Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

771-773

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hollweg, Arnd

Titel/Untertitel:

Gruppe, Gesellschaft, Diakonie 1979

Rezensent:

Krusche, Günter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

771

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 10

772

„Conclusions generales" (308-314) beschließen das Werk. Sie
weisen zunächst auf die theologischen Probleme der oratio hin.. Es
geht bei dieser Gebetsform immer um objektive Inhalte wie den
Aufschub des Weltendes oder etwa „pro aeria temporie". Diese
Gebete wollen also nicht subjektiv das Herz des Menschen wandeln
, um es dem Evangelium anzupassen. Gerade hierin erkennt
Vf. für unsere Zeit ein Problem, das nach seinen biblischen und
theologischen Grundlagen erforscht werden sollte. Weiterhin gelte
es im Blick auf den inneren Zusammenhang zwischen der Häufung
von Litaneien und Kyrie-Rufen mit dem unaufhörlichen Jesus-
Gebet („Herr Jesus, erbarme dich meiner!") dessen historischen
Wurzeln wie seinem geistlichen Wert nachzugehen. Im 2. Abschnitt
wird die Entscheidung für die Bezeichnung „o.un." noch einmal
zusammengefaßt begründet. Ein S.Abschnitt wendet sich dem Inhalt
dieser oratio und der Problematik fester Formulare überhaupt
zu. Aus erntetem nur hier den auch für uns Evangelische nicht genug
zu beachtenden Satz: „Das erste Ziel ist zu beten, nicht zu
lehren" (311). Zur zweiten Frage darf wohl das Ergebnis als ebenso
aktuell gelten: Stereotype Formulare sind zu allgemein, um zu
anderen Zeiten, unter anderem Himmel Verwendung finden zu
können. Darum sind zu verschiedenen Zeiten die verschiedensten
Änderungen und besonders Vereinfachungen festzustellen, aber
,.sans qu'on en cree d'autres ou qu'on les actualise; si on a adapte
leur forme liturgique, on n'a pas enrichi leur contenu" (312). Doch
weist Vf. zum Schluß darauf hin. wie schon der Unterschied des
lateinischen vom französischen Sprachrhythmus den übertrieben
..traditionellen" Gebrauch der überkommenen Gebetsformulare
hemmen sollte. Er schließt mit der Mahnung: „Deoelons les cause»
qui ont amene nos ancetres a, en utiliser. et prenons acte zu fait que
nous vivons une autre cpoque et que nous parlons une autre lan-
gue" (313). Vf. beschließt sein Werk mit einer kurzen ..Bilanz":
A. Der Ertrag der Untersuchung. B. Die offengebliebenen Probleme
. Unter C. weist er auf die Perspektiven für die theologische
Weiterarbeit an seinen Forschungsergebnissen hin. Um die ..o. un."
zeitgemäß erneuern zu können, bedürfe es gegenwärtig einer theologischen
Untersuchung über das Bittgebet; denn ..les hommes
d'aujourdhui ont besoin d'en retrouver. gräce aux fondements neo-
testamentaires et traditionnels, la justification et les conditions de
legitimite" (314).

Eine Bibliographie, einschließlich einer Zusammenstellung der
benutzten Manuskripte, (315-336), ein Verzeichnis der „Incipit"
der wiedergegebeflfen oder zitierten Texte und ein Autorenverzeichnis
, dazu ein Verzeichnis der häufigsten Sigel auf Einlegeblatt
machen diese ertragreiche Untersuchung allen Interessenten in
dankenswerter Weise zugänglich.

Greifswaid William Nagel

Praktische Theologie: Diakonilc

Hollweg, Arnd: Gruppe, Gesellschaft, Diakonie. Praktische Erfahrung
und theologisches Erkennen. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1976]. 278 S. 8°. Kart. DM 34,50.

Schon 1971 hatte der Vf. mit dem Buch ..Theologie und Empirie.
Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften
in den USA und Deutschland" ein Programm vorgetragen
, das trotz zahlreicher Diskussionsbeiträge noch weithin unerfüllt
geblieben ist . Ausgehend von Erkenntnissen und Ergebnissen
der Gruppendynamik in der kirchlichen Praxis der USA war er zu
einem ganzheitlichen WirklichkeitsVerständnis vorgestoßen, in
dem die vielfältigen Aspekte menschlichen Daseins und das Prozeßgeschehen
der Geschichte Gottes mit dem Menschen derart aufeinander
bezogen sind, daß die herkömmliche Dichotomie (abendländischen
) theologischen Denkens überwunden und ein interdisziplinärer
Dialog zwischen Theologie und Sozialwissenschaften ermöglicht
wird. Dabei wird den einzelnen Humanwissenschaften
ihre Eigenart wie ihre Eigenverantwortung belassen, entlassen
weiden sie jedoch nicht aus der Verantwortung für den Menschen.
H. sieht den Erkenntnisvorgang nicht unabhängig von dem der
Wirklichkeit verpflichteten Handeln des Mensehen. So ist ihm

Theoretisieren ohne Wirklichkeitsbezug unmöglich. Innerhalb des
wissenschaftlichen Dialogs sieht er die Aufgabe der Theologie dar in
, „die Frage des Glaubens inmitten einer technisch-wissenschaftlichen
Kultur zu stellen" (Theologie und Empirie. 403).

Das anzuzeigende Buch will als Weiterentwicklung des beschriebenen
Denkansatzes verstanden werden. Seinen besonderen Praxisbezug
erhält es durch die Erfahrungen des Vf. in einer verantwortlichen
Stellung im Bereich der Diakonie. Dadurch wird nicht
nur der theoretische Ansatz (teilweise selbstkritisch) weiteren! wik-
kelt. sondern darüber hinaus die diakonische Arbeit der Kirche
theologischer Reflexion unterworfen - ein dringend notwendiges
Unternehmen! Besonders hervorgehoben zu werden verdient H.s
Neufassung des Verhältnisses von Maturwissenschaft und Humanwissenschaft
, das nun differenter als 1971 beschrieben wird, indem
Eigenständigkeit und Zuordnung beider genaxier bestimmt werden.
Dabei wird vor allem die komplexe Str uktur der Humanwissenschaften
betont, die es verbietet, einlinig, monokausal, rein technisch
an die menschlichen Probleme heranzugehen, deren Kennzeichen
ja die Tnterdependenz, die Wechselbeziehung ist. In diesem
Zusammenhang ist Kap. I: ..Erfahren und Erkennen in Teilhabe
an der Lebenswelt. Grundzüge komplementären Denkens"
besonders wichtig. Ausgehend von erfahrener Gemeinschaft und
wechselseitiger Annahme, wie sie in einem offenen Gruppengespräch
erlebt, wurden, erschließt H. eine Erfahrung von Wirklichkeit
, die nicht nur an den Objekten der Spezialwissenschaften
orientiert ist. sondern vom Ganzen der Tiebenswirklichkeit ausgeht
, in der „alles mit allem" zusammenhängt. Diese Wirklioh-
keitserfahrung kann vom einzelnen ebensowenig absehen wie von
der Gruppe, der er angehört, noch von der Gesellschaft, die beide
umgibt und prägt. Auch die herkömmliche Trennung von Subjekt
- Objekt, Körper und Geist, Technik und Leben wird durch eine
neue Zusammenschau abgelöst. Im Horizont solchen Wirklichkeitsverständnisses
wird Gottes Wirken bezeugt, geschieht Diakonie
, wird die Tdentitätsfrage für den Menschen gestellt. Nur so
bleibt theologische Reflexion vor Praxisfremdheit bewahrt und erliegt
nicht technisch-instrumentalem Denken.

Von dieser ganzheitlichen Schau her wird das Spannungsfeld
kenntnisreich und praxisbezogen reflektiert, das durch den Titel
des Buches abgesteckt ist: „Gruppe - Gesellschaft - Diakonie".
Die einzelnen Kapitel, zum großen Teil überarbeitete Aufsätze, die
schon andernorts erschienen sind, befassen sich mit unterschiedlichen
Bereichen kirchlicher und diakonischer Praxis, verstehen
sich aber alle im Sinne des Programms als Beiträge zur Ausformung
einer empirischen Theologie. In ihrer Unterschiedlichkeit
stellen sie selbst ein „Fallbeispiel" für multidimensionales Theolo-
gisieren dar. Die Interdependenz der Realität ist die Ursache dafür,
daß sich die angeschnittenen Themenkreise teilweise berühr en oder
überschneiden. Insofern enthält das Buch viel Redundanz. Das ist
jedoch kein Nachteil, weil gerade dadurch deutlich wird, daß die
Phänomene gesellschaftlicher und kirchlicher' Wirklichkeit von
verschiedenen Seiten her betrachtet und angegangen weiden können
, ja müssen, wenn sie ganzheitlich erfaßt w er den sollen. Dabei
wird der Leser immer wieder überrascht von der dabei aufleuchtenden
Relevanz diakonischer Praxis, die doch weithin recht pragmatisch
betrieben wird. Am Schluß der einzelnen Kapitel werden
„Situationsanalysen". „Fallbeispiele" bzw. „Reflexionen" dargeboten
, die das Gemeinte veranschaulichen oder zum Dialog reizen
sollen.

In einem ersten Komplex (Kap. 2-4) werden Fr agen behandelt,
die durch die Arbeit mit Gruppen gegeben sind. Anhand des Problems
„Der Einzelne und die Gruppe" (Kap. 2) wird die Frage
nach dem Verhältnis von Theologie und Sozialwissenschaft exemplarisch
angegangen, werden nach einer Bestandsaufnahme der
bisherigen Praxis in der BRD ..Theologische Aspekte in Theorie
und Praxis der Gruppendynamik" (Kap. 3) benannt und w ird
schließlich ..die Beziehung zwischen gruppendynaniischen Laboratorium
und Lebenswirklichkeit als Problem christlicher Verantwortung
" (Kap. 4) erörtert. Auch hier wird in vielfältigen Variationen
die Forderung erhoben, daß der Bezug zur ganzen Wirklichkeit
nicht ver lorengehen dürfe.

Ein weiterer Komplex (Kap. 5-6) ist Pr oblemen aus dem Bereich
der- Beratungstätigkeit. Vor allem der' Psychotherapie, gewidmet.
Auch in diesem Bereich werden die Lebensprozesse in ihrer Inter-