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Ausgabe:

1979

Spalte:

700-701

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Spiegler, Norbert

Titel/Untertitel:

Das Leben spielen 1979

Rezensent:

Haustein, Manfred

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699

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

700

es verständlich, daß der Vf. exemplarisch arbeitet und nach
einem kurzen Überblick über die Entwicklungslinien der
neueren katechetischen Diskussion sein Augenmerk vor
allem auf die maßgebenden Katechismen und Lehrpläne
des genannten Zeitraums richtet; auf den .Katholischen
Katechismus der Bistümer Deutschlands' aus dem Jahr
1955, auf den ,Rahmenplan für die Glaubensunterweisung'
aus dem Jahr 1967 und auf den ,Zielfelderplan für den
katholischen Religionsunterricht' aus dem Jahr 1973. Daneben
analysiert Bitter noch zwei Unterrichtsmodelle, die
das Feld „Erlösung" und „Glück" als einzigen Gegenstand
für Schüler zu erschließen suchen.

Interessant und m. E. vorbildlich sind die hier geleisteten
analytischen Arbeiten, die jeweils in fünf Schritten zum Ziel
einer Erfassung des Erlösungsverständnisses zu kommen
versuchen:

— Wie steht es mit dem Verhältnis von Erlösung und Erfahrung
?

— Welches Verhältnis hat die Erlösung zum Glauben des
Menschen ?

— Welche Funktion hat Jesus Christus als Bruder und Erlöser
für die ausgebreitete Erlösungsvorstellung?

—1 In welchem Verhältnis wird Gott zur Erlösung und zu
Jesus gesehen?

— Ist die Erlösung punktuelles Ereignis oder ein Prozeß?
Ein Exkurs im Rahmen dieses 3. Kap. dient einer Darstellung
des Erlösungsglaubens im Holländischen Katechismus
.

Und welches sind nun die Ergebnisse dieses breiten (139
bis 230) Kapitels? „Die jahrhundertelange stagnierende
Erlösungstheologie (Satisfaktionstheorie, Natur-Gnade ...)
und mit ihr die Soteriologiedidaktik sind seit den dreißiger
Jahren dieses Jahrhunderts in Bewegung geraten und bieten
heute ... ein gänzlich verändertes Bild." Die Trennung
von weltlicher Welt und weltlosem Glauben ist überwunden
; ebenso die entsprechende Trennung zwischen zwei
Hoffnungsrichtungen und Sprachen, Glücksvorstellungen
und Lebenszielen, Jenseits und Diesseits. Waren noch im
Katechismus von 1955 Heil und Leben getrennte Größen,
so weiß der Zielfelderplan sowohl die Privatheit der traditionellen
Heilsvorstellungen als auch die Weltfremdheit
derselben zu durchbrechen.

Das Buch schließt mit dem Versuch, Umrisse einer künftigen
Erlösungsdidaktik vorzustellen. Wichtige Punkte dieses
Versuchs sind die Betonung des Glaubens als Heilskraft,
der Menschlichkeit Jesu als Leitbild und als Heilsereignis
und der Kirche als mögliche Bewegung der Freiheit.

Im Rückblick auf dieses Opus magnum kann gesagt werden
, daß hier nicht nur ein dogmatisches Kompendium der
neueren katholischen Theologie vorliegt, das mit einem bewundernswerten
Fleiß erarbeitet worden ist, sondern darüber
hinaus auch eine für die Religionspädagogik wichtige
kritische Analyse der ihr eigenen theologischen Implikationen
, die doch in der Vergangenheit nicht selten ohne
Beachtung der Adressaten religiöser Erziehung und ihrer
Situation einfach übernommen worden sind.

Schade ist, daß sich Bitter nur der katholischen Religionspädagogik
angenommen hat und die protestantische Theologie
eigentlich nur im Blick auf J. Moltmann vorstellt.
Wenn man die Fülle des angebotenen Materials überblickt,
ist das nicht als subjektiver Mangel zu beurteilen, aber doch
als Motivation für einen evangelischen Autor, sich ans
Werk zu machen und eine kritische Analyse der evangelischen
Literatur zum Thema zu erarbeiten. Denn nur
aus der Analyse heraus wird es möglich sein, krumme Wege
zu verlassen und neue Ufer zu suchen.

Das Buch Bitters gehört in die Hand nicht nur der Religionspädagogen
, sondern vor allem der Systematiker und
der Pfarrer, die die Situation unserer Welt und ihres Fragens
noch nicht zur Kenntnis genommen haben und immer
noch auf Fragen antworten, die niemand stellt, und das im
Bewußtsein, das reine Evangelium anzubieten.

Bremgarten Klaus Wegenast

Spiegier, Norbert: Das Leben spielen. Phänomene jugendlichen
Verhaltens, Konsequenzen für die Jugendarbeit.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn [1978].
255 S. 8°. Kart. DM 26,-.

Obwohl ausgesprochen praxisorientiert, handelt es sich
bei der angezeigten Veröffentlichung keineswegs um eine
jener praktizistischen Anleitungen zur Jugendarbeit, welche
den Koch- und Rezeptbüchern ähneln und gedankenloses
Praktizieren fördern, wo alles auf reflektierte Praxis ankäme
. Spieglers Buch ist eine breitangelegte Studie zum
„Urphänomen" des Spiels (158), die auf einer umfassenden,
exakt ausgewiesenen Forschungsarbeit gründet.

In einem ersten phänomenologischen Teil stellt der Vf.
am jugendlichen Musikverhalten (Rock-Szene, Beat, BRD-
Schlager) den Unmut der jungen Generation an ihrer Gesellschaft
und die vielfältigen Experimente zu alternativen,
kreativ-spielerischen Lebensentwürfen dar, wobei auch die
Krise dieser jugendlichen „Versuche, das Leben als Spiel
zu gestalten", nicht unterschlagen wird. Keine der naiv-
spielerischen, zuweilen auch aggressiven adoleszenten Subkulturen
vermochte sich gegen die Übermacht gesellschaftlicher
Zwänge zu behaupten. In einem zweiten Teil werden
Ansätze zu einer Pädagogik des Spiels und der Stand der
Kreativitätsforschung referiert. Der dritte Teil, „Die sogenannte
.Theologie des Spiels'", in dem der Vf. keinen eigenen
theologischen Entwurf vorlegt, sondern Beiträge und
Reflexionen von Theologen (G.M.Martin, Moltmann, Guardini
, Cox, Pieper, Solle u. a.) zum Phänomen Spiel-Kreativität
beibringt und gleichsam bündelt, weckt das fachspe-
ziflsche Interesse, aber möglicherweise auch den Widerspruch
gegen eine erneute Genitiv-Theologie. Im abschließenden
vierten Teil leitet Spiegier praktische Konsequenzen für
die Jugendarbeit ab und bietet eine Fülle von Anregungen.

Der Vf. nimmt Partei für den „homo ludens" als „Gegenspieler
des Computers im 20. Jahrhundert" (11) und fordert
angesichts der Hypertrophie des „zweckrationalen Denkens
" (81), welche das Menschsein verzerre und entfremde,
die Anwaltschaft von Theologie und Kirche für das „Urphänomen
" der Kreativität und des Spiels. Diese Verpflichtung
wird sowohl schöpfungstheologisch („Urphänomen")
als auch christologisch im Zusammenhang der „Vision Jesu,
daß die Menschen zu einer .festlichen' Gesellschaft zusammenfinden
" (11), begründet.

Daß die Entbindung kreativer und spielerischer Fähigkeiten
komplementär dringend erforderlich ist, dürfte nicht
strittig sein. Ihre Verdrängung durch maßlosen Zweckrationalismus
führt auf die Dauer zu einer Abschnürung
der Vitalität, Blockaden des Leistungsvermögens, diversen
Erkrankungen und Beziehungsstörungen. Das Lösungsmoment
des Kreativen und Spielerischen kann somit nicht
hoch genug gewürdigt werden. Allerdings kann man Kreativität
und Spiel als Heilsquelle im Sinne von „Erlösung",
Wiedergewinnung des „Paradieses", Aufhebung der Entfremdung
schlechthin auch überfordern, woran die dargestellten
adoleszenten Subkulturen ausnahmslos gescheitert
sind. Zweifellos überfordern auch manche der beigezogenen
„Spiel-Theologen" das Phänomen in dieser Richtung, wogegen
Spiegier m. E. im ganzen ungenügend interveniert.
Über den faszinierenden Chancen und Möglichkeiten des
Spielerisch-Kreativen werden dessen Grenzen vom Vf. zwar
nicht schlechterdings ignoriert, wie etwa seine gelinde Kritik
an Cox (161) beweist, aber auch keineswegs in aller
Deutlichkeit aufgewiesen. Ein Zitat von D. Krebs: „Das
Spiel ist nur Vorwegnahme der Freiheit — wenn man so
will, auch die Einübung der Freiheit —, aber nicht die Bewerkstelligung
der Befreiung" (154), das hierfür wegweisend
sein konnte, wird leider nicht recht ausgefolgert. Letztlich
sind weder die gesellschaftlichen Zwänge, die nicht nur
aus falscher Mentalität (zweckrationalen Denken usw.),
sondern aus den ökonomischen Grundlagen stammen, noch
die letzte Entfremdung, wovon christliche Theologie unter
den Stichworten „Fall" und „Sünde" handelt, kreativspielerisch
aufzulösen. Auch der Vf. konstatiert, freilich nur