karl Jaspers
(89-92), gehören mit ihrem speziellen Charakter noch ganz in
den ersten Teil dieses Bandes. Zwei andere Aufsätze dagegen
weisen m. E. schon in den dritten Teil hinüber und veranschaulichen
so den Zusammenhang aller hier gegenwärtigen
Reflexionen: G. Petrovic, Glaube, Wissen und Denken
(131-142), hebt u. a. das Spezifische eines „Denken(s) der Revolution
" (142) gegenüber Wissen und Glauben hervor. J. L.
Mchta, Jenseits von Glaube und Wissen (119-130), dringt
darauf, die Religionen anderer Völker verstehen zu lernen und
dabei auch den eigenen Glauben verändern zu lassen/' Das
ließe den Menschen wachen „über die Wege seines eigenen