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Ausgabe:

1979

Spalte:

766-768

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Packer, James I.

Titel/Untertitel:

Gott erkennen 1979

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 197» Nr. 10

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Da sich auch der Abschnitt über Hegel lediglich im Vorfeld einer
Interpretation seiner Geschichtsphilosophie bewegt (296), ist er für
die Argumentationskraft der These nicht sehr hoch zu veranschlagen
. Außerdem ist es wenig produktiv, einer so dezidiert unescha-
tologischen Philosophie wie derjenigen Hegels gegenüber die Frage
nach der möglichen Bedeutung eschatologischer Denkmodelle für
die Ausformung seiner Geschichtsphilosophie zu stellen. Hegels
Philosophie der realisierton Versöhnung bedeutet die Aufhebung
der Ksohatologie; Geschichte ist auf einen Endzweck ausgerichtet,
der grundsätzlich in Christus seine Erfüllung gefunden hat. Die angemessene
Fragestellung zum Verständnis Hegels wäre die nach
Bedeutung und Funktion der dem christlichen Glauben eigenen
Vorstellung von der realisierten Versöhnung Gottes und des Menschen
für dessen gesehiehtsphilosophischen Entwurf, um dann auf
solchem Fundament die Säkularisierungstbese zu diskutieren. Der
^ f. wird zum Opfer seiner eigenen Sohematik, das Verhältnis von
biblischem Henken und neuzeitlicher Geschichtsphilosophic hier
wie überall am Kriterium der Eschatologie durchdeklinieren zu
müssen. Hegels Keligions- und Geschichtsphilosophie erschließt
sich solch eüier Sohematik nicht.

Die mittels historischer Analyse betriebene Destrukt ion der Sä-
kularisierungsthese steht im Dionste einer unter den Bedingungen
der Neuzeit zu verantwortenden, rationaler Argumentation verpflichteten
, auf einen emanzipatorisohen Geist- und Vernunftbegriff
zielenden neuen Gestalt von Geschichtsphilosophie, die der
Vf. gegen Ende seines Buches aber mehr andeutet als ausführt.
Er sieht sich zur Kritik an der .Säkularisierungsthese genötigt, weil
diese nicht nur historisch gemeint ist, sondern auch systematische
Gültigkeit beansprucht, sofern sie den biblischen Glauben nicht
nur als zufälligen Ausgangspunkt dos abendländischen Geschichts-
bewußtseins versteht, sondern (naoh W. Pannenberg) die geschichtliche
Erfahrung der Wirklichkeit an jenen Ursprung bindet.
Damit wird aber eine „prinzipielle Angewiesenheit" der Geschichtsphilosophie
auf das biblische Geschichtsverständnis sup-
poniert und eine neue Front radikaler theologischer Kritik am neuzeitlichen
Denken aufgebaut, der es um der „Legitimität der Neuzeit
" w illen und darin auch um einer legitimen neuzeitlichen Go-
schichtsphilosophio willen zu widersprechen gilt. J. beantworte! die
ideenpolitischo Funktion der Säkularisierungsthese mit einer ideen-
politischen Kritik derselben. Genau besehen bietet er nicht eine
historische, sondern eine an ausgewählten historischen Materialien
illustrierte systematische Auseinandersetzung mit der Säkulari-
sierungsthese: Säkularisierung darf nicht stattgefunden haben,
weil ansonsten der Weg für eine neuzeitliche Geeohichtsphilosophie
verstellt wäre. Dieses Argumentationsgefällo hat auf die historischen
Beweisgäuge durchgeschlagen. Deren Problematik ist für
den letzten Teil der Arbeit evident. Die neuzeitliche Geschieht s-
philosophio in ihrer komplizierten Entwicklungsgeschichte bleibt
unerörtert, stattdessen wird im Vorfeld zweier herausgegriffener
geschichtsphilosophischer Entwürfe eine auf die Eschatologie eingegrenzte
Themenstellung zu Lasten einer historisch präzisen Diskussion
der Säkularisierungsthese exekutiert. Denn die Säkulari-
«ierungsthese thematisiert dio möglicho Einwirkung von Grund-
aussagen des christlichen Glaubens, die sich nicht in der Eschato-
logio erschöpfen, auf dio Ausbildung des neuzeitlichen Donkens,
das nicht in Geschichtsphilosophio aufgeht. Aber auch in den übrigen
Partien kommt der Vf. nicht über eine exakte Analyse von
Texten zu seinen Ergebnissen hinaus, sondern diskutiert die Thesen
und Gegenthesen der Sekundärliteratur zu den einzelnen Komplexen
. Daß bei solch einem „unhistorischen'' Verfahren und solch
weitgespannten historischen Dimensionen Fehler in Hülle und
Fülle unterlaufen - bis hin zu förmlichen Unsinnigkeiten (z. B.
158!) -. kann nicht vorwundern.

Dennoch ist diese erstaunliche Untersuchung in ihrem Gewicht
und in ihrer provozierenden Stoßrichtung verkannt, wenn man sich
auf den Nachweis von Fehlern und Fehlurteilen kapriziert und dem
Autor selbstgefällig das Scheitern seines Versuchs einer „historischen
Kritik der Säkularisierungsthese" attestiert. Freilich steht
das weite Forschungsfeld des Säkularisierungsprozesses weiterhin
zur Diskussion an, gerade auch unter dem Aspekt historischen
Vorstehens. Aber der Kern seiner Kritik, daß dem biblischen Verständnis
von ..Heilsgeschichte" die Vorstellung einer immanenten
Geschichtsteleologio fremd sei. ist nicht von der Hand zu weisen

und nötigt zu Präzisierungon der These vom biblischen „Geschichtsdenken
". Die Verquickung dieser Kritik mit derjenigen
des Säkularisierungssyudroms hat den Vf. allerdings daran gehindert
, sein eigentliches Interesse und Anliegen klar zur Geltung zu
bringen: die Formulierung eines neuen Konzepts von Geschichtsphilosophie
. Das gewählte Vorfahren einer historischen Kritik hat
sich als ungeoiguetos Instrumentarium für die Wahrnehmung dio-
sos Interesses erwiesen. Man wünschte sich, daß der Vf. an diesem
Punkte seine Zurückhaltung aufgeben könnte, zumal dor souveräne
Stil seiner Auseinandersetzung dio Erwartungen hoch spannt. -
Noch in anderer Hinsicht bleibt der Loser auf Vermutungen angewiesen
. Hat der Autor dio Mühsal der Beschäftigung mit umfangreichen
Gebieten biblisch-christlicher Tradition nur zum Zwecke
dor Destruktion auf sich genommen, oder leitet ihn neben dem
philosophischen auch ein positives theologisches Interesse? Die
Fixierung dos biblischen, speziell des eschatologischon Denkens auf
das anaklitischo Modell und die damit verbundene diastatisohe
Profilierung von „Heilsgeschichte" und neuzeitlicher Geschiehts-
philosophio könnten diesen Vermutungen eine bestimmte Richtung
geben. J. bleibt auch hier mit Äußerungen sparsam, aber das schon
an sich hochinteressante, wenngleich auch hochproblematischo
Buch vermittelt den Eindruck, daß weitere brisante, die philosophische
und theologische Debatte anregende Themen und Thesen
jenseits der Grenze angesiedelt sind, die der Autor sich - aus welchen
Gründen auch immer - in dieser Untersuchung selbst gezogen
hat.

Hamburg Henuanu bischer

Systematische Theologie: Dogmatil*

Packer, James L: Colt erkennen. Das Zeugnis vom einzig wahren
Gott, übers, v. J. Boost, Bad Liebenzell; Verlag der Liebenzeller
Mission [1977]. 264 S. 8° = Telos Evangelikalo Theologie.
Kart. DM 17,80.

P. hatte die „Absicht, eino Abhandlung über Gott zu Bohreiben.
Dennoch: dies Buch ist das nicht." Vf. nennt es vielmehr eine
„Perlenkette: oino lleihe kleiner Studien über große Themen, die
größtenteils schon im Evangelical Magazine erschienen sind. Sie
Waren als Einzelaussagen konzipiert, erscheinen aber nun zusammengefaßt
, da sie zu oiner einzigen Aussage über Gott und unser
Leben zusammenzuwachsen scheinen" (7). Das Buch soll „ein Buch
für Menschen auf dorn Wog" soin und sich mit ihren Fragen befassen
. P. ist davon überzeugt, daß die Unkenntnis Gottes, die L'n
keimtnis Seines Handelns und die Unkenntnis dor Praxis der persönlichen
Kontaktaufnahme mit Ihm „einer der wichtigsten
Gründo für die Schwachheit der Kircho in dieser Zeit ist." Das
christliche Denken habe sich zu sehr dem modernen Geist angepaßt
und bringe zwar „große Gedanken über den Menschen ". „aber nur
kleine Gedanken über Gott" hervor. Moderne Christen hätten es
zugelassen, „daß Gott in don Hintergrund gedrängt wurde". Kir-
ehenleute würden „Gott durch das falsche Endo oines Fernrohres
anschauen und ihn so auf .Pygmäen-Ausmaße' reduzieren" und
konnten so „kaum anderes erwarten, als zu ,Pygmäen-Christen' zu
werden" (8).

Diese Zitate zeigen anschaulich, daß vorliegendes Buch ein Erbauungsbuch
(mit Schwächen und Vorzügen) ist. Ob es P. dabei
gelingt, auch den Theologen ins Gewissen zu reden, muß dahingestellt
bleiben. Nicht nur die manchmal saloppe Ausdrucksweise
(sie kann schon erfrischend sein), sondern die exegetischen Grundlagen
seiner Ausführungen werden - zu Recht oder zu Unrecht -
kritisiert, ja belächelt werden, ohne sich selbst von P. in Frage
stellen zu lassen. Und das wäre sicher nötig und heilsam. Vf.
schreibt ad personam, engagiert, ja aufdrängerisch, was uns Deutschen
, wenigstens uns Theologen, zumeist nicht schmeckt. Ein
Beispiel für viele: „Gott hat Seines eigenen Sohnes nicht verschont
, sondern Ihn für Sie dahingegeben. Christus liebt(e) Sie,
und gab Sich hin für Sie, um Sie aus der ägyptischen Gefangenschaft
der Sünde und des Satans zu erretten. Das erste Gebot
wurde - in positiver Form - von Christus selbst für Sie neugefaßt "
(Mt22,37f-S.251).