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Ausgabe:

1979

Spalte:

661-662

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Tractatus Tripartitus 1979

Rezensent:

Fischer, Karl-Martin

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

662

gehörig muß es darum sein und also selber von der Art
Gottes." „Von diesem Wort soll das Menschenwort des
Evangeliums Zeugnis geben." (32 f.) So spricht aus dieser
Erklärung des Johannesevangeliums ein Stück Vermächtnis
der dialektischen Theologie, das auch heute Gehör verlangt
.

Hannover Eduard Lohse

Tractatus Tripartitus. I: De Supernis. — Codex Jung F.
XXVIr _ f. LIlv (p. 51-104). 390 S., 54 Taf.
II: De Creatione Hominis. III: De Generibus Tribus.
Codex Jung f. LIlv - F. LXXv (p. 104-140). Oratio Pauli
Apostoli. Codex Jung F. LXXII (?) (p. 1437-144?). Evangelium
Veritatis: Supplementum photographicum. 390 S.,
54 Taf. Ediderunt R. Kasser, M. Malinine, H.-Ch. Puech,
G. Quispel, J. Zandee, adiuvantibus W. Vycichl, R. McL.
Wilson. Bern: Francke Verlag 1973/75. 4°. Je sfr. 300,-.

Mit diesen zwei Bänden, die eine der längsten Schriften
aus dem Fund von Nag-Hammadi, den sogenannten „Tractatus
tripartitus" (NHC I, p. 51-140) und ein gnostisches
..Gebet des Paulus" (p. 1437-144?) enthalten, ist die Prachtausgabe
des Codex Jung (= Nag-Hammadi-Codex I) abgeschlossen
. Den vorangegangenen Bänden entsprechend folgt
fach dem Vorwort eine papyrologische und linguistische
Einleitung (I, 11-35; Vf. Kasser/Malinine); eine theologische
Einleitung in Form eines kurzen Kommentars (I, 37
bis 64; II, 9-30; Vf. Zandee/Puech); die photographisch gut
gelungenen Faksimile der Codex-Seiten; der hergestellte
koptische Text mit einer ihm gegenübergestellten französischen
Übersetzung (Malinine/Puech); eine deutsche Ubersetzung
(Kasser/Vycichl) und eine englische Übersetzung
(Wilson/Zandee). Die textkritischen und sprachlichen Kommentare
(I, 287-310; II, 179-192.261 1) stammen wesentlich
von Kasser. Für den Inhaltskommentar zum TractTrip
(I, 311-387; II, 193-242) haben Quispel und Zandee die
Hauptverantwortung übernommen; der zu dem angehängten
„Gebet des Paulus" (II, 263-285) ist von Puech verfaßt
worden.

Es ist den Vff. zwar gelungen, eine der Forschung neue
Impulse gebende Studienausgabe herzustellen (für den Privatmann
aber wohl preislich unerschwinglich), aber ein in
sich geschlossenes Werk ist daraus nicht geworden. Das
zeigen am deutlichsten die drei modernen Übersetzungen,
die nicht nur in einzelnen Entscheidungsfragen differieren,
sondern schon in der Aufgabenstellung. Die französische
Übersetzung ist am freiesten, schon leicht kommentierend;
die deutsche dagegen ist eine konkordante Übertragung, die
alle syntaktischen Härten des koptischen Textes unvermittelt
dem Leser zumutet; nur die englische Übersetzung hält
m. E. ein vernünftiges Mittelmaß. Nun verraten diese unterschiedlichen
Übersetzungen zugleich die Grundschwierigkeit
des koptischen Textes. Der koptische Text ist eine
Übersetzung aus dem Griechischen von einem Mann, der
für die Übersetzung eines so gedankenvollen Werkes weder
genügend Griechisch noch Koptisch konnte (die Schwankungen
in der koptischen Schreibung verführen die modernen
Ubersetzer zu Verwechslungen der grammatischen
Formen). Zwischen einer sklavischen, jeden sprachlichen
Unsinn des koptischen Textes wiedergebenden Übertragung
und einer sprachlich nicht beweisbaren, nur auf der
Intuition, wie es eigentlich heißen müßte, beruhenden Übersetzung
ein vertretbares Mittelmaß zu finden, ist bei diesem
Text außerordentlich schwierig. Dazu kommt noch ein weiteres
Erschwernis: Die Schrift beginnt mit der Konjunktion
(tche), die auch ständig den Text unterbricht. Die drei Übersetzer
haben sie auch als echte Konjunktion (meist causal)
übersetzt, aber das ergibt keinen Sinn, weil die Hauptsätze
fehlen. H.-M. Schenke wird in seiner in der OLZ erscheinenden
Rezension, die das Schwergewicht auf die sprachliche
Analyse legt, begründen, daß diese Konjunktion dem
griechischen „hoti-recitativum" entspricht. Das würde für

den ganzen Text bedeuten, daß wir es nicht mit einem in
sich geschlossenen Traktat zu tun haben, sondern mit ausführlichen
Zitaten aus einem noch umfänglicheren Werk,
die immer wieder mit „[Sie sagen], daß ..." eingeführt werden
. Meines Erachtens ist das der hermeneutische Schlüssel,
um das Werk sprachlich zu verstehen. Man kann dann auch
annehmen, daß der Epitomator auch selbst einmal kommentierende
Bemerkungen gemacht hat (z. B. p. 139, 20—23).

Die Hrsg. haben der namenlos überlieferten Schrift den
Titel „Tractatus tripartitus" gegeben. Der Anlaß dazu sind
zwei Zierleisten auf p. 104, 3 f. und 108,12 f., die ein Stück
einschließen, das von der Schöpfung des Menschen handelt.
Diese Partie ist eine gnostische Paraphrase der biblischen
Schöpfungsgeschichte bis zur Vertreibung aus dem Paradies
, allerdings ohne die aus anderen gnostischen Schriften
bekannten Umwertungen der Gestalten (z. B. ist die
Schlange eine böse Kraft, die den von verschiedenen Kräften
geschaffenen Menschen zum Bösen verführt). Inhaltlich
wären auch andere Zäsuren möglich. Stellt man weiterhin
in Rechnung, daß die vorliegende Schrift nur aus Auszügen
aus einer größeren Abhandlung besteht, wird man gegenüber
dem vorgeschlagenen Titel noch vorsichtiger sein. Er
suggeriert dem Leser eine Systematik, die durch den Text
selbst nicht bestätigt wird.

Der theologische Kommentar ist von der These bestimmt,
daß die Schrift eine Einheit darstellt; ein in sich geschlossenes
gnostisches System, das aus der westlichen valentia-
nischen Schule stammt. Ursprünglich hatten die Hrsg. die
Auffassung vertreten, die Schrift stamme direkt von He-
rakleon selbst. In dieser Form haben sie die These zwar
aufgegeben, doch spürt man ihren Einfluß noch in dem
ganzen Kommentar. Umfangreich werden als Parallelen
vor allem Iren. adv. haer. I, 1—8, die Excerpta ex Theodoto,
die Fragmente Herakleons und Origenes zitiert. Durch diese
Stellenbelege, die oft einen Kommentar ersetzen, wird der
Standort innerhalb der Gnosis bestimmt. Bisweilen hat
man aber den Eindruck, daß die Parallelen weniger zum
Verständnis des vorliegenden Textes verhelfen, als daß sie
zur Bestätigung der These dienen.

Der Grundthese der Hrsg. wird man kaum ernsthaft widersprechen
können. Die Verwandtschaft zu den uns bekannten
Gedanken der Valentianer ist (trotz einiger
bemerkenswerter Unterschiede, z. B. die Vereinigung aller
Aspekte der valentianischen Sophia und des Soter in der
Gestalt des Logos) so groß, daß man den Text ihrer Schule
zuschreiben muß. Unser Bild von der Gnosis wird durch
diese Schrift überraschend erweitert. Bisher war uns noch
kein Text bekannt, der auf der Grundlage eines gnostischen
Systems die Inkarnation in vollem Sinne (p. 114, 9 ff. u. ö.)
und Jesu Tod am Kreuz (p. 115, 3 ff.) so vollkommen integriert
hätte. Wer die Grenze zwischen Orthodoxie und
Gnosis bei der Stellung zu Inkarnation und Kreuzestod
zieht, wird vor ganz neue Fragen gestellt. Die lebendige
Geschichte läßt sich nicht in festgeschriebenen Positionen
erfassen. Man wird diese hochinteressante Schrift als den
äußersten Schritt zur Christianisierung der (valentianischen
) Gnosis werten müssen. Man kann nur fragen, ob sie
damit die ihrem Systemansalz innewohnenden Grenzen
nicht überschritten hat und so ihre Selbstauflösung dokumentiert
.

Es bleibt zu hoffen, daß bald für den weiteren Interessentenkreis
der Kirchen- und Religionsgeschichtler eine gut
lesbare, verständliche und preiswerte deutsche Übersetzung
zugänglich wird. Die vorliegende Ausgabe hat wichtige
Pionierarbeit geleistet. Bei der außerordentlichen
Schwierigkeit eines solchen Textes wird jede Erstausgabe
ein hohes Risiko darstellen und unvermeidlich Mängel
enthalten. Darum möchte ich die Rezension nicht mit einem
kritischen Wort schließen, sondern mit dem Dank an das
Herausgeberteam für die sorgfältige Arbeit und den Mut
zum Risiko, die Grenzen einer Erstausgabe so weit überschritten
zu haben.

Leipzig Karl Martin Fischer