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Ausgabe:

1979

Spalte:

757-759

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Fraenger, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Hieronymus Bosch 1979

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 10

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3) zeichnet das (freilich noch nicht abgeschlossene) literarische
Schaffen Th. Klausen, ähnlicli wie dasjenige seine» Lehrers F. J.
Dölger. das Vorwalten der historischen Miniature. die detaillierte
Biatelforuchung aus. Um so mehr ist diese Aufsatzsaiiimlung zu
begrüßen, die nun doch so etwas wie ein Gesamtprofit kenntlich
werden lättt und Maßstäbe setzt. Möchten sich die Epigonen, gemessen
an einer solchen Kiesengestalt, nicht als Geschlecht von
Zwergen erweisen!

Böttingen - Marburg Adolf .Martin Ritter

Christliche Kunst und Literatur

"■enger, Wilhelm: Hieronymus Bosch. Mit einem Beitrag v.
1'. Reuterswärd, Aufnahmen von L. Braun. 3. Aufl. Dresden:
VEB Verlag der Kunst [1979]. ölli 8. m. 03 Abb. i. Text,
157 Tu f. schwarzweiß u. färb. 4 . Lw. M 96,-; Ausland M 120,-.

Unser Anliegen gilt vordringlich der religionsgeschichtlichen
Bedeutung des Büches. Für eine kunst geschichtliche Würdigung
'»t hier nicht der Ort, und für sie würde der Res. nicht zuständig
»ein.

In dein voluminösen Sammelband und alle verstreuten Veröffentlichungen
Fraengers zum Boschproblem vereinigt. An wenigen
Stellen hat der Hrsg. Veränderungen am Text der Erstausgaben
vorgenommen, die auf Vormerke Fraengers bei der Vorbereitung
einer neuen Auflage der beiden Hauptbücher zurückgehen.
Neuauflagen aber kamen wegen des Todes des Vf. nicht mehr
■Utende.

I>ie zwei Hauptbücher, auf die wir hindeuteten, sind ..Das Tausendjährige
Reich", Coburg 1947. und ..Die Hochzeit zu Kana".
Berlin 1950. Sie sind in dieser Zeitschrift 73. f948 Sp. 543-545. und
75. i960 Sp. 740-748. durch K. Wessel besprochen. Wegen ihrer
guten Referate seien die Besprechungen zum Nachlesen empfohlen.
Wessel rühmt mit Recht die „richtungweisende Art der forscheri-
schen Arbeit" und die ..mutige Pionierarbeit " Fraengers. Wessels
Kritik gilt kunstgeschichtlichen Nebonfragen. für die wir nicht zuständig
sind. Die rcligionsgcschieht liehe Hauptfrage wird von Wessel
nicht gebührend behandelt.

Im Werk Boschs findet man auffällige gnostischc Züge. Auf der
felel ..Die Hochzeit zu Kana", wo mit dein Braut paar und Jesus
und seiner Mutter .1 uden und Klosterleufe feierlich zu Tisch ritzen,
'st im Hintergrund ein erdfarbener heidnischer Altar zu sehen, dessen
zahlreiche Symbole ein nobon ihm stehender weißgekleideter
Adepto erklärt. Fraeugor deutet den Altar als Sankt issimum eines
matriarchalischen Lunarkul tes. Auf seinen vorragenden Säulen
stellen die Symbolgestalten des Vollmondes und Schwundmondes.
In der Mitte der Schaugeräte liegt das (lebilde der urmütterlichen
Brust als Symbol ewiger Fruchtbarkeit, wie sie einst in Tempeln
der Aphrodite und anderer Goburtsgöttiiuion niedergelegt worden
sind. Die umgebenden Gerate sind nach Fraengers Deutung insgesamt
Frucht barkeil ssymbolo, von denen ein Mörser mit lotrecht
eingesenktem Stößel hervorgehoben sei, einem kultischen Gerftt,
das die Zeugung symbolisiert. Uber dem Altar hängt die nächtlich
dunkle Himmelsgloeke, aus welcher der Tau kommt, der Von dem
unter ihr liegenden Schwamm aufgesogen wird. Als Festspeise dienen
Tiere, die im jüdischen Ritus als unrein gelten: ein schwarzer
Eber, in dessen Kopf ein Halbmond eingezeichnet ist. und ein funkensprühender
Schwan, der Vogel der Aphrodite. Auch er trägt auf
der Brust das Symbol des Halbmondes. Vor den Augen der Inquisition
zur Schau gestellt, wirkt das Bild wie ein dreister ..Mysterienverrat
".

Verwandte ketzeriseh-synkretistische Motive finden sich auf anderen
Werken. Das viel umrätselte Triptychon. dessen Mittelfafel
allgemein als „Gerten der Lüste" deklariert wurde, wird vonFraen-
ger als das Tausendjährige Heich gedeutet, als das kommende Paradies
auf Erden, das eine kultische Adamitengemeinde im Festjubel
unschuldiger Nacktheit feiert. Die Tafel des linken Seiten-
Hügels hatte sinngerecht das Paradies des biblischen Anfangs dargestellt
. In der Mitteltafel baden nackte Frauen im runden Lebens-
weiher, der vom Hochzeitsreigen nackter Männer umritten wird.

„In seiner Anhäufung von Fruchtbarkeitssymbolen und seinem
jauchzenden und tollenden Qeschwarm stellt dieser zeremonielle
Umritt einen Vegetationskult dar. der durch die Mana-Ausstrah-
lung der in den Früchten. Tieren und Jungmännern aufgebotenen
Zeugungskräfte die Brdfrnohtbarkeit befördern soll". Den Homi-
nes intelligentiae, in deren Milieu Bosch führt, war in einer Anklageschrift
von 1411 adatürkische Erotik vorgeworfen. Fraengor
erwähnt noch Nacktgottesdienste kölnischer Adamiten von 1320.
denen vorgeworfen sei. ohne Gottesfurcht und ohne Gewissens-
skrupel kultischen geschlechtlichen Umgang mit jedermann getrieben
zu haben. Dem Brautpaar, das lotverschleiert in der Mitte
des Festreigens reitet, wirdein Fisch vorangetragon, der w egen seiner
.,tausendkörnigen Rogen" als Symbol der Fruchtbarkeit gelten
soll, vielleicht aber auch gleichzeitig als christologisches Bekenntnis
; im Synkretismus ist alles möglich! Daß adamitische Lehren
und Kulte noch unter böhmischen Sektierern des 15./Ib. Jh. begegnen
, hat E. Werner In „CiroomoeUionen und Adamiten", 1959,
aufgew iesen. Nach Werner kamen diese Sektierer aus verarmten
Handwerker- und Bauernkreisen, während man im Gegensatz dazu
die Adamiten Boschs in gehobenen Gesellschaftskreisen suchen
müßte. Die wüsten Höllenbilder auf dem rechten Seitenflügel sollen
nach Fraengerspiritualistisch aufzufassen sohl, das heißt inner-
seelischen Prüfungen dienen, als Vorbereitung zur kirchlich verworfenen
Apokatastasis panton.

Auf dem Lissaboner Triptychon „Die Versuchung des Heiligen
Antonius" wird im Mittelfeld des Hauptgemäldes eine schwarze
Messe vorgeführt, die von einer Priesterin mit einer Schlangenhaube
zelebriert wird. Assoziativ stelle sieh die Vorstellung vom
„Drachengift" ein. Die Schlange als ordverwachsenes, mit nianti-
schen Kräften ausgestattetes Reptil, weise die Zelebrantin als Priesterin
eines chthonischen Kultes aus. Ihr assistiert ein Weib mit
einer kugelrunden gelben Haube, „die wohl den Mond in seiner
Fülle zu bedeuten hat". Eine Negerin mit dem Sternenschleier sei
als „Inkorporation der Nacht" zu verstehen. Sie präsentiert hocherhoben
auf einer Schale den Frosch mit dem Weltenei. Der Frosch
als Fruchtbarkeitssymbol, das matriarchalischen Mysterienkulten
zuzuordnen sei. erscheint wiederholt auf den Werken des Malers.

Eni viertes Beispiel! Auf dem Madrider Epiphaniasaltar kommt
aus dem Hintergrund der „verfallenen Hütte Davids" ein vierter
König zur Huldigung des Christuskindes hervor. Mit Ausnahme der
aufgenommenen Schleppe aus Goldbrokat und der goldenen Kette
und dem goldenen Armreif ist er unbekleidet. Fraengor deutet ihn
als den adamitischen Priesterkönig der Endzeit, auf dessen Wiederkunft
judenchristliche Sektierer gew artet hätten.

Wir gaben ausgewählte Beispiele für gnostisch-häretische Züge.
Fraengor bietet dem willigen Leser noch viel mehr Material.

Es ist selbstverständlich, daß großo Tafolwerke wie die besprochenen
nicht in Kirchen aufgestellt und auch nicht von reichen
kirchlichen Mäzenen bestellt sein konnten. Fraengers bohrendes
Bemühen gilt dem Aufweis, daß der Auftraggeber ein führendes
Glied der Freigeist gemeinde gewesen sei. In kühnen, von bewundernswertem
Spürsinn geleiteten Kombinationen will Fraengor in
ihm einen in Hertogenbosoh nachweisbaren sektiererischen Juden-
Christen erkannt haben, der zur katholischen Kirche übert rat. aber
sie bald wicdei' verließ und zum Judentum rekonvertiorte. - damals
ein geradezu beispielloser Affront! Er soll Bosch das (ieheini-
w issen vermit telt haben, das normalerw eise bei einem niederländischen
Maler seiner Zeit undenkbar sei. Eineiiger deutet die vier
Medaillonbilder auf Außennügeln des Altarwerkes „Sicut erat in
diebus Noe" als Stationen aus dem geheimnisumwitterten Leben
des Auftraggebers. Rätselhaft bleibt, wie bei der „Hochzeit zu
Kana", wie die Inquisit ion, die gerade zu Boschs Zeit den.. Hexenhammer
" hervorgebracht hatte und in Scheiterhaufen schwelgte,
die Ketzerbildor übersehen koimte. Nicht minder seltsam ist. daß
ausgerechnet Philipp IL, dieser allerchristlichste Kaiser. Boschs
Bilder für seine Sammlungen nach Spanien schaffen ließ. An dem
häretischen Charakter unserer Bilder ist gewiß nicht zu zweifeln.
Woher sollten sonst die Motive kommen!

Die Boschdeutung steht im Brennpunkt- einer internationalen
Diskussion. Bücher über die Auslegung der meist so verschlüsselten
Bilder füllen schon seit Jahrzehnten eine ganze Bibliothek. Man
begegnet manchem Titel in den Ausführungen Fraengers und im
Nachwort von Patrik Beutorswärd zu unserni Band. Angriffs-