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Ausgabe:

1979

Spalte:

713-720

Autor/Hrsg.:

Körner, Jutta

Titel/Untertitel:

Das Wesen des Glaubens nach dem Alten Testament 1979

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1971) Nr.10

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Das Wesen des Glaubens nach dem Alten Testament*

Von Jutta Körner, Jena

Herrn Professor ü. Dr. tludolf Meyer zum 70. Geburtstage in Dankbarkeit und Vercliruus!

1. Kinleitung

u) Das Wort „Glaube" oder ..glauben" ist - so will uns scheinen
-eine fast inhaltsleere Vokabel geworden. P.Tillich1 spricht davon,
daß das Wort (Haube selbst erat wieder geheilt werden muß, ehe es
den Menschen zur Heilung werden kann. Fehlt es am eigenen Betroffensein
, am persönlichen Beteiligtsein? Das ist die Frage, die
G. Ebeling2 stellt. Es fehlt nicht an vielfältigem Bemühen, gerado
in den letzten Jahrzehnten, in Monographien, Aufsätzen und Lexikon
-Artikeln3 diesem Begriff rechten Sinn im Gebrauch zu geben,
Fehldeiitungen abzuwehren, das Wort wieder inhaltlich zu füllen.
Für die Seelsorge der Kirche ist das rechte Glaubensverständiiis
unbedingt notwendige Voiaussetzung; denn sie will ja L'bonshilfc
aus Glauben mitteilen. Glaube als Heil zur Heilung von Menschen
kann aber nur recht vorn biblischen Grunde her geschehen und
vermittelt werden.

b) Das Neue Testament, insbesondere die Paulus-Schriften, kennen
den Begriff des Glaubens als zentrales Wort in verschiedenen
Ausdruckweisen, immer jedoch auf die geme insame Mitte bezogen,
die ist und bleibt: Jesus von Nazareth als der Christus Gottes.
Durch ihn, Jesus Christus, ist der Mensch angeredet und betroffen,
ergriffen von dem. was ihn, den Mensehen, angeht. Glaube ist ein
Akt des Vertrauens und der Treue der Person, die den Menschen in
allen seinen Lebensbezügen erfaßt . Daraus ist zu folgern, daß der
Glaube nicht einmalig, kein einmaliger Vorgang im bestimmten
Bereich der Person oder zu bestimmter Zeit ist, auch keine einzelne
Funktion des menschlichen Seins. Vielmehr vereint der Glaube alle
Funktionen de« Menschen und best immt alle Lebensbereiche in der
Ganzheit und Totalität menschlichen Seins, so daß der glaubende
Mensch von ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit allem Vermögen
mit Luther bekennen kann: Ich glaube, daß Jesus Christus
»ei mein Herr.

c) Im Alten Testament läßt sieh so nicht der Glaube bestimmen;
denn es gibt keinen einzigen, bestimmten Begriff für „glauben",
der so gehäuft vorkommt wie das griechische ntareveiy. Es gibt im
Alten Testament gar nicht das Wort „Glaube" wie griechisches
^iaric Deshalb kann es im Alten Testament auch keine begriffliche
Definition des Wortes „glauben" und „Glaube" geben. Das
bedeutet aber nicht, daß es „glauben" im Alten Testament nicht
"ibt. „Glauben" gibt es in allen Lebensbereichen des Menschen und
in allen Situationen menschlichen Daseins. Veranschaulichte Wirk-
liohkeit, in der geglaubt wird oder nicht geglaubt wird, ist in den
Ceschichtserzählungen dargestellt oder auch in den Dichtungen der
Klage und des Vertrauens gegeben. Wirklichkeitsfelder in den verschiedenen
Situationen und zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen
Gesellschaftsformen zeigen den glaubenden oder nicht-
glaubenden Menschen in der Gemeinschaft der Familie, des Volkes
°der einzeln als handelnden Menschen in seiner Ganzheit und
Einheit des Menschsoins.

Der neutestamentliche Glaubensbegriff schließt die alttesta-
mentliche Glaubensgeschichte ein. Der Glaubensgeschichte im
Alten Testament soll im Zusammenfassen dessen, was Alttesta-
nientler zum Wesen dos Glaubens nach dem Alten Testament erarbeiteten
, in diesem Beitrag nachgegangen werden, um der Glau-
bensdetinition aus dem Neuen Testament dio alttestaincntliehe
Heilsgeschichto zur orientierenden Grundlage zu geben.

Zur Begriffsgeschichte

a) Nach dem Neuen Testament besteht und geschieht Glaube als
Vertrauen zwischen dem redenden und handelnden Gott in Christus
und der lobenden und dienenden Antwort des Menschen. Im
Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist der Glaube zwischen das
Hören des göttlichen Wortes und den antwortenden Menschen eingeschlossen
. Nach dem Alten Testament ist das Glauben des mit
dem Gotteswort konfrontierten Menschen ganz selbstverständlich.
Gott glauben, an Gottes Wort glauben gehört zur menschlichen

Existenz. Das ist eine selbstverständliche Voraussetzung; denn es
gibt ja nicht dio Frage, ob Gott existiert oder nicht. Deshalb, weil
Gott glauben so selbstverständlich ist, wird es ausdrücklich nur an
einigen markanten Stellen bezeichnet, deshalb kamt es keine zentrale
, einzigo Vokabel für „glauben" im Hebräischen geben. Glauben
im menschlichen Wirklichkeitsbereich wird veranschaulicht
durch „Vertrauen haben, hoffen, warten, gehorsam sein" im Handeln
und Loben als Entsprechung zum Tun und Wort Gottes. Ins
Blickfeld tritt besonders, wo die Entsprechung ausbleibt. In den
älteren Texten steht da« Vorbum .glauben' negiert.

b) Herausragende Stellen im Alten Testament, die nachdrücklich
vom Glaubon reden, enthalten die Vokabel im Hif'il-
Stamm V"?*'!! gebraucht. Im Gegensatz zu anderen wichtigen
theologischen Begriffen kommt die Hif'il-Stammform nur ölmal
vor. Die Grundbedeutung von ist „fest, beständig, zuverlässig
, treu sein". Im Grundstamm Qal kommen nur die Partizipien
des Aktivs und Passivs vor in der Bedeutung „Erzieher, Wärter"
und „Pflegemutter", wobei der Sinn ist „zu treuen Händen anvertraut
", beziehungsweise „gestützt, getragen sein". In der Stam-
mesinodifikation Nif'al ist von 45 Belegen das Partizip 32mal als
"l^s: vorhanden. Die Bedeutung ist im zeitlichen Sinne ausgeweitet
zu „dauerhaft, beständig sein", dann auch „treu und zuverlässig
sein oder sich als solcher erweisen", „eine Vertrauensstellung
erhalten, als wahr befunden werden". Die Formen des Stammes
Hif'il meinen im absoluten Gebrauch bei Jesaja „glauben", mit dor
Präposition 3 „vertrauen, Zutrauen fassen, jemanden für glaubwürdig
beziehungsweise vertrauenswürdig halten", mit der Präposition
^ „glauben, trauen, sich sicher sein oder fühlen", mit
nachfolgender Konjunktion ^3 oder mit der Infinitivkonstruktion
„glauben, daß; meinen, daß" und „stillhalten, feststehen, fest-
blciben". Im Hof'al-Stamm bedeutet es „betraut, ermächtigt
werden".

Das sind die wesentlichen Ubersetzungs- und Interpretations-
möglichkeiten der TEN - Formen, die nach dem Manuskript von
Gesenius-Meyer für diesen Artikel angegeben sind.4 Die Grundbedeutung
von „fest, beständig, zuverlässig, treu sein" wird in
allen Stammesmodifikationen deutlich erkennbar.

c) Vergleichbare Formen dieses Verbs gibt es weder im Akkadi-
sehen noch im Ugaritischen oder Phönikischen. Auf die Übernahme
dieser Vokabel ins Aramäische, in dem der Ausdruck der
Zeitdauor im Siiuie von „beständig" eine Rollo spielt, und ins
Syrische, wo „glauben" zu übersetzen ist, deuten die Belege. Im
Arabischen weist die Verwendung dieser Vokabel auf den Sinn von
„treu, zuverlässig sein" hin.

Eine Ableitung und ein besseres Verständnis für den Gebrauch
von im Alten Testament läßt sicli sprachgeschichtlich nicht

linden.

Vergleiche lassen sich nur an den alttestamentlichen Belegstellen
.selber ziehen. A.Weiser5 sieht in der hebräischen Wurzol V2N einen
Formalbegriff, dessen Inhalt in jedem Fall durch das besondere
Subjekt anders bestimmt werden muß. Demnach kann es einen
bestimmenden Begriff nicht geben. A. Jepsen6 vermutet einen erkennbaren
Zusammenhang mit allen Formen dieser Wurzel, er geht
vom Partizip Qal aus und dem speziellen Sinn des „verantwortlichen
Betreuers". Im Nif'al wird im Bezug auf Personen die Zuverlässigkeit
und Treue betont. Im theologischen Sinne steht es
zur Umschreibung dos Wesens Gottes, etwa in Dtn 7,9: I^NSn 5Nri
„der treue Gott", das heißt, der Gott, der sich als treu erweist.
Entsprechend soll des Menschen Vorhalten zu Gott als „zuverlässig
, treu, wahr, aufrichtig sicherweisen", um sich in die sozialen
Ordnungen der Welt und des Lebens oinfügen zu können. Der
Treue Gottes zu gegebenen Ordnungen soll die menschliche Beständigkeit
in der Gemeinschaft des Gottesvolkes und in ihren von
Gott gesetzten Ordnungen entsprechen. Im Nif'al-Stamm treten