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Ausgabe:

1979

Spalte:

745

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Friedman, Jerome

Titel/Untertitel:

Michael Servetus 1979

Rezensent:

Gäbler, Ulrich

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Seite 1

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745

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 10

740

Ausgaben, Ubersetzungen. Nachdrucke etc. Hier ist viel bisher
nicht exakt Verzeichnetes enthalten. Besonders willkommen sind
die Angabe jetziger Fundorte und die Rubriken mit Zitaten und
Literaturverweisen (127) zu den Inhalten der 29 Schriften des
Hyperius. Angaben über schon erschienene Biographien, die Liste
der & kundär-Literatur und Orte-, Länder- sowie Personenregister
vervollständigen das Werk, dessen Inform ations wert für jede weitere
wissenschaftliche Arbeit an der Lebensleistung dieses, Gelehrten
zwischen den Fronten' gar nicht hoch genug veranschlagt werden
kann. Daß auch die künftige Beschäftigung mit Hyperius
lohnt, wird schon durch einen Satz nahegelegt, der oft zitiert worden
ist: ,,Was Melaneht hon für Sachsen war, das war Hyperius für
Hessen." (89)

Berlin Joachim Kogge

Friedman, Jerome: Michael Servetus. A Case Study in Total He-
resy. Geneve: Droz 1978. 149 S. 4° = Travaux d'humanisme et
renaissance, CLX111.

Seit dem 10. Jh. verbindet sich mit dem Namen Michael Servet
die Häresie der Trinitätsleugnung. Der Kampf des spanischen
Arztes gegen das traditionelle Dogma sei da« Hauptkennzeichen
seines Denkens. Der Vf. ha1 sich zu zeigen vorgenommen, daß der
Widerspruch Servets nur ein Aspekt viel grundlegenderer theologischer
Unterschiede sei. Eine solche These zu verfolgen erscheint
sinnvoll, und man wird dem Vf. darin die Zustimmung nicht versagen
können. Darauf mit allem Nachdruck aufmerksam gemacht
fco haben, ist das Verdienst des Büches. Nach F. liegt Sorvets
häretischer Ansatz, aus dem alles andere folgt, in einer pelagiani-
Bchen Grundhaltung, die sich mit chiliastischen Anschauungen
paart. In dieser Verknüpfung bestünde seine Originalität. Die theologische
Basis biete eine Gotteslehre, in der Gottes Wirken wesent-
lich als himmlische Aktivität verstanden wird: Die Personen der
Trinität Vater, Sohn und Hl. Geist sind ebenso wie die göttlichen
Erscheinungen des Alten Testaments unter den Bezeichnungen
Jahwe. Elohim o. ä. Manifestationen ein und desselben Gottes,
deren Unterschiede durch die geschichtliche Situation zu erklären
seien. Sie alle haben zum Ziel, im Kampf zwischen Gott und Satan
den Menschen auf die göttliche Seite hinüberzuziehen. So bringt
auch Christi Werk dem Menschen nicht etwa die Versöhnung, sondern
dient vielmehr der Gottwerdung. der eigentlichen Absicht
Gottes mit den Mensehen. Servet hat reichlich aus patristischen
(besonders Irenäus und Tertullian), rabbinischen und profanen
Quellen geschöpft. Seine Gedankenwelt zeigt gnostische Zügo, obwohl
er selbst die ..Gnosis". wie sie ihm bei seinen Gewährsmän-
nern entgegentrat, ablehnte. Aufgrund eines weitgespannten Eklektizismus
fordert Servet eine ..Restitutio Ohristianismi", die keinen
Stein auf dem anderen läßt. Der Einzelgänger konnte gar
nicht auf Gefolgschaft hoffen.

Die Darstellung F.s vermag nicht voll zu befriedigen, weil der
Vf. auf eine Einbettung von Servets Gedankengut in den zeit-
Lfn<issischen Ha Innen weitgehend verzichtet hat, mi (ich allerdings
dadurch aufgedrängt haben dürfte, daß der Spanier die
Nennung von Zeitgenossen nach Möglichkeit vermeidet. So wird
weder der geistige Hintergrund von Servets spanischer Herkunft
deutlich, noch seine Begegnung mit der Reformation sowie deren
Ablehnung im historischen Kontext erhoben. Mit Entwicklungen
in Servets Denken wird kaum gerechnet. Diese ahistorische Betrachtungsweise
läßt die Gestalt des Spaniers blaß bleiben.

Ärgerlich sind die nicht zu zählenden Druckfehler, welche einem
die l^ektüre vergällen.

Amstelvccn Ulrich Gabler

Müller. Gerhard: Walther von Loewenichs Beitrag zur Luthcr-

forschung (Luther 49, 1978 S. 1-15).
I'renter. Regin: Ein Beitrag zur Lutherforschung aus Dänemark

(Luther 49. 1978 S. 88-95).
Schmidt. Martin Anton: Karlstadt als Theologe und Prediger in

Basel (TbZ 35. 1979 S. 155-108).

Kirchengeschichte: Neuzeit

Andreae, Johann Valentin: Christianopolis. Utopie eines christlichen
Staates aus dem Jahre 1019. Mit einem Nachwort v.
G. Wirth. Übers, v. I. Pape. Mitarb. am deutschen Text u.
Bearb. d. Anhangs: H. Giesecke. Leipzig: Koehler & Amelang
1977. 192 S., 1 Taf. 8°. Lw. M 10,80.

Mit der Übersetzung der 1019 in lateinischer Sprache erschienenen
„Reipublicae Christianopolitanae Descriptio" des schwäbischen
lutherischen Pansophen J. V. Andreae (158G-1054)1 legt der
Vorlag ein Werk vor, das als exemplarisches Modell einer rospublica
ehristiana konzipiert, zu den großen, am Leitbild einer Erneuerung
des wählen Christentums orientierten Reformprogrammen der
Kirchengeschichte gehört. In einem kenntnisreichen Nachwort
hat Günter Wirth die geschichtliche Bedeutung dieser Schrift
herausgearbeitet und auf wichtige Aspekte der Wirkungsgeschichte
aufmerksam gemacht.

Der schwäbische Theologe gehört zu dem Kreis der Reformer,
die im Zeitalter der Orthodoxie eine Selbstkorrektur des Luthertums
- intendierten; das Ringen um eine von der Nachfolge Christi
geprägte, dokrinäre und obrigkeitskirchliche Verkümmerungen im
Luthertum überwindende Erneuerung des christlichen Lebens
verbindet Androae mit- Reformern wie Val. Weigel. J. Amd und
J. Boehme, die. beunruhigt von der Krise, die seit der dritten na ch -
informatorischen Generation im Luthertum bestand", im Gegensatz
zum konfessionellen Riehtungsantagonismus (und dessen gesellschaftlichen
Auswirkungen) eine neue Begründung der Gewißheit
des Glaubens zu geben versuchten. Mit der ..Einschärfung
oines christlichen Lebens" in der ..Verwirklichung der Nachfolge
Christi" und der ..Hoffnung auf eine Besserung der verderbten Zustände
" (Widmungsschreiben an den Leser) ist Andreae einer der
Wegbereiter des Pietismus1 geworden. Die Erforschung der Re.
formbewegung wird die von der geistigen Position und geschichtlichen
Situation her je spezifische Prägung der Reformprogrammatik
und dabei auch die Funktion pansophischer Motive herauszuarbeiten
haben. Zu .,Weg und Programm" Andreaes hat M.Brecht5,
der ihn als einen „Reformer zwischen Reformation und Moderne"
begreift, eine sorgfältige Untersuchung vorgelegt , die auch auf die
gesellschaftlichen Implikationen von Andreaes Reformprogrammatik
, u. a. den Gedanken der Bruderschaft und Brüderlichkeit
(mit seinen politischen wie ekklesiologischen Auswirkungen) und
auf die Konzeption politischer republikanischer Freiheit aufmerksam
macht.

Auch die jüngst erschienene Monographie von R.van Dülmen,
der 1972 den Originaltext der „Christianopolis" zum ersten Mal
seit 1019, zusammen mit einem Nachdruck einer 1741 erschienenen
, von David Samuel Georgi besorgten Übersetzung herausgegeben
hat0, dürfte erneut das Interesse für Andreaes Werk
wecken.

Bereits van Dülmen7 hatte betont, da ß Andreaes Christ ianopolis.
obwohl sie einem literarischen und ideologischen Vergleich mit den
großen Utopien von Thomas Morus. Thomas Campanella und
Francis Bacon nicht standhält , „in vielfacher H insicht einen höchst
merkwürdigen, eigenständigen und für deutsche Verhältnisse typischen
Entwurf zu einer neuen, und zwar christlich-bürgerlichen
Gesellschaftsordnung mitten im Zeitalter des konfessionellen Absolutismus
" darstellt. Indem Nachwort zur vorliegenden Ausgabe
wird treffend die gesellschaftliche Position Andreaes, die progressive
Funktion seines exemplarischen Gesellschaftsmodells (auch im
Hinblick auf die Wirkungsgeschichte, u. a. in Literaturgeschichte
und Pädagogik und hinsichtlich der Wirkungen in Osteuropa)
herausgearbeitet und dabei auch auf die hohe Bewertung Andreaes
durch marxistische Forscher hingewiesen."

Die gesellschaftskritische Funktion des Andreaeschen .Modells'
ist unverkennbar, indem Andreae die Grundsätze der christlichen
Ethik - Gleichheit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe - konkretisiert,
den Krieg als politisches Mittel verdammt, sprengt er die politischen
Strukturen des feudalen Absolutismus seiner Zeit. „Der
.christlichen' Welt, also der Gesellschaft, in der das Christentum zu
machtpolitischen Zwecken mißbraucht wird, wird Christianopolis
gegenübergestellt', in der das Christentum in seiner ursprünglichen