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Ausgabe:

1979

Spalte:

697-699

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bitter, Gottfried

Titel/Untertitel:

Erlösung 1979

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

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die Gefahr der „esoterischen Sicht der Predigt und der Gemeinde
" (91). Weil der Autor dieser Predigt dem Hörer das
unmittelbare Verständnis der Botschaft zutraut, verzichtet
er „bewußt darauf, Aufmerksamkeit zu erregen durch aufgegriffene
Aktualitäten, er verzichtet sogar auf die vielfach
so empfohlenen wie begehrten ,Beispiele"' (90).

In dem bisher beschriebenen zentralen zweiten Kapitel
bietet der Vf. viele Beispiele aus Predigten; sie sprechen
für sich selbst. Er kann sich darauf beschränken, sie nach
bestimmten Merkmalen zu ordnen und geschickt zu verbinden
. Schade, daß dabei manches hochinteressante Einzelergebnis
fast nur nebenbei zwischen den Zeilen und
manchmal auch gar nicht zu finden ist.

Ein letztes Kapitel über die Entwicklung in der neuesten
Zeit (101-117) schließt das Bändchen ab. Der Autor läßt sie
Zu Recht mit der Liturgiekonstitution des II. Vaticanums
und der dort angekündigten neuen Perikopenordnung beginnen
. Damit hat ein neues Ernstnehmen der exegetischen
Befunde eingesetzt (vgl. 102 f.). Der Vf. sieht darin
eine ökumenische Chance (108), aber auch die Gefahr, daß
der Prediger leicht überfordert werden könne; mit dem
Angebot von glaubhaften Sprachmustern in der Predigtliteratur
müsse ihm geholfen werden (117).

Den Auftakt des Bändchens bilden zusammenfassende
Bemerkungen über die bei der Predigt beteiligten Komponenten
und über die methodischen Voraussetzungen des
Büchleins (1—19). Im Ganzen eine sehr anregende, manchmal
geradezu abenteuerliche Lektüre! Sie sei nicht zuletzt
dem jüngeren Prediger empfohlen, der die Tradition, in der
er steht, nicht so leicht zu überschauen vermag.
Mainz Alfred Mertens

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Bitter, Gottfried: Erlösung. Die religionspädagogische Realisierung
eines zentralen theologischen Themas. München:
Kösel-Verlag [1976]. 424 S. gr. 8°. Kart. DM 48,-.

Der Titel des Buches läßt auf den ersten Blick eine der
bestimmt nützlichen, aber doch im Grunde langweiligen
Analysen von ebenso langweiliger Sekundärliteratur erwarten
. Die Motivation, das vorliegende Opus zu lesen, war
deshalb vorgängig gering. Diese Einstellung änderte sich
jedoch schon bei der Lektüre der ersten Seiten, auf denen
es der Vf. mit Geschick unternimmt, den Leser für seine
Problematik zu gewinnen, ihn in seine Fragestellung einzuführen
und die Wichtigkeit und Aktualität der anstehenden
Fragen nachzuweisen, wobei er von den Erfahrungen
seiner Umwelt ausgeht.

Erlösung oder die Frage nach Glück, Sinn und Heil sei
dran, seit Leibniz mit seiner „bestmöglichen aller Welten"
keinen Glauben und die Aufklärer mit ihrer Zuversicht,
die Glückseligkeit aller sei durch Klugheitsregeln und Sittengesetze
erreichbar, keine Zustimmung mehr finden, und
seit auch die Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit der
Neuzeit von keinem ernstzunehmenden Zeitgenossen noch
Begeisterung erwarten können. So sieht Bitter statt Hoffnung
und Elan Resignation als bestimmendes Grundgefühl
unserer Generation und dazuhin verschiedene Formen der
Flucht aus Wirklichkeit und Verantwortung und nicht zuletzt
eine unstillbare Frage nach dem Sinn und damit nach
dem Glück, nach Erlösung und Befreiung, kurzum nach
dem Heil. Das alles hält der Vf. dann für eine Herausforderung
an den christlichen Glauben wie an die Institutionen
unserer Gesellschaft, wie z.B. die Schule und auch ihren
Religionsunterricht. Die Entscheidungsfrage laute deshalb
für unsere Generation: Werden die Hoffnungen auf ein
gelingendes Leben, auf eine menschlichere Gesellschaft und
auf eine wohnlichere Welt aufgegeben oder gewinnen sie

neue Kraft? Auf das pädagogische Feld übertragen heißt
diese Frage: „Verkommt die Schule zur Schule der Anpassungswilligkeit
und der Erfolgsorientierung innerhalb einer
im Ganzen als sinnlos betrachteten Welt, oder erfüllt sie
ihre emanzipierenden Funktionen in Anleitungen der Schüler
zum Menschwerden und zur öffentlichen Verantwor-
tungs- und Zukunftsfähigkeit?" (231 f.)

Und der christliche Glaube und seine Botschaft von der
Erlösung? Welche Funktion und welche Kraft hat er? Bevor
der Vf. diese Schicksalsfrage zu beantworten unternimmt
, führt er den Leser in stringenter Gedankenführung
zu der Einsicht, daß wir Christen es wieder zu lernen haben
, unsere Antworten auf Fragen hin zu formulieren, die
heute gestellt werden, wennanders wir der Meinung
sind, daß Christus heute lebt und Zukunft öffnen möchte.
Die Heilsfrage unserer Zeit sei aber nicht in erster Linie
die nach einem Jenseits, sondern die nach dem Frieden in
der Welt und die nach Identifikation des einzelnen und der
Schichten, Rassen und Völker angesichts vielfältiger Formen
von Entfremdung und Unterdrückung. Hier gilt es nun
für Christen und Theologen, die „Zeichen der Zeit" und d. h.
die Sehnsucht und Heilsbedürftigkeit zu entdecken und
dabei nicht zu vergessen, daß die im Grunde einzige fündige
Quelle für Antworten auf die Sinnfrage da sprudelt, wo in
vielstimmigem Chor der Vergangenheit und der Gegenwart
Jesus Christus zum Wort kommt.

Der Aufbau des Buches ist klar und durchsichtig: Das
Einleitungskapitel dient dem Vf. dazu, eine Phänomenologie
der Erlösungssuche vor dem Leser auszubreiten. Religion
und Religionen, Feuerbach, Marx und Freud, Nietzsche
und die Frankfurter Schule werden hier nach ihren „Heils"-
Vorstellungen hin abgefragt, und auch die im heutigen
Religionsunterricht vertretenen Heilsvorstellungen werden
angedeutet. Das vorzügliche 2. Kap. dient einer Darstellung
der Erlösung als theologisches Problem in Geschichte und
Gegenwart, angefangen bei den Exodus-Traditionen des
Volkes Israel über die sehr verschiedenen Erlösungsvorstellungen
der neutestamentlichen Schriften und der christlichen
Glaubensgeschichte bis zur Erlösungstheologie der
Gegenwart (43-138).

Das Resume dieses mit viel Sachkenntnis, gewaltigem
Fleiß und einer beispielhaften kritischen Fähigkeit geschriebenen
Kapitels faßt der Vf. in die These: Die Soteriologien
sind vielfältig, der Heilsglauben ist aber einer. Als Voraussetzung
für heutiges Reden vom Heil nennt Bitter die Einsicht
, „daß der christliche Glaube gerade als geschichtlich
vermittelter Glaube nur im Erfahrungs- und Sprachfeld
alltäglichen Lebens zu Wort kommen kann." (133) Mit anderen
Worten heißt das, daß die Situationsvergessenheit
vieler bisheriger Erlösungstheologien im katholischen und
protestantischen Raum überwunden werden muß und eingeholt
von einer wiederentdeckten Einsicht in die Ge-
schichts- und Gesellschaftsbezogenheit des Glaubens und
seiner Erlösungsvorstellungen. Die .anthropologische Kehre'
in der modernen katholischen Theologie seit Rahner ist für
Bitter ein Signal dafür, daß man auch an den Universitäten
damit beginnt, die genannte Einsicht ernstzunehmen und
Bibel und Wirklichkeit so miteinander ins Benehmen zu
setzen, daß eine gegenseitige Erschließung möglich wird.
Interessant in diesem Zusammenhang ist es, durch Bitter
auf katholische Arbeiten aufmerksam gemacht zu werden,
die eine Soteriologie der Menschlichkeit Jesu Christi entwerfen
(Kessler, Höfer, Schoonenberg) und damit durch
Welten von der neuscholastischen Schultheologie getrennt
zu sein scheinen. Nicht zeitloses Nachsagen von ehemals
treffenden Formeln ist hier die Devise, sondern heutiges
Erkennen des Glaubens in seinen sach- und zeitbedingten
Grenzen (76 ff.).

Das 3. Kap. dient dem Vf. dazu, den Weg des Erlösungsglaubens
im Spiegel der katechetischen Literatur katholischer
Herkunft für den Zeitraum von 1955 bis 1974 darzustellen
und kritisch zu würdigen. Bei der Fülle der vorliegenden
Entwürfe und Meinungen, Modelle und Pläne ist