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Ausgabe:

1979

Spalte:

52-57

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Brunhölzl, Franz

Titel/Untertitel:

Von Cassiodor bis zum Ausklang der karolingischen Erneuerung 1979

Rezensent:

Trillitzsch, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 1

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mentars zur Apg, es sei „Lukas nicht gelungen, das Erdenleben
Jesu ... mit der Sündenvergebung und dem Heil in
einen inneren Zusammenhang zu bringen" (689; zitiert von
G. auf S. 100). Offensichtlich wollte G. den Gegenbeweis zu
gerade dieser These liefern. Auf den ersten Blick erweckt
sein Buch den Eindruck, das sei ihm geglückt, aber eben
nur auf den ersten Blick. Denn so diskussionswürdig die
Rede vom „soteriologischen Loch" bei Lukas ist und so richtig
es ist, daß Lukas mit seinem Werk das Evangelium verkündigen
wollte, so sehr ist zu fragen, ob die theologische
Eigenart des Lukas mit G.s systematischen Konstruktionen
besser als bisher erfaßt ist und wieweit die Texte des
lukanischen Doppelwerks die Last dieser Konstruktionen
zu tragen vermögen. Bei der Frage nach dem Verhältnis
von Geschichte und Verkündigung in der lukanischen Theologie
wehrt G. sich mit Recht gegen falsche Alternativen
(35), liefert selbst aber nur die Umkehrung der These von
der Historisierung des Kerygmas, weicht wichtigen Problemen
aus (z. B.: Fortsetzung des Evangeliums durch eine
Apostelgeschichte) oder bestreitet einfach ihr Vorhandensein
(z.B. Zwölferapostolat: Lukas entwickle „keine Theologie
des Zwölferapostolates", und die Darstellung der
Nachwahl des Matthias verrate „weniger eine konsequente
theologische Konzeption als die tradierende Wiedergabe
einer historischen Notiz"; 47) und räumt schließlich zum
Hauptproblem doch ein, Lukas entdecke „die Dimension
des Historischen im Glaubensanspruch" „vielleicht etwas
bewußter und deutlicher als die .Vielen1" (41). Neu ist daran
nichts, enttäuschend die Ausklammerung wichtiger Probleme
. — Was die Soteriologie betrifft, so ahnt G. selbst, daß
er nicht ein „bestimmte(s) Schema von Erniedrigung und
Erhöhung etwa nach Art von Phil 2, 6 ff." (144) auf Lukas
übertragen kann. Er tut es trotzdem, besonders mit seiner
These, Jesu „Niedrigkeit ... (sei) ein wesentliches Moment
seiner rettenden Sendung" (144). Zwangsläufig muß G. Ablehnung
und Verwerfung Jesu in Nazareth mit Jesu Niedrigkeit
in Verbindung bringen (145 ff.) — was schlicht eine Eintragung
in den Text ist. Wenn G. dann schon Jesu einfache
Hinwendung zu den Erniedrigten als Erlösung bezeichnet
(149), so wird damit sowohl der Rahmen seiner eigenen
systematischen Konstruktion verlassen als auch der Text
(bes. Lk 7,36-50; S. 149 ff.) völlig überstrapaziert. G.s Deutung
des Todes Jesu „als Vollendung des Weges in die Erniedrigung
" (171) hingegen entspricht wieder seinem systematischen
Gesamtbild, bürdet aber den Belegstellen Lk
22,37; Apg 8, 32 f. (171 ff.) mehr auf als sie tragen können.
Dabei hätte G. von Lk 22, 37 her die Schlüsselfunktion von
Lk 23, 39—43 für die lukanische Soteriologie bemerken können
: Jesus muß als Unschuldiger zu den Übeltätern gerechnet
werden, damit diese sich selbst als solche erkennen und
sich von ihm retten lassen.
Münster Martin Rese

Kahl, Brigitte: Traditionsbruch und Kirchengemeinschaft
bei Paulus. Eine exegetische Studie zur Frage des „anderen
Evangeliums". Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1976].
40 S. 8° = Aufsätze und Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft
, 67.

Thema dieser kleinen Studie ist das Problem der Einheit
der Kirche angesichts des Pluralismus von Traditionen,
deutlich also eine Fragestellung, die sich aus der innerprotestantischen
wie der ökumenischen Diskussion der letzten
Jahre ergeben hat. Die Vfn. verfolgt dieses Problem an Hand
von Paulustexten, die die Vielfalt im Neuen Testament wie
in der Ökumene nicht als Ergebnis eines Wachstumsprozesses
zu interpretieren nahelegen, sondern Traditionsbrüche
zeigen.

Der erste große Teil (12-23) beschäftigt sich mit Gal 1,1
bis 2,10, mit dem Ergebnis, daß die Kontinuität des einen
Evangeliums gerade in der Diskontinuität von judenchristlichem
und heidenchristlichem Evangelium gewahrt bleibt.
Evangelium ist nur Evangelium, wenn es auf die jeweiligen
Empfänger bezogen bleibt. Ist der Vfn. darin kräftig zuzustimmen
, vermißt man aber eine Interpretation des Konflikts
in Antiochien (Gal 2,11—21) unter dieser Fragestellung
.

Der zweite Teil (24—31) stellt heraus, daß die äußere Traditionskontinuität
, die Paulus z. B. IKor 15,1—11 behauptet
, dem nicht widerspricht. Das wörtlich fixierte Bekenntnis
ist Zeichen der Einheit, nicht ihr Beweis. Normativ ist
die von Paulus der Gemeinde übergebene Tradition insofern
, als sie in der Liebe verwirklicht wird. Hier liegt für
die Vfn. dann im Grunde auch die Lösung für das Problem
von Einheit und Vielfalt: ein Kriterium, aber doch wohl das
entscheidende, ist die Praxis (36).

Sind aber nicht die innerprotestantischen wie ökumenische
Auseinandersetzungen der letzten Jahre genau an diesem
Punkt erst entstanden? War nicht die Praxis einerseits
kirchentrennender als die überlieferte Dogmatik? Und auf
der anderen Seite gab es Praxis als einigendes Band von
Gruppen verschiedener kirchlicher Herkunft. Zu fragen
wäre dann also nach einem Kriterium für Praxis. Weil aber
die Praxis selber schon Kriterium für das Evangelium ist,
kann nun nicht mehr umgekehrt das Evangelium Kriterium
für Praxis sein.

Vielleicht liegt Paulus aber doch mehr am Inhalt des
Evangeliums, das ihm ja in Antiochien zur Kritik für das
Verhalten von Petrus und Barnabas wird? Und der Traditionsbruch
des Paulus ist ja zunächst einmal ein Bruch mit
seiner eigenen theologischen Vergangenheit, wie ihn so radikal
andere offenbar nicht vollzogen haben. Tradition ist
über den bloßen Akt des Tradierens hinaus der Prozeß kontinuierlicher
Sicherung der Erfahrung von vorgegebenen
Maßstäben aus, Traditionsbruch demgemäß der Bezug auf
eine neue Orientierung für die Deutung von Erfahrungen.
Paulus beharrt dem „anderen Evangelium" gegenüber auf
dem Traditionsbruch, den für ihn das Evangelium bedeutet,
das er von Anfang an als Rechtfertigung allein aus Glauben
versteht.

Ich selber würde also bei der lohnenden Fragestellung der
Vfn. die Einheit des Evangeliums nicht von der Praxis her
zu bestimmen suchen, sondern im Evangelium selber. Praxis
kann ihr Zeichen, nicht ihr Beweis sein.

Bethel Dieter Lührmann

Corbin, M.: Le Christ de Dieu. Meditation theologique sur

Lc 9,18-27 (NRTh 99, 1977 S. 641-680).
Eckert, Jost: Paulus und Israel (TThZ 87, 1978 S. 1-12).
Ernst, Josef: Das Evangelium nach Lukas — kein soziales

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Meynet, Roland: Comment etablir un chiasme. A propos des

„Pelerins d'Emmaüs" (NRTh 100, 1978 S. 233-249).
Orbe, Antonio: El Hijo del hombre come y bebe (Mt 11,19;

Lc 7, 34) (Gr. 58, 1977 S. 523-555).
Pesch, Rudolf: Jesus — ein freier Mann. Eine Auslegung der

neutestamentlichen Uberlieferung (BiKi 32, 1977 S. 103

bis 109).

Stenger, Werner: Die Gottesbezeichnung „lebendiger Gott"
im Neuen Testament (TThZ 87, 1978 S. 61-69).

Vanni, Ugo: omoiöma in Paolo (Rom 1,23; 5,14; 6,15; 8,2;
Fil 2,7). II (Gr. 58, 1977 S. 430-431).

Kirchengeschichte: Mittelalter

Brunhölzl, Franz: Geschichte der lateinischen Literatur des
Mittelalters. I: Von Cassiodor bis zum Ausklang der karo-
lingischen Erneuerung. München: Fink 1975. X, 594 S. gr.
8°. Lw. DM 120.-.