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Ausgabe:

1979

Spalte:

660-661

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Erklärung des Johannes-Evangeliums 1979

Rezensent:

Lohse, Eduard

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659

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

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kenden Gott verlagert, der durch seine Liebe die Sünder,
das sündige Israel zur Umkehr bewegen will" [S. 264]).

Den Abschluß der Arbeit bildet eine „Zusammenfassung
", in der nicht nur in einem „Rückblick" die erzielten
Ergebnisse gerafft dargeboten, sondern auch in einem „Ausblick
" wichtige theologische Konsequenzen sowohl für die
„Theologie" Jesu als auch für das Glaubensverständnis der
Gegenwart gezogen werden. Die Folgerungen für die „Theologie
" Jesu konzentrieren sich auf die Frage nach einem
heilsmittlerischen Todesverständnis Jesu. Hier sieht sich
F. — von seinen Voraussetzungen her durchaus folgerichtig
— vor die zwingende Alternative gestellt: „Gewährt Gott
tatsächlich, wie es Jesus mit allen Konsequenzen verkündet
, bedingungslos die Vergebung oder nur aufgrund des
Todes Jesu?" (280 f.) und entscheidet sich — natürlich —
zugunsten der ersten Möglichkeit. Denn wenn Jesus auch
nur zuletzt die Anschauung geteilt hätte, Gott werde das
Heil durch seinen Tod verwirklichen, dann bliebe der Gott,
den er dann verkündete, hinter dem zurück, was dem Glauben
Israels längst gewiß war, nämlich die bedingungslose
Vergebungsbereitschaft Jahwes: „Hat aber Jesus nicht in
Wirklichkeit Gottes Liebe in einer letzten Tiefe erfaßt und
geoffenbart, eine Liebe, die den Menschen immer schon
voraus ist — eben auch in ihrer Sünde und Schuld —, die
also tatsächlich souverän, absolut, frei von jeder Bedingung
ist?" (281).

Ich muß gestehen, daß ich es gegenüber diesem Gottesbild
, das ich als durch und durch liberal empfinde, doch
eher mit H. Schürmann halte, der zu erwägen gibt, daß „ein
theo-logisch aufgeweitetes Bewußtsein, für das der .Wille
Gottes' ein entscheidender Faktor ist, der alles eigene Tun
und Lassen bestimmt, ... spannungsreich allerlei zusammenbringen
" kann6. Der Vf. betont nachdrücklich, daß die
Verkündigung Jesu aus ihrem Kontext heraus verstanden
sein will. Das ist natürlich völlig richtig, und deshalb ist
neben die bereits mehrfach angedeutete Frage, ob die vorgetragenen
Textanalysen angemessen sind, die andere zu
stellen, ob der Kontext der Verkündigung Jesu zutreffend
eingebracht worden ist. Bezüglich des Judentums ist oben
bereits diese Frage gestellt worden. So sympathisch es ist,
traditionelle Verzerrungen am Bild des Frühjudentums zu
korrigieren, so muß doch das wirkliche Bild des pharisäisch
bestimmten Judentums, wie es Jesus umgab und entgegentrat
, gefunden werden. F. wehrt ein bestimmtes Verständnis
Jesu ab mit dem Argument: „Das Vorrecht Gottes anzutasten
, hätte Jesus nichts eingebracht außer Unverständnis
, Spott oder eventuell den Vorwurf der Blasphemie,
aber gewiß keine Zustimmung oder auch nur Verständnis"
(276). Es gibt Gründe, genau diese Reaktion Jesus gegenüber
als die historisch tatsächlich erfolgte anzusehen. Jedenfalls
wird aus der Darstellung F.s das Ende des Weges
Jesu und damit sein ganzer Weg unverständlich.

Zum Kontext der Verkündigung Jesu gehören auch die
Gerichtsworte, die er sprach, und vor allem sein Tun, wie
es sich Mk 3,22; Mt 12, 28/Lk 11, 207; Lk 13,22 etwa reflektiert
. Gottes Gericht als Thema der Verkündigung Jesu
hält Vf. zwar einer eigenen Untersuchung für wert (265),
nimmt selbst dazu aber keine Stellung. Das Tun Jesu und
dessen Bedeutung als Kontext seiner Verkündigung wird,
abgesehen von den sog. Tischgemeinschaften, gar nicht in
den Blick gefaßt. Nun ist natürlich von einer thematisch
begrenzten Arbeit nicht zu erwarten, daß sie die eben genannten
Gegenstände in extenso mitbehandelt. Wohl aber
muß sie Raum dafür lassen, sie (und einige andere) auch
noch entfalten zu können. Diesen Raum aber scheint mir
das Vorgelegte nicht mehr in ausreichendem Maße zu belassen
. — Das Buch behandelt ein überaus gewichtiges Thema
und stellt dabei Weichen. Daher ist eine gründliche Auseinandersetzung
mit dem auf hohem Niveau stehenden Werk
nicht nur lohnend, sondern auch theologisch geboten.

Halle (Saale) Traugott Holtz

1 Vgl. Strack, Einleitung in Talmud und Midrasch, 26.

2 Vgl. den aufschlußreichen Kommentar von S. Krauß in der
GieDner Mischna z. St.

3 Wichtiger hätte für F. übrigens vielleicht Sanh VI, 2a sein können
: „jeder (Verurteilte), der bekennt, hat Teil an der zukünltigen
Welt".

4 Vgl. nur CD 19, 10 ff., bes. 13 f.

5 Bes. unklar ist mir geblieben, welche methodische Bedeutung
der „Vergleich mit Lk 7, 41 f." (S. 199-201) für diese Rekonstruktion
hat, da F. dieses Gleichnis doch als eigenes S. 241 ff. (vgl. auch S. 274)
behandelt - ohne viel Rücksicht auf Mt 18, 23 ff.

1 Jesu ureigener Tod, 1975, 44 f.; vgl. F. S. 279.
' In einem Exkurs S. 211-215 vom Vf. ausdrücklich als echt gesichert
.

Barth, Karl: Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel
1—8). Vorlesung Münster Wintersemester 1925/1926,
wiederholt in Bonn, Sommersemester 1933. Hrsg. von
W.Fürst. Zürich: Theologischer Verlag [1976]. XII, 422 S.
8° = Karl-Barth-Gesamtausgabe. II. Akademische Werke
1925/1926. Lw. sfr. 54,-.

Karl Barth begann seine Lehrtätigkeit in Münster mit
einer Auslegung des Johannesevangeliums im Wintersemester
1925/26. Als im Sommersemester 1933 Karl Ludwig
Schmidt plötzlich suspendiert wurde, sprang Barth für
ihn ein und wiederholte in Bonn die Johannesvorlesung.
Im kürzeren Sommersemester konnte er nicht das volle Manuskript
der älteren Vorlesung vortragen, die er nur geringfügig
überarbeitet hatte. Auch die Vorlesung, die er in
Münster gehalten hat, legt nicht das ganze Evangelium aus.
sondern gelangt nur bis zum Ende des achten Kapitels.
Walter Fürst hat den Text der Vorlesung auf das sorgfältigste
ediert, Zusätze und Änderungen des 1933 gehaltenen
Kollegs genau vermerkt und den Band mit einer erklärenden
Einleitung versehen. Register sind am Schluß angefügt.
So kann der Leser sich ein genaues Bild von der Lehrtätigkeit
Barths machen, die sich zu einem nicht geringen Teil
auf die Auslegung biblischer Texte erstreckt hat.

Ein unmittelbarer Beitrag zur Johannesforschung kann
von dieser Vorlesung nicht erwartet werden. Dazu liegt sie
bereits zu weit zurück und ist sie überdies ziemlich rasch
erarbeitet worden. Viele Spezialprobleme bleiben beiseite
oder werden mit einer Handbewegung an den Rand geschoben
. Religionsgeschichtliche Fragen — damals spielten
die Mandäertexte eine große Rolle — werden nur gelegentlich
kurz erwähnt, niemals aber eingehend erörtert. Denn
mit Christus ist das Ende der Religionsgeschichte da (246).
Auf historische Probleme, Fragen der Abfassung sowie Li-
terarkritik läßt Barth sich nicht ein. Er meint sich dabei auf
den Evangelisten selbst berufen zu dürfen, den nun einmal
„Geschichte um der Geschichte willen" so wenig wie die
drei ersten Evangelisten interessiert (173). Soweit historische
Fragen ungewiß bleiben oder nicht zu beantworten
sind, bleibt Barth gelassen, weil er nach seinem eigenen
Geständnis an solcher Verlegenheit eben nicht allzu schwer
trägt (262).

Reizvoll ist es, die theologische Interpretation, ctie Barth
dem Johannesevangelium gibt, aufmerksam zu betrachten
— und vielleicht einmal mit dem Kommentar von E. Hos-
kyns zu vergleichen, der seinerzeit unter dem Eindruck von
Barths Römerbrief entstanden war. „Das wirkliche Johannesevangelium
— so sagt Barth seinen Hörern —, das wir
zu studieren haben, kann nur das uns angehende Johannesevangelium
sein." (5) „Als Medium erfordert das Historische
, das Menschenwort des Offenbarungszeugnisses unsere
gesammelte, ernste Aufmerksamkeit. Aber eben: als
Medium, nicht um seiner selbst willen und nicht als aus
sich selber zu verstehen, sondern als Zeugnis, das selber
des Zeugnisses bedarf, des Zeugnisses wartet — des Zeugnisses
, das ihm sein Gegenstand geben muß." (9) Theologie
des Wortes, die auch im Jahr 1933 unbeirrt kraftvoll vorgetragen
wurde, bestimmt die Auslegung des Evangeliums.
Denn in Christus „als dem Worte ist das Leben, das das
Licht der Menschen ist" (31). „Weil es das Wort Gottes ist,
darum heißt es nicht ein Wort, sondern das Wort, das Wort
aller Worte." (32) „Dort, wo Gott ist, ist das Wort, zu Gott