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Ausgabe:

1979

Spalte:

692-693

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Geach, Peter Thomas

Titel/Untertitel:

The virtues 1979

Rezensent:

Ernst, Wilhelm

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691

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

G92

Lehre von der Imago Dei und das mit ihr zusammenhängende
Verständnis der Analogie von Gott und Mensch, „um
eine Möglichkeit theologischer Ethik auf dem Grund der
analogia relationis herauszuarbeiten". Die sehr klar gegliederte
Arbeit setzt sich in drei Kapiteln mit den Konzeptionen
Emil Brunners, Karl Barths und H. Thielickes auseinander
, indem jeweils Begründung und Ausgestaltung
der Imago-Dei-Lehre, Benutzung der Analogie und deren
Konsequenz für die Ethik behandelt werden; abschließend
werden kritische Fragen des Vf. genannt. Im vierten Kapitel
stellt der Vf. seine eigenen Überlegungen zum Thema
vor.

Es muß hier genügen, aus den ersten Kapiteln nur die
kritischen Fragen kurz zu referieren. Sie beziehen sich gegenüber
Brunner darauf, daß dieser die kategoriale Trennung
von formaler und materialer Imago Dei nicht durchgehalten
hat und die durch die Sünde nicht zerstörte formale
Imago Dei latent inhaltlich gefüllt wird. Die Gottebenbildlichkeit
wird zur notwendigen Voraussetzung zum Verständnis
der Gnadenbotschaft und mit dieser „Anknüpfung"
die Diskontinuität von göttlichem und menschlichem Handeln
überspielt. An Barths grundlegendem Bundesbegriff
wird kritisiert, daß das Moment der Gegenseitigkeit durch
den „gnadenmonistischen Ansatz" zu wenig zur Geltung
kommt, während im Begriff der analogia relationis, der seit
KD III/l von Barth bevorzugt wird, die Betonung stärker
auf der Entsprechung als auf der Unterscheidung liegt,
woraus sich etwa erklärt, daß „das Wesen des Gesetzes vom
Evangelium aufgesogen wird" und „die reale, widerspruchsvolle
menschliche Existenz in der Existenz Jesu Christi
aufgeht".

An Thielickes Ethik hebt der Vf. hervor, daß der Analogiegedanke
nicht deduktiv-ontologisch wie bei Brunner
oder deduktiv-christozentrisch wie bei Barth entfaltet wird.
Thielicke geht induktiv vom „Analogieverlust" durch die
Sünde aus, spricht aber andererseits von „ontischen Gleichnissen
als analogen Elementen zwischen Gott und Mensch",
die in der analogia fidei wieder zur Funktion kommen. Damit
nähert sich Thielicke der sonst von ihm abgelehnten
„analogia entis in der analogia fidei" (U. v. Balthasar) und
bleibt in dem Widerspruch zwischen einer „Reparatur"
und einer „Neuschöpfung" der Gottebenbildlichkeit stecken.
Ferner bemängelt der Vf., daß der sachliche Vorrang der
in der Inkarnation begründeten „Versöhnungsordnung"
gegenüber der „noachitischen Notverordnung" nicht genügend
zum Ausdruck kommt. Das mindert nach Ansicht des
Vf. jedoch nicht die große Bedeutung, die gerade Thielickes
dialektische Analogie im Gott-Mensch-Bezug für die theologische
Ethik besitzt.

Okayama präzisiert sein eigenes Verständnis einer theologischen
Ethik auf dem Grund der analogia relationis,
indem er sich von Barths Analogieverständnis, das er auch
bei Jüngel und Moltmann wiederfindet, abgrenzt. Die Aufnahme
einer ontologischen Begründung im innertrinita-
rischen Sein Gottes verdunkelt trotz der christologischen
Interpretation das Analogie-Denken, weil es ungeschichtlich
bleibt. Die analogia relationis als Unterscheidung und
Beziehung ist vielmehr im geschichtlichen Leiden Jesu
Christi begründet. „Das Leiden Christi ist so der die neue
Imago Dei des Menschen ermöglichende Grund. Es ist das
Urbild aller Analogie der Beziehung ... Die analogia relationis
ist in diesem Sinne ein umfassender Begriff, der die
im Leiden vollzogene Gemeinschaft von Gott und Mensch
und die solcher Gemeinschaft nachzugestaltende Gemeinschaft
zwischen den Menschen überhaupt ausdrückt. Bei der
analogia relationis geht es also nicht um ein ontologisch
verstandenes Seinsverhältnis, sondern um ein im Akt des
Leidens sich ergebendes Verhältnis von Unterscheidung
und Beziehung."

Das erfordert für die theologische Ethik eine induktive
Methode, die vom Geschehen des Leidens Jesu Christi aus
auf die konkreten Situationen des Menschen zugeht und
von ihnen zum Grundverständnis des Glaubens zurückführt
. „Die radikale Solidarität Gottes im Leiden Christi
mit der Welt muß durch die konkrete Aktion des Christen
in der Welt nachvollzogen werden." Die Berufung zur
christlichen Freiheit wird so verstanden als Berufung zum
Leiden, und im Leidensnachvollzug des Christen aktualisiert
sich seine Freiheit für den Nächsten.

Dem Buch kann, wie es auch im Vorwort geschieht, eine
gründliche Kenntnis der deutschsprachigen theologischen
Diskussion bescheinigt werden, auch wenn es auffällig
bleibt, daß das im Thema verwandte Buch von Agne Nordlander
„Die Gottebenbildlichkeit in der Theologie Helmut
Thielickes" (Uppsala 1973) nicht erwähnt und berücksichtigt
wird. Als Leser bedauert man allerdings, daß der Vf.
so stark bei der „Grundlegung" haften bleibt und nicht
etwas weiter zur Konkretisierung vorstößt. So vermißt man
gerade in den Teilen, die der theologischen Ethik gewidmet
sind, den Bezug auf konkrete Situationen, um das vom Vf.
Intendierte besser würdigen zu können. Aus diesem Grunde
bleibt die immer wieder betonte These, daß im menschlichen
Leiden das ethische Handeln kulminiert, weil darin
die Analogie zum Leiden Jesu Christi deutlich wird, wenig
faßbar. Ist damit wirklich alles über die Grundlegung der
Ethik gesagt, oder gibt es neben dem Leiden noch andere
Kriterien für christliches Handeln? Kein Theologe wird
bestreiten können, daß durch das Leiden Jesu Christi das
Leiden für den Nächsten einen neuen Stellenwert als Gestalt
der Nachfolge erhalten hat. Aber damit ist noch nicht
gesagt, daß das Leiden zum einzigen Kriterium des Handelns
von Christen wird. Der Vf. bleibt letzthin bei einem
individualethischen Ansatz, da er allein von der Beziehung
zwischen Gott und dem einzelnen Menschen ausgeht und
die sozialen Beziehungen kaum in den Blick kommen. Hier
zeigen sich die Grenzen des Versuchs, allein vom Gedanken
der Gottebenbildlichkeit und der damit verbundenen
Analogie-Problematik her die theologische Ethik zu begründen
.

Im Vorwort wird darauf hingewiesen, daß Okayama
gerade nicht in ein akademisches Lehramt eingetreten sei,
sondern in Japan als „ein Diakon der Armen" lebe. Der
Respekt vor diesem Lebensvollzug braucht aber wohl nicht
so weit zu gehen, daß man deswegen keine Kritik an den
in diesem Buch vorliegenden theoretischen Fragen üben
könne. Vielleicht erinnert das daran, daß eine überzeugende
Theorie und eine überzeugende Praxis nicht immer zusammenfallen
.

Leipzig Joachim Wiebering

Geach, Peter T.: The Virtues. The Stanton Lectures 1973-4.
Cambridge — London — New York — Melbourne: Cambridge
University Press [1977]. XXXV, 173 S. 8°. Lw.
£ 4,95.

Nach einer Periode relativer Interesselosigkeit oder gar
Verachtung und Ablehnung wenden sich Moralphilosophie
und -theologie gegenwärtig in verstärktem Maße wieder
den — im Bewußtsein vieler Menschen längst „rehabilitierten
" — Tugenden zu. Zwar sind im Vergleich zu den Bemühungen
um die Erstellung einer ethischen Theorie zur
Wert- und Normbegründung die — in der scholastischen
Tradition bekannten — Versuche, die gesamte Moraltheologie
als Tugendlehre zu konzipieren, in den Hintergrund
getreten, doch läßt sich — schon im Blick auf die zahlreichen
Neuerscheinungen — nicht übersehen, daß Tugenden wieder
„in" sind.

Peter Thomas Geach, von 1945 bis 1951 in Cambridge
Mitarbeiter von Wittgenstein und von Wright, dann bis
1966 in Birmingham und danach Professor für Logik in
Leeds, legt mit der vorliegenden Studie acht in Cambridge
1973/74 und Uppsala 1975 gehaltene Vorlesungen über die
Tugenden vor.

Anders als jene Autoren, die um die Findung und Begründung
„moderner" Tugenden bemüht sind, beschränkt