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Ausgabe:

1979

Spalte:

768-769

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gamber, Klaus

Titel/Untertitel:

Sakramentarstudien und andere Arbeiten zur frühen Liturgiegeschichte 1979

Rezensent:

Hennig, John

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 10

768

Das Verhältnis von wissenschaftlich-theologischer Darstellung
und evangelistischer Erbauungsliteratur erscheint unbefriedigend.
Manche Hypothesen sind theologisch kaum haltbar, so zur Keno-
sislehre (55): ..So ist der Eindruck, den die Evangelien vermitteln,
nicht der, daß Er Seiner göttlichen Kraft und Weisheit völlig beraubt
wäre, sondern eher, daß Er beides, nur mit Unterbrechungen,
nutzte, da Er die meiste Zeit ohne sie zurechtkam." Oder kann
man sagen, daß der praeexistente Gottessohn im AT als Engel
auftrat? So (28): „Das Alte Testament berichtet uns Aussagen
über den Herrn Jesus - vor Seiner Menschwerdung - wie Er eben
dies tat: Wie Er mit Menschen in Verkehr trat als Engel des Herrn,
damit die Menschen Diesen erkennen sollten" (Dan berichte von
zwei solchen Begebenheiten, von dem vierten Mann im Feuerofen
und dem Engel in der Löwengrube). Führen nicht solche Passagen
dazu, das Buch kopfschüttelnd wegzulegen und es nicht ernst zu
nehmen V Dabei hat P. durchaus gerade uns Theologen viel zu sagen
- und uns täte oine Motanoia angesichts mancher theologischer
Hybris sicher not.

Einteilung und Gliederung des Buches sind nicht recht überzeugend
- das mag mit der „Perlenkette" zusammenhängen; doch
hätte man die Perlen anders, systematischer auffädeln können.
Wer sucht etwa dio Trinitätsiehre im Abschnitt „Er w ird Zeugnis
geben" ? Kann man - in diesem Zusammenhang - vom „Drei-
einigen Jahwe" (45, 58, 99) sprechen? Dabei wertet P. mit Recht
das „offenbarte [sie!] Geheimnis der Dreieinigkeit" als den „Kern
des christlichen Gottesglaubens" (58), aber Vf. hat wiederum mehren
-, solche)- „Kerne" (z. B. 165). Sicher hat Vf. recht, wenn er
schreibt: „Person und Werk Christi waren immer und sind auch
heute ständige Diskussionsthemen innerhalb der Kirche - um Person
und Werk des Heiligen Geistes hingegen kümmert sich ebenso
permanent praktisch niemand. Die Lehre vom Heiligen Geist spielt
in der Kirche etwa die Rolle des Aschenputtel im Märchen" (60f).
Immerhin dürfte sich das in den letzten Jahren schon etwas gewandelt
haben (P.s Buch erschien in Englisch schon 1973).

Sicher fehlt uns heute rechte Gotteserkenntnis. Aber gerät bei
P. nicht die Gotteserkenntnis zu sehr in das vom Menschen Machbare
? Wohl weiß Vf.: „Worauf es also hauptsächlich ankommt, ist
letzten Endes nicht die Tatsache, daß ich Gott kenne, sondern die
größere und grundlegendere Tatsache, daß Er mich kennt" (37).
Aber können wir „ganz einfach" unsere Kenntnis über Gott in eine
Erkenntnis Gottes verwandeln (18) ? Könnte nicht gar unsere Gotteserkenntnis
zu einer Art Götzendienst werden? Man wünschte
sich, daß P. mehr um den „verborgenen Gott" wüßte!

Bei P. ist alles ganz einfach und klar. Aber stimmt auch alles?
Stimmt es, daß Gottes Absicht sich niemals wandelt, daß es ihn nie
„reut" (zu 71 f)? Stimmt es. daß jeder, der wahrhaft Gnade empfangen
hat, i kvttes Forderung erfüllen wird (126)? Dagegen ist sehr
beherzigenswert, was P. über den Zorn Gottes (136-145. vielleicht
das beste und eindrucksvollste Kapitel) und über „Güte und Ernst'
Gottes schreibt (140-153). Vf. hält mit Hecht der Kirche vor, daß
sie irgendetwas von Gottes Güte plaudert, aber sich über sein Gericht
ausschweigt (136). Für die „Protestanten" sei Gott eine Art
himmlischer Weihnachtsmann) seine Allmacht und Herrschaft über
die Welt würde grundsätzlich in Frage gestellt (1471).

Als Kein des Evangeliums bezeichnet P. natürlich die „Versöhnung
" (165-185), wobei er aber immer wieder behauptet, im NT
träte der Begriff „Versöhnung" sinngemäß nur viermal auf. Rez.
liest ihn freilich viel öfters, denn nicht nur ikäoxo/tai sondern auch
xatakMaau) ist ja wohl nicht anders zu übersetzen (vgl. Bauer,
WB 51958, S. 818). Was aber P. dazu schreibt, sollte uns ins
Stammbuch geschrieben sein: „Nichts in seiner Botschaft (gemeint
ist das Evangelium - K.) trifft uns tiefer als eben das
Grundproblem des Menschen gegenüber Gott, die Sünde, die den
Zorn weckt - dagegen aber Gottes erste und wesentlichste Vorsehung
für den Menschen: die Versöhnung, die den Zorn in Frieden
wendet" (175).

Noch ein paar Einzelheiten: P. verwendet viele Schrift-, Oalvin-
und Liedzitate. Leider ist das Bibolstellenregister unvollständig
(z. B. sind die Zitate von S. 74f nicht berücksichtigt). Man
w ünschte sich die Unterscheidung von securitas und certitudo.
P. oder sein Übersetzer lieben altertümliche Wendungen wie
„fürder". Vergaß Luther wirklich über der Rechtfertigung das
Thema „Gotteskindschaft" (213)?

P. schließt sein Buch mit der Feststellung: „Wir können jetzt
sehen, was es heißt, Gott zu erkennen. Wir haben herausgefunden,
daß der Gott, der ,für uns da ist', der Gott der Bibel ist, der Gott
des Römerbriefes, der Gott, der sich in Jesus offenbarte, der Drei-
einige der christlichen Lehre." „Gott zu erkennen heißt in anderen
Worten: Glauben, Zustimmung und Bindung, wobei der Glaube
selbst Gebet und Gehorsam einschließt." Er weiß auch, daß „der
Glaube an den Dreieinigen nicht einfach zum ,Jesusdienst' reduziert
werden" darf (259-261).

P. könnte uns mit vielen Aussagen seines Buches aufrütteln,
aber wie sie unB mitgeteilt werden, werden sie wohl diese Wirkung
leider nicht haben. Das liegt wohl nicht nur an einer unterschiedlichen
Mentalität.

Schlettau Kurl-Uenuauu Kandier

PraktischeTheologie: Liturgiewissenschaft

Gamber, Klaus: Sakramcntarstudien und andere Arbeiten zur frühen
Liturgiegeschichte. Regensburg: Pustet 1978. 192 S. = Stu-
dia Patristica et Liturgica, 7. Lw. DM 38,-.

Nachdem in fasc. 6 dieser Serie (zu läse. 3: ThLZ 95, 1970 Sp.
8521) die oinzelnen abendländischen Meßliturgien und die durch
den jeweiligen Ritus bedingten Kirchenbauten behandelt worden
waren, werden im vorliegenden z. T. schon früher in Zeitschrilten
veröffentlichte, aber nun überarbeitete Studien zu den ältesten
abendländischen Gottesdiensten, wieder in Ergänzung von Gamben
Standardwerk Salcramentartypen. vorgelegt. Gewissenhaft
weiden Lücken, die sich vermutlich nie auffüllen lassen werden,
und Grade der Sicherheit, mit der Erkenntnisse vorgetragen werden
können, aufgezeigt. Dadurch wird vermieden, daß in die wissenschaftlichen
Auseinandersetzungen ein harter Ton kommt, der
hier der Würde und Zartheit des Gegenstandes besonders unangemessen
wäre. Es bedarf auf diesem Gebiete unermüdlicher Kleinarbeit
im Aufspüren (s. etwa die Liste von neun weit verstreuten
Fragmenten angelsächsischer Sakramentale, die auf ein kampanisches
Meßbuch zurückgehen, S. 28 ff), Edieren und Interpretieren
der Zeugnisse, eingehender Kenntnis aller Teile der Kirche
(Irland, leider im Ortsregister nicht erwähnt, z. B. 12f, 27. 30. 73.
94, 98) und besonderen Interesses am Verfallenen und Vernachlässigten
(Kap. 0 die Liturgie von Aquileja. ein Lieblingsthema
Gambers). Praktisch auf Schritt und Tritt kann Gamber auf frühere
Arbeiten Verweisen, durch die er unsere Kenntnis der Litur-
giegeschichte bereichert hat. - In Kap. 1 werden Nachrichten zur
ältesten lateinischen Liturgie behandelt, der Liber mysttriorum des
Hilarius von Poitiers („das älteste abendländische Liturgiebuch,
dessen Verfasser bekannt ist"), der Liber comitis (recte: commicu«.
also nicht „Begleiter" sondern „Perikopenbuch") des Hieronymus
(„die Grundlage zur Bildung eines Missale plenarium"), der Lüh r
sacramentorum (statt der in Irland bis ins 9. Jh. verwandten Meß-
libelli) des Paulinus von Nola und das Lektionar (Palimpsest in
Wolfenbüttel cod. 4160, vermutlich „der einzige Fall einer frühen
und daher noch unveränderten Abschrift eines im 5. Jh. entstandenen
Liturgiebuchs") und Sakramental- des Musaeus von Marseille
. Zu wie wichtigen Einsichten das Studium solcher Zeugnisse
gelangen kann, zeigt die Vermutung (15), daß Hilarius, der in den
arianischen Wirren längere Zeit in Kleinasien in der Verbannung
gelebt hatte, von dort das Trishagion in den Westen mitbrachte. -
Kap. 2 behandelt zunächst die für das Verhältnis zwischen Ost-
und Westkirche wichtige Frage der Stellung der Epiklese, u. a. im
Anschluß an H.-Ch. Seraphim, Von der Darbringung des Leibes
Christi in der Messe (ev.-theol. Diss. München 1970), vor allem üi
bezug auf die (durch die römische Liturgiereform aufgewertete)
traditio apostolica des Hippolytus. Ferner wird aus dem von Gamber
gefundenen Regensburger Cim 1 der leider erst mitten im
Communicantes beginnende Text für einen angelsächsischen Canon
geboten, dessen Verwandtschaft mit irischen Texten festgestellt
wird. - Kap. 3 bietet - vorbildlich zeilengetreu - die Texte des
ältesten Fragmentes des fränkischen Anhangs zum Sacramenta-
riurn Gregorianum (das von Gregor nie für einen Gebrauch außer-