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Ausgabe:

1979

Spalte:

49-51

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Glöckner, Richard

Titel/Untertitel:

Die Verkündigung des Heils beim Evangelisten Lukas 1979

Rezensent:

Rese, Martin

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4!)

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 1

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die Heiden, sondern die Kirche gemeint sei (128), auch 27, 25
stelle kein Gegenargument dar, da die Selbstverfluchung
sich nicht auf alle Generationen, sondern nur auf die Zeitgenossen
bezog, die mit der Tragödie des Jahres 70 für die
Hinrichtung Jesu büßten (128 f.). Nicht einmal die distanzierende
Bezeichnung der Gegner als ,die Juden' 28,15 vermag
den Vf. an seiner These irre zu machen (129).

Jedes zusammenfassende Referat schmeichelt dieser Arbeit noch
insofern, als es notwendig den Eindruck einer viel größeren Geschlossenheit
der Argumentation hervorruft, als tatsächlich vorhanden
ist. So wenig ferner Vollständigkeit in der Sekundärliteratur
ein erstrebenswertes Ziel sein kann, so sehr rächt sich doch hier
das Fehlen einer großen Reihe wichtiger Arbeiten, die nahezu jede
These des Vf. als überaus problematisch erscheinen lassen. Es ist
nur verwunderlich, daß Vf. nicht allein schon durch die von ihm
zitierte Literatur eines besseren belehrt worden ist. Nicht einmal
seine Hauptthese, daß wenigstens in den ,mid-point texts' des Kap. 2
die redaktionelle Gestaltung durch Matthäus evident sei, hält einem
kritischen Vergleich mit einer auf der Zwei-Quellen-Hypothese beruhenden
Interpretation stand. Ein Beispiel möge hier genügen: Die
Zusammenstellung der Wundergeschichten Mt 8 f. läßt sich auf der
Grundlage der Zwei-Quellen-Hypothese überzeugend begründen
(vgl. w. G. Kümmel: Einleitung in das Neue Testament. Heidelberg
"1973, S. 33). Wie auf dieser Grundlage gleichwohl nach der spezifischen
Intention des Matthäus zu fragen bleibt, zeigt etwa Chr. Burger
: Jesu Taten nach Matthäus 8 und 9. ZThK 70, 1973, 272-287. Wie
an vielen anderen Beispielen hätte Vf. hier lernen können, wie schief
seine Frontstellung ist. Er muß aber die Möglichkeit einer Abhängigkeit
von der Mk-Vorlage als „not strictly necessary" (72) bezeichnen
, um seine These durchzuführen, der Abschnitt Mt 9, 10-34 sei
nach dem Zitat aus Hos 6, 6 in Mt 9, 13 strukturiert (65-73). Dieses
Zitat beziehe sich nämlich nicht nur auf die Rechtfertigung der
Tischgemeinschaft; vielmehr seien auch die folgenden Perikopen
angeführt als Beispiele für das ..problem of Torah-plety in relation
to mercy and Jesus' response to the problem" (68): In 9,14-17 gehe
es darum, daß „mercy (allowing the diseiples to rejoice) takes pre-
cedence over sacrifice (fasting)" (68). In 9,18-26 werde Jesus von
vornherein zugemutet, sich durch Berührung einer Toten zu verunreinigen
. „In Jesus' unhesitating willingness to go and touch the
girl, Matthew offers a further specific instance of the principle of
mercy over sacrifice" (68). Auch die Perikope von der blutflüssigen
Frau spiegele diesen Gegensatz; denn „under strict observance of
Torah piety the woman would have done Jesus a great disfavor"
(Verunreinigung), doch „Jesus is not angered by the woman's im-
pertinence but commends her for her faith and grants her desire
for heallng" (69). Sogar die beiden Blinden müssen für diesen Gedanken
herhalten, da sie als Bettler außerhalb der Stadt leben mußten
, und „there was no way they could live under such conditions
and not be unelean" (69). Da schließlich die Heilung des besessenen
Stummen Mt 9, 33 f. den Beelzebul-Vorwurf vorwegnimmt, zeige
auch diese Perikope, daß Jesus „risks an act which goes beyond
careful piety in order to be merciful" (69 f.).

Schließlich sei noch erwähnt, daß in der Analyse von Mt 12 (32-52)
aus dem Zitat von Jes 42,1-4, das auch hier die Grundlage für die
Struktur des Kapitels abgeben soll, gefolgert wird, daß bei der Zeichenforderung
das Zitat aus Jon 2,1 in V. 40 ein nach-matthäischer
Zusatz sein müsse (40 ff., bes. 42). Damit wird grundsätzlich die Bedeutung
der Auferstehung Jesu für die Polemik des Matthäus verkannt
, denn die Perikope vom Betrug der Hierarchen Mt 28,11 ff.
will doch ganz offenkundig zeigen, daß ,die Juden' trotz des einen
Zeichens, das ihnen (vermittelt durch die Grabeswächter) gegeben
wird, verstockt bleiben. Damit wird aber auch die vom Vf. vorgenommene
Bestimmung des Verhältnisses zu den Juden insgesamt
fragwürdig.

Abgesehen davon, daß diese Arbeit ohne Grund die Zwei-
Quellen-Hypothese bestreitet, erweist sich auch ihr spezielles
Anliegen, an Hand der Benutzung des AT die Arbeitsweise
des Redaktors Matthäus nachzuzeichnen, als mißglückt
. In diesem Fall hätte wirklich eine Veröffentlichung
als Mikrofilm genügt!

Münster Alfred Suhl

Glöckner, Richard, O. P.: Die Verkündigung des Heils beim
Evangelisten Lukas. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag
o. J. XXIV, 246 S. 8° = Walberberger Studien der Albertus-
Magnus-Akademie. Theologische Reihe, 9. Lw. DM 39,-.

Die Flut der Untersuchungen zu Lukas schwillt weiter
an, und das Bild der lukanischen Theologie wird zusehends
unschärfer. Zwar ergeben sich nach wie vor etwas deutlichere
Konturen aus der positiven oder negativen Gesamteinschätzung
des lukanischen Werks, im übrigen aber läßt
sich höchstens noch zwischen mehr systematisch oder stärker
analytisch ausgerichteten Arbeiten zu Lukas unterscheiden
. G.s Buch ist „mehr systematisch", und es wendet sich
gegen die negative Beurteilung des Lukas in neuerer Zeit
(Vielhauer, Käsemann, Conzelmann, Haenchen).

In der Lukas-Diskussion geht es nach Meinung G.s „meist
um die beiden Hauptprobleme der lukanischen Heilsgeschichte
und der Soteriologie des Evangelisten", und zwar
bei der Heilsgeschichte um „das Verhältnis von Geschichte
und Verkündigung", bei der Soteriologie im Zusammenhang
mit dem fast vollständigen Fehlen einer Sühnedeutung
des Todes Jesu um das sogenannte „soteriologische
Loch" (IX f.). Der Hauptteil von G.s Buch „B. Heil und Erlösung
in der Verkündigung des Lukas" (93—240) gilt dem
zweiten Problem (er lag 1973 der kath.-theol. Fakultät in
Bonn als Dissertation vor), der relativ knappe, später verfaßte
Abschnitt „A. Heilsgeschichte und Verkündigung in
den Schriften des Lukas" (1—90) ist dem ersten Problem
gewidmet. Den „Verkündigungscharakter" der lukanischen
Schriften versucht G. an Lk 1,1—4 (3—41), an der „Vorstellung
vom Glaubenszeugnis" in der Apg (42—67) und an der
„Bedeutung Jerusalems und des Tempels im ganzen Doppelwerk
" (68—90) zu verdeutlichen: Aus Lk 1,1—4 erschließt
er, Lukas wisse „um die unlösbare Verbindung von geschichtlichem
Ereignis und interpretierender Tradition"
und bestätige so, „daß .Historie' immer nur interpretiert
und interpretierend weitergegeben und in ihrer Bedeutung
erfahren werden ... kann" (38); dem „Vorstellungsfeld"
der „martyria" in der Apg sei zu entnehmen, daß für Lukas
„das Geschehen des Heils, seine Bedeutsamkeit und deren
interpretierende Erhebung ins Wort ... eine unlösbare Einheit
" bildeten (67), und das Doppelwerk zeige „sich als vom
Glauben getragenes, im Glauben weiterlebendes und Glauben
erweckendes Evangelium" (66); Jerusalem (und der
Tempel) schließlich sei sowohl „Ort der Heilserfüllung im
Geschick Jesu Christi" und Repräsentant der „ganze(n) vor-
anliegende(n) alttestamentliche(n) Heilsgeschichte" (82) als
auch „Repräsentant des Unglaubens und des Gerichts über
das ungläubige Israel" (87). Insgesamt kämen „im Evangelium
gottgewirkte Heilsvergangenheit und neue Gegenwart
im eschatologischen Heilsereignis Jesu Christi zur
Einheit und ... (würden) so zu einer geschichtsbestimmen-
den Macht" (90). - Der Soteriologie des Lukas hofft G. auf
die Spur zu kommen, indem er nach einem Blick auf den
Diskussionsstand (96—113) zunächst „Menschwerdung und
Leben Jesu als rettende Sendung" (114—154) dargestellt
findet und dann „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Christi" (155—201) und „Das universale Heil des erhöhten
Herrn" (202—240) untersucht: Bei Lukas müsse „das Heilshandeln
Gottes innerhalb der Spannungspole Erniedrigung
und Erhöhung gesehen werden" (124); das ganze Leben Jesu
„in der Niedrigkeit als Mensch", mit Jesu Hinwendung „zu
den Erniedrigten und seine(r) Forderung der Selbsterniedrigung
an den Menschen" sei Gottes Antwort „auf die sündhafte
Selbsterhöhung des Menschen" (153); entscheidend
sei, daß „der Mensch in der Konfrontation mit der Verkündigung
Jesu endlich zur Anerkennung seiner Schuldsituation
kommt und damit in die Möglichkeit seiner Rettung einwilligt
" (142); „Erlösung" vollziehe sich „wesentlich in der
einfachen Hinwendung Jesu zu den Sündern und Ausgestoßenen
" (149). In sein Leiden gehe Jesus „als Mensch und
als der gottgesandte Knecht" (195); sein Tod sei sowohl „die
letzte Konsequenz seiner Heilssendung für die Armen" als
auch sich erniedrigende, „unbedingte(n) Hingabe an Gott"
(199). In Tod, Auferstehung und Erhöhung erfülle sich der
Weg Jesu, und „dieser Weg Jesu" sei „durch die bleibende
Gegenwart dessen, der ihn gegangen ist, zur bleibenden
Grundform der Versöhnung zwischen Gott und Mensch geworden
" (223). Deshalb werde Jesus als Herr angerufen und
läge in seinem Namen das Heil beschlossen. „Die Soteriologie
... (werde) in unmittelbarer Nähe zur Homologie verdeutlicht
", wenn auch „Lukas sicher nicht uninteressiert
(sei) an den Ereignissen des Lebens, des Sterbens und der
Auferweckung Jesu Christi" (240). Kurz, es gäbe bei Lukas
kein „soteriologisches Loch". Leider fehlt ein die Ergebnisse
bündelnder Schlußabschnitt. — Das vorzüglich gedruckte
Buch enthält noch ein Stellen- (241—244) und Personenregister
(245 f.) in Auswahl sowie ein Literaturverzeichnis
(XIII-XXII).

E. Haenchen schrieb einst am Schluß seines großen Kom-