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Ausgabe:

1979

Spalte:

656-660

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fiedler, Peter

Titel/Untertitel:

Jesus und die Sünder 1979

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 9

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jüdischen Landverhältnisses bekannt und lieb zu machen"
(151), auf den Versuch einer biblisch-theologischen und
historischen Legitimation der gegenwärtig die Politik des
Staates Israel beherrschenden Vorstellungen hinausläuft
und wohl auch hinauslaufen soll. Die Problematik einer
solchen Orientierung zeigt sich in der Argumentation. Es
geht eben nicht ohne ein methodisch bedenkliches Zurechtstutzen
historischer Argumente und ohne ein ebenso bedenkliches
Uberspielen unbequemer Sachverhalte. So wird
die generalisierende Formulierung der Gründungsurkunde
des Staates Israel, wonach einst „das Volk gewaltsam aus
seinem Lande vertrieben" wurde, als „Tatsache" (81) oder
als „Feststellung ..., die nicht aus der Welt zu schaffen" ist
(136), hingestellt. Unerwähnt bleibt die freiwillige Auswanderung
von Händlern, Handwerkern, Bauern und Soldaten
aus Israel und Juda, deren Anfänge nach jüdischer
Tradition bereits in die Zeit Davids und Salomos zurückreichen
und die in frühhellenistischer Zeit ihren Höhepunkt
hatte. Nicht in das Blickfeld des Lesers gelangt auch der
Komplex des Missionsjudentums, das seit dem Ausgange
des vorigen Jahrhunderts den größten Teil der Palästina-
Einwanderer stellt und von dessen leiblichen Vorfahren
man nicht behaupten kann, daß sie einst aus dem verheißenen
Lande gewaltsam vertrieben worden seien.3

Überdies konkurriert die Vorstellung von einer allgemeinen Vertreibung
aus Palästina mit dem Bemühen des Vf.s um den Nachweis
, daß Israels Geschichte als Volk in Palästina nicht mit dem
Jahre 70 oder 135 n. Chr. endete. „Die Juden blieben in ihrem Land."
(103) Diese Aulfassung wird durch einen Einblick in die Geschichte
und in die Bedeutung des palästinischen Judentums zwischen 500
v. Chr. und liOO n. Chr. zutreffend veranschaulicht (112-128).* Ungerechtfertigt
rasch wird aber dann die Brücke zur Gegenwart geschlagen
. Der Leser erfährt, daß die arabisch-islamische Eroberung
im Jahre 638 nach Jahrhunderten der byzantinischen Unterdrückung
und der Zwangsbekehrung zum Christentum „den Juden religiös
größere Freiheit" brachte (128). „Von nun an" soll das Verhältnis
des Judentums zum verheißenen Land durch eine „Wallfahrts- und
Einwanderungsbewegung in das Land" bestimmt gewesen sein
(129). Das wird durch einige interessante z.T. weniger bekannte
Zeugnisse, die mit der Wallfahrt Jehuda Halevis um 1140 einsetzen,
verdeutlicht. Auf diese Weise entsteht der Eindruck der Kontinuität
eines durch Zuwanderung noch verstärkten Judentums in Palästina
bis in die Neuzeit. Die palästinisch-jüdische Geschichte zwischen
638 und 1140 sollte aber nicht einfach übergangen werden. In diesen
Zeitraum fällt der für das Judentum physisch vernichtende Eingriff
der europäischen Kreuzfahrer in die Geschichte des Heiligen Landes
. Die Juden blieben eben nicht in ihrem Lande! Benjamin von
Tudela fand im Jahre 1170/71 in ganz Palästina nur noch 1440 Juden
vor, und Nahum Gerundi mußte noch im Jahre 1267 feststellen, daß
lediglich zwei jüdische Familien in Jerusalem lebten. Erst gegen
Ende des 15. Jh. setzt die von M. erwähnte „Einwanderungsbewegung
" ein, als jüdische Flüchtlinge aus dem christlichen Spanien
in dem damals unter mamelukischer Herrschaft stehenden Palästina
Zuflucht fanden.

Überhaupt führt das engagierte Eintreten für sein Anliegen
den Vf. öfters zu Übertreibungen.5 Schwerer als
manche im Eifer der Argumentation leicht unterlaufende
Versehen wiegen dabei verzeichnende Wiedergaben biblisch
-exegetischer Befunde. In dem Bestreben, den Leser
nicht nur in die Bedeutung der Landverheißung für den
jüdischen Glauben einzuführen, sondern ihm das jüdische
Verhältnis zum Land „lieb zu machen", werden alttesta-
mentliche Aussagen, die diese beabsichtigte Wirkung erschweren
könnten, umgangen. Man kann nicht die „Landtheologie
" des Deuteronomiums ziemlich ausführlich schildern
, ohne das mit im Zentrum dieser Theologie stehende
Gebot der Ausrottung aller Vorbewohner in Kanaan auch
nur zu erwähnen (53 ff.). Weiterhin dürfen neben den so
eindrücklich gewürdigten alttestamentlichen Vorstellungen
vom ,verheißenen Land' doch wohl die Aussagen vom .verbotenen
Land' dem Leser nicht vorenthalten werden, zumal
wenn es sich wie Dtn 2, 5 um Gebiete handelt, die immerhin
heute einen nicht unbeträchtlichen Teil des Territoriums
des Staates Israel bilden. Gewiß gehört das für M.
so wichtige endzeitliche Bild aus Jes 2 / Micha 4 von der
Völkerwallfahrt nach dem heiligen Berg Jahwes und von
dem ewigen Völkerfrieden, der von dort seinen Ausgang
nehmen wird, zu den bewegendsten Erwartungen im Alten
Testament. Kann man aber diesem Bild lediglich das Motiv
des Zuges nach Jerusalem entnehmen und es ohne weiteres
mit dem des Darbringens reicher Gaben für Israel aus Jes

60 verbinden? Kann man sich aus der Fülle der unterschiedlichen
und wahrlich nicht immer so leicht aufzunehmenden
biblischen Vorstellungen vom endzeitlichen Israel
und Jerusalem nach Belieben die einem gerade geeignet
erscheinenden Momente herausgreifen und zum Prinzip
gottgebotenen Handelns erheben? Was ist das Kriterium?
Der .Erfolg' Israels — der .Erfolg' Gottes? Für Jesus von
Nazareth bleibt im Lande des dergestalt erfolgreichen Gottes
nur wenig Raum — sein Grab auf Golgatha.
Berlin Karl-Heinz Bernhardt

1 Auffällig ist ein kleiner, aber nicht bedeutungsloser Fehler in
der Wiedergabe des Jesaja-Michatextes: Die endzeitliche Völkerwallfahrt
soll nicht zum „Haus Jakobs" führen, sondern zum
„Hause des Gottes Jakobs" 1

2 Für eine solche Theologie Ismaels gibt es keine biblische Begründung
. Nach der alttestamentlichen Uberlieferung .weicht' Is-
mael nicht, sondern seine Mutter flieht vor Mißhandlung (Gen 16,
1 ff.) oder wird mit ihrem Knaben gewaltsam vertrieben (Gen 21»
9 ff.), in beiden Fällen aber von Gott gerettet.

3 Uberhaupt wird die Problematik einer durch das Bekenntnis zu
einer Weltreligion erwerbbaren und durch den Ubertritt zu einer
anderen Religionsgemeinschaft verlierbaren Volkszugehörigkeit
nicht gesehen.

4 Das geschieht freilich unter der sensationellen Ankündigung,
„daß großartige Forschungen im neuen Staat Israel mehr und mehr
Licht in dies uns unbekannt gebliebene Gebiet der Weltgeschichte
bringen". Es sei „unmöglich, über die zweieinhalbtausend Jahre
Israel-Verhältnis zum Land, die nach dem babylonischen Exil liegen
, einfach weiter zu schweigen wie bisher" (112). In einer vornehmlich
für den Bibelleser gedachten Darstellung kann man die
historische terra incognita doch wohl nicht schon mit dem babylonischen
Exil beginnen lassen! Der Vf. bietet jedenfalls in seinem
Geschichtsabriß gegenüber der jedermann leicht in Ubersetzung
zugänglichen biblischen Uberlieferung und den älteren gemeinverständlichen
Darstellungen dieses Zeitraumes keine neuen Fakten
und Einsichten.

5 So erfährt der Leser als feststehende Tatsache: „Julian fällt von
der Hand eines christlichen Arabers." (127) Im Zusammenhang der
Darstellung bekommt dies den Stellenwert eines christlich-arabischen
Komplotts, dem Kaiser Julian als Förderer des Judentums
zum Opfer fällt. Tatsächlich ist die Version der Ermordung Julians
durch einen arabischen Christen keinesfalls diejenige unter den
zahlreichen zeitgenössischen Hypothesen über die näheren Umstände
seines Todes, die für sich die größte Wahrscheinlichkeit beanspruchen
kann. Sonderbar ist weiterhin die Behauptung, „daß
die Verkündigung von der Erfüllung der Zeit in Christus sogleich (!)
auf dem Kalender dingfest gemacht und zu einer historischen
Epochenlehre ,vor' und ,nach' Christi Geburt ausgebaut wurde".
Demgegenüber wird die Jüdische Jahreszählung „von der Weltschöpfung
an" als Ausdruck grundsätzlich anderer Geschichtsauffassung
herausgestellt: „Sie rechnen auch rein kalendermäßig nicht
mit Christi Geburt" (105). Der leicht zu ermittelnde tatsächliche
Sachverhalt gestattet eine solche Argumentation nicht.

Lambert, W. G.: The Background of Jewish Apocalyptic.

London: The Athlone Press. University of London 1978.
20 S. 8°. 95 p.

W. G. Lambert beschäftigt sich in seiner Ethel M. Wood-
Vorlesung vom 22. Februar 1977 mit babylonischen Einflüssen
auf die jüdisch-christliche Apokalyptik. Ausführlich
wird auf drei stilistische Parallelen aus neubabylonischer
Zeit zu Dan 11, 3—4a eingegangen. Diese Parallelen verdienen
besondere Aufmerksamkeit, weil zwei von ihnen
(aus Uruk bzw. aus dem Bestand des Britischen Museums)
erst in den letzten Jahren veröffentlicht worden sind.

K.-H. B.

Neues Testament

Fiedler, Peter: Jesus und die Sünder. Frankfurt (Main):
P. Lang; Bern: H. Lang 1976. II, 413 S. 8° = Beiträge zur
biblischen Exegese und Theologie, 3. sfr. 59,—.

Der Vf. hat zu einem wichtigen Thema ein gewichtiges
Buch vorgelegt. Es ist die überarbeitete und offenbar besonders
im ersten Teil gekürzte Fassung einer Habilitationsschrift
, die bei A. Vögtle gearbeitet und 1975 in Freiburg
vorgelegt worden ist.

Der Behandlung des eigentlichen Themas „Jesus und die
Sünder" ist ein erster Teil vorgeschaltet, der über „Gott
und die Sünder nach alttestamentlich-frühjüdischen An-