Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

675-676

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Zwischen Polemik und Irenik 1979

Rezensent:

Kühne, Hans-Jochen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

075

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

670

gung unterzogen. Diese Ausführungen sind wegen des umsichtigen
Urteils sehr lesenswert, zumal der Vf. auch grundsätzlich
darüber reflektiert, was ein historisches Unionskonzept
in der Gegenwart zu leisten vermag und was nicht.

Im Anhang der Monographie findet sich ein Verzeichnis
der Drucke der in nahezu alle westeuropäischen Sprachen
übersetzten Febroniusschrift und der durch sie ausgelösten
katholischen und evangelischen Kontroversliteratur sowie
ein Literaturverzeichnis. In dieses gehören allerdings keine
unveröffentlichten Vorträge (s. S. 213), auch wenn der Vf.
sich dem Referenten verpflichtet weiß (vgl. S. 8).

Das vorliegende Werk überzeugt im Aufbau und in der
Methode. Daß es dem Vf. zuerst und vor allem um eine
inhaltliche Erfassung und Analyse des Unionsmodells
Hontheims geht, ist zu begrüßen. Zu fragen ist jedoch, ob
er dessen biographischer und historischer „Verankerung"
(16) nicht doch hätte eine größere Aufmerksamkeit schenken
sollen. Der Rez. ist davon überzeugt, daß dadurch mancher
Aspekt noch deutlicher hätte herausgearbeitet werden
können. Auch wäre es für die Monographie wohl förderlich
gewesen, wenn der Vf. sich intensiver und extensiver mit
der .Febronius-Forschung' auseinandergesetzt hätte.

Nachdrücklich sei die Arbeit allen denjenigen empfohlen,
die sich am gegenwärtigen interkonfessionellen Dialog beteiligen
. Ihre Lektüre könnte — infolge des Ansatzes Hontheims
— dazu beitragen, daß im Ringen um die Einheit der
Kirche über dem Theologischen nicht die Frage ihrer Ver-
fassungs- und Rechtsstruktur über Gebühr in den Hintergrund
tritt. Insofern stellt der ,Febronius' zwar kein
Denkmodell, wohl aber ein ,Fragemodell' dar, das in die
gegenwärtige Diskussion einbezogen werden sollte.

Bamberg Horst Weigelt

Schwaiger, Georg [Hrsg.]: Zwischen Polemik und Irenik.

Untersuchungen zum Verhältnis der Konfessionen im
späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1977. 147 S. gr. 8° = Studien zur
Theologie und Geistesgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts
, 31. DM 32,-.

Dieser Sammelband legt für den Druck überarbeitete Referate
der Arbeitskreise Evangelische Theologie und Katholische
Theologie vor, die auf zwei gemeinsamen Tagungen
1975/76 zum Verhältnis der Konfessionen im ausgehenden
18. und beginnenden 19. Jh. gehalten worden sind. Neben
dem Uberblicksreferat von Eduard Hegel (Zum Verhältnis
der Konfessionen in Deutschland am Ende des 18. Jh.,
11—28) und dem umfangreichen Aufsatz von Friedrich Wilhelm
Kantzenbach, der im wesentlichen die innerevangelische
Situation vor und während der Restauration
behandelt und dabei Verbindungslinien zwischen politischer
und theologischer Entwicklung sowie den Weg zu
einem erneuten Konfessionalismus sichtbar macht („Polarisierung
". Von der Begegnung der Konfessionen zur Profilierung
des kirchlich-politischen Gegensatzes [1785—1830],
68—101), werden vor allem einzelne Persönlichkeiten, vorwiegend
aus dem süddeutschen und schweizerischen Raum,
vorgestellt, die sich um eine Uberwindung der Kirchentrennung
bzw. des starren Konfessionalismus mühten. Aufklärerisches
Denken und religiöse Erneuerung greifen hier
ineinander. So verfolgt Philipp Schäfer den Gedanken
an die Einheit der Kirche in der katholischen Theologie der
Aufklärungszeit (29—47). Seine Aussagen werden ergänzt
durch Hans G r a ß 1, der katholische Unionsprojekte des
18. Jh. vorstellt (43—57). Dem Verhältnis der Konfessionen
in der Schweiz im gleichen Zeitraum geht Andreas L i n d t
nach (58—67). Zwei Einzeluntersuchungen beschließen den
Sammelband. Josef Rief fragt nach dem Konfessionsverständnis
des Tübinger Dogmatikers Johann Sebastian Drey
(102—123), während Karl Gerhard Steck den evangelischen
Verleger Johann Esajas (von) Seidel und sein Programm
vorstellt (124-147).

Eine konfessionelle Gesamteinschätzung der angesprochenen
Zeit, wie sie m. E. in der Titelwahl intendiert ist,
kann aus den vorliegenden Detaildarstellungen nicht gewonnen
werden. Um so mehr lassen sie aber deutlich werden
, daß „unsere Geistesgeschichte längst durch praktiziertes
, erlittenes, erkämpftes ökumenisches Denken und
Handeln geprägt worden (ist), ohne daß das der christlichen
Öffentlichkeit voll zum Bewußtsein gekommen wäre" (57)-
Dieses Hinweises bedürfen wir, die wir unser eigenes Jahrhundert
so oft als „ökumenisches Zeitalter" qualifizieren,
immer wieder. An dieser Stelle setzt nun auch die Aufgabe
des Lesers ein. Man kommt bei der Lektüre nicht umhin,
über Parallelen bzw. Andersartigkeiten zwischen den ökumenischen
Vorgängen der genannten Zeit und dem, was wir
als Ökumene erleben, zu reflektieren. Eine Fülle noch heute
aktueller Fragestellungen und Probleme läßt sich zusammentragen
. Als Beispiele seien genannt: Diskussion um das
Papstamt und seine Funktion (20 ff.), Stellenwert der Ek-
klesiologie (29 f.), Beziehung zwischen der Einheit in Christus
und der Einheit der Gesellschaft (33 f.), gemeinsame
gesellschaftspolitische Verantwortung und Aufgabenstellung
als Uberwindung konfessioneller Grenzen (61 ff.), Ermutigung
zum gründlichen theologischen Kennenlernen der
anderen Konfessionen (133 ff.). Allerdings kann und muß
das alles heute in einer ganz anderen theologischen Tiefe
angegangen werden, als es damals geschehen ist. Auch das
veranschaulichen die Vorträge, deren Veröffentlichung nicht
zuletzt durch die Verbindung von Sachinformation und
Anregung zum Weiterdenken gerechtfertigt ist.
Kamenz Hans-Jochen Kühne

Steiner, Paul: Die religiöse Freiheit und die Gründung des
Schweizerischen Bundesstaates. Bern—Stuttgart: Haupt
[1976]. 1006 S. 8°. Kart. sfr. 48,-.

Die religiöse Freiheit wurde erst in jüngster Zeit als
„wahrhaft grund-legend unter den Freiheitsrechten" (Werner
Kägi, 1973) der Schweiz wiedererkannt. Kein Wunder
also, daß sich diese in jeder Hinsicht gewichtige und gewissenhafte
Dissertation eines Historikers erstmalig von der
Reformation bis 1848 mit den wichtigsten Perioden und
Einschnitten in der Entwicklung der Zusammenhänge zwischen
konfessioneller Parität und Verfassung im Werden
des schweizerischen Bundesstaats befaßt.

Diese Arbeit verdient auch insofern internationale Beachtung
, als dem weltweit beachteten Prinzip der außenpolitischen
Neutralität der Schweiz „innenpolitisch die
Nichteinmischung des Bundes in konfessionellen Fragen
und der eidgenössische Schutz religiöser Minderheiten"
entspricht (8). Wo in aller Welt heute dieser staatliche
Schutz in Frage steht, könnte also vom schweizerischen
Modell gelernt werden.

Die Arbeit, die sich weitgehend auf verfassungsgeschichtliche
und schweizerisch-lokalgeschichtliche Aspekte einläßt
und in fünf ausladenden Teilen deren wichtigste Stationen
darstellt und dokumentiert (1. Teil: Reformation
und Gegenreformation, 2. Teil: „Das mißlungene Experiment
der Helvetik", 3. Teil: die Regeneration und der Liberalismus
mit einer besonders gründlichen Ableuchtung der
einzelnen Kantone [175—616!], 4. Teil: die Bundesrevision
von 1832/33, Sonderbund und Sezession der katholischen
Schweiz, und 5. Teil: die Neubestimmung der religiösen
Freiheit im Bundesstaatsrecht von 1848), dürfte aber auch
den Kirchengeschichtler interessieren, da sie die europäische
Geistes- und Theologiegeschichte von Castellio bis Benjamin
Constant ausführlich einbezieht und so eine interdisziplinäre
Leistung von imponierender Geschlossenheit entstanden
ist.

Auch wenn der erste Teil (81 S.) im Vergleich zum ganzen
etwas zu kurz geraten ist, um die darin vollzogene Grundlegung
des schweizerisch-reformatorischen Staatskirchen-
tums noch überzeugender hervortreten zu lassen — zudem