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Ausgabe:

1979

Spalte:

777-779

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Bilanz der niederländischen Kirche 1979

Rezensent:

Geense, Adriaan

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 10

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besonders in gegenwärtig aktuelle Probleme hinein. Drei seien berührt
:

1. Die katholische Mission hat ihrer Tradition folgend ein sehr
weitreichendes Verständnis für .. Indigenisation". Was Vf. hier beibringt
, macht aber, jedenfalls für den evangelischen Leser, einmal
mehr die Frage drängend, wo die Grenze für das Bemühen liegt,
•.altheidnische Bräucho direkt zu verchristlichen" (235).

2. Es wird gezeigt, daß die Versuche der „Verchristlichung" die
" urzeln des Heidentums nicht erreichten. Heidnisches und Christliches
existierten nebeneinander. Noch 1928 stellt z. B. „Bischof
Oogarty von Kilimanjaro kurz und nüchtern fest, ein Verbot der
Beschneidung und der damit verbundenen Reifefeste bedeutete
•das Ende jeder Bekehrungsarbeit'" (210). Hier wird man fragen
müssen: Galt das mir für die katholische Mission? Hat der Lutheraner
Bruno Gutmann mehr erreicht? Und wie ist die Lage heute?

3. Gemeindeformung vollzog sich unter dem Leitbild der Kirche
als der vollkommenen Gesellschaft (174). die sich darum für berechtigt
hält, den einzelnen total in Anspruch zu nehmen. Vf. berichtet
von der daraus erwachsenden Krise: „Mit der Entwicklung
des Landes wurden immer mehr Leute in einen eigentlichen Arbeitsprozeß
einbezogen und hatten nicht mehr die Zeit, regelmäßig
lange Stunden einem Katechismusunterricht auf der Mission beizuwohnen
" (201). Zur Vermeidung dieser Krise hätte es einer anderen
Einstellung zur politischen, sozialen und allgemein gesellschaftlichen
Entwicklung Afrikas bedurft, als sie aus dem folgenden
bischöflichen Visitationsbericht spricht: „Wir müssen uns mit
den Verhältnissen abfinden und zu retten suchen, was zu retten
ist" (ebd.). Hie Frage stellt sich: Ist die Vorstellung der Kirche als
der Societas perfecta, in der das Dilemma seino Wurzel hat. ein
Proprium der katholischen Theologie, mit der dann die katholische
Kirche und Mission auch allein fertig werden muß? Oder zielt protestantischer
Christokratismus in seinen Auswirkungen auf Ekkle-
siologie und Gesellschaftslehre in die gleiche Richtung? Die vorliegende
Studie macht jedenfalls auch an diesem Punkt deutlich,
daß manche der in der ökumenisch-missionarischen Praxis schon
um die Jahrhundertwende aufgeworfenen Probleme bis heute
nicht hinreichend aufgearbeitet sind.

Der kurze Schlußteil berichtet von der jungen Kirche in der Bewährungszeit
des ersten Weltkriegs. Das Urteil ist positiv: „Die
junge afrikanische Kirche war erwacht und versuchte, auf eigenen
Füßen zu stehen. Es begann eine neue Phase: Die Zeit der missionarischen
Grundlegung mündete ein in die Zeit der kirchlichen
Entfaltung" (247).

Ein Anhang bringt „Das katechetischo Lehrmaterial", Angaben
über die römisch-katholische kirchliche Organisation in Ostafrika
einschließlich zweier Tafeln, biographische Daten und ein ausführliches
Register.

Man kann nur hoffen, daß der inzwischen zum Abt von Ndanda
(Tansania) gewählte Vf. neben seinen neuen Amtspflichten Zeit
findet, den II. Teil des Werkes, dor der christlichen Verkündigung
in der Zeit der kirchlichen Entfaltung 1920-1970 gelten soll, bald
folgen zu lassen.

Leipzig Siegfried Krflgel

Bilanz der niederländischen Kirche. Eine krit ische Würdigung ihr er
Theologie und Praxis, mit Beiträgen von H. Boeracker, Th. A. G.
van Eupen, P. Huizing, R. van Kessel, J. F. Lescrauwaet, W.
Veldhuis, J.A. van der Ven, A. Scheer, 0. Steggink. Übers, v.
H. Zulauf. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1970]. 291 S. 8° = Pat-
nuxs-Paperback. DM 13,80.

Die Bilanz der niederländischen Kirche, die hier gezogen wird,
ist die Bilanz der römisch-katholischen Kirche in den Niederlanden
. Alle anderen Kirchen bleiben außerhalb des Gesichtsfeldes
dieses Buches. Trotzdem ist es verständlich, daß der Begriff „Die
niederländische Kirche" im römisch-katholischen Bereich etwas
Einheitliches und Besonderes vermittelt: das Bild einer Kirche,
die während und nach dem Vatikanum II, begünstigt durch besondere
nationale und persönliche Bedingungen, sich im Aufbruch befindet
und damit viele inspiriert, manche aber auch schockiert hat.

In diesem Buch versuchen nun die Autoren Rechenschaft von
dem zwischen 1900 und 1974 zurückgelegten Weg abzulegen. Das

Ergebnis ihrer Bemühungen ist ein sich abzeichnendes Gesamtbild,
das es durchaus verdient, in dieser Übersetzung auch dem deutschsprachigen
Ausland bekanntgemacht zu werden. Das Ausland hat
sich übrigens schon seit dem Vatikanum TI an der Meinungsbildung
über den niederländischen Katholizismus beteiligt. Die Absicht der
Vf., ist nun eine Bilanz dadurch zu ermöglichen, daß die positiven
Entwicklungen hervorgehoben werden sollen. Es sind genug
negative Inventarisierungen in Umlauf, die immer Einzelaspekte
hervorheben und dadurch verzerren, weil sie nur in einem Gesamtbild
richtig beurteilt werden können. Als positive Kriterien, an der
die Gesamtentwioklung gemessen werden soll, nennt J.F.Lescrauwaet
in seiner Einführung den pastoralen Charakter der theologischen
Erneuerung, das zunehmende Interesse für die Person in
ihrer eigenen Verantwortung neben dem Glauben der Kirche, den
Dialog, die Menschlichkeit, das gesellschaftliche Interesse, die
Eschatologie und die Katholizität.

Die folgenden Beiträge versuchen nun von besonderen Teilgebieten
der Theologie und des kirchlichen Lebens aus die Konvergenz
der Entwicklung in diesen Gebieten zu einer einheitlichen
Bewegung darzulegen. W. Veldhuis berichtet über ..Entwicklungen
in der Christologie", im besonderen über die auch international
bekannten Theologen wie A. Hulsbosch. P. Schoonenberg
und E. Schillebeeckx. dessen 1974 erschienenes opus magnum:
..Jesus, die Geschichte eines Lebenden", gerade noch in diesen Bericht
einbezogen werden konnte. H. Boeracker untersucht die
Vorlagen des ersten niederländischen pastoralen Konzils in Noord-
wijkerhout nach den ihnen zugrunde liegenden theologischen Gesichtspunkten
. Die beiden nächsten Heiträge von Th.A.G. van
Eupen. ..Überblick über die Entwicklungen innerhalb der Moraltheologie
", und P. Huizing, „Entwicklungen im Kirchenrecht"
übersteigen insofern den beschreibenden Dukt us des (iosamtbuches
als sie in ihren Artikeln eine ausgeprägte soziologische Theorie bzw.
eine eigene theologische Konzeption zugrunde legen. Dor spezifisch
niederländische Charakter der Entwicklung tritt bei dieser Aufstellung
allgemeiner (und wichtiger) Gesichtspunkte aber in den
Hintergrund. Dagegen führt wiederum besonders in die niederländischen
Verhältnisse ein der Beitrag von A. Scheer. „Die Litur-
gieerneuerung seit dem Zweiten Vatikanum". reich an Material
und anregenden Gesichtspunkten.

Sozusagen das Herzstück des Buches ist der sorgfältig gearbeitete
Aufsatz R. van Kessels, „Theologie und Amtsführung seit
dem Zweiten Vatikanischen Konzil". Hier wird die Verbindung
von Theologie und Amtspraxis der Kirche, die für die Entwicklung
in den Niederlanden so charakteristisch ist, am deutlichsten herausgearbeitet
und zur hermeneutischen Grundregel für die Beurteilung
dieser Entwicklung gemacht. In Abgrenzung von einer
ossentialistischen Theologie komme alles darauf an. in welchem
Kontext die theologischen Grundwörter und Grundpositionen
funktionieren. Durch die Nichtbeachtung dieser Regel konnten
gerade in der Kommunikation ausländischer Theologen mit den
niederländischen Kollegen Mißverständnisse und Kurzschlüsse
entstehen.

J.A. van der Ven untersucht unter dem Titel: ..Katechese.
Hoilsgesehichte und Zukunft" den Zusammenhang zwischen der
theologischen Auffassung von Offenbarung und der Methode der
Katechese. Seit 1964 (Erscheinungsjahr des neuscholastischen
Neuen Niederländischen Katechismus) brach die niederländische
Katechese endgültig mit der Vorstellung von Offenbarung als
identisch mit einem deposituni fidei von unwandelbaren Wahrheiten
. Auch hier ein sehr gehaltvoller Beitrag über die Interaktion
von Theologie und Praxis. O. Steggink. „Glaubensleben in der
Entwicklung", entwirft eine Typologie der verschiedenen Glaubensweisen
, die aber wiederum nur z. T. für niederländische Verhältnisse
charakteristisch ist.

Das Buch wird abgeschlossen mit einem Beitrag von J. F. Lescrauwaet
. „Bischöfliche Amtsführung im Dialog", indem er darlegt
, wie sehr die niederländischen Bischöfe als Gesamtkollegium.
jedenfalls bis zur Ernennung von A. Simonis in Rotterdam und
J. Gijsen in Roermond, versucht haben, positiv auf die Entwicklung
in ihrer Kirchenprovinz einzuwirken. Damit wird die kirchenpolitische
Bedeutung dieser Entwicklung klar vor Augen geführt.

Seit dem Abschluß des Buches (1974 in der Originalfassung) ist
dem niederländischen Katholizismus schon wieder manches pas-