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Ausgabe:

1979

Spalte:

609-613

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Predigten 1914 1979

Rezensent:

Feurich, Walter

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609

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

610

Bestrebungen von H. Braun und D. Solle, Jesus unter Absehung
vom traditionellen Theismus zu interpretieren und
Gott in der gesellschaftlichen Praxis zu suchen, stärker mit
kritischen Anfragen versehen. Entsprechendes gilt auch für das
zum Abschluß dieses Teils gebotene Referat der ebenfalls auf
eine Eliminierung des Gegensatzes von Theismus und Atheismus
abzielenden christozentrischen Entwürfe J. Moltmanns,
der - in ähnlicher Weise wie W. Dantine - der Unterscheidung
von Offenbarung und Religion durch die frühe dialektische
Theologie verpflichtet ist. Hier vermißt man freilich in
besonderem Maße die Berücksichtigung des politischen Kontextes
, wodurch die hier stattfindende Umakzentuierung von
einer stärker an der Auferstehung Jesu orientierten „Theologie
der Hoffnung" zu einer das Kreuz in den Vordergrund rückenden
Theologie des Leidens nicht voll verständlich wird. Damit
ist bereits angedeutet, welche Aufgabe sich einem mitdenkenden
Leser der Arbeit von Figl unabweisbar stellt. Er muß die
hier wiedergegebenen theologischen Ansätze und Überlegungen
auch auf ihre politischen Intentionen und Implikationen
hin zu analysieren wissen. Das Buch erfordert einen gerade
auch in dieser Hinsicht geschulten Leser, soll nicht die Lektüre
dieser innerhalb ihrer Grenzen schätzenswerten Arbeit zu
einem fragwürdigen Gewinn werden.

Schöneiche b. Berlin Hans-Jürgen Gabriel

Praktische Theologie: Homiletik

Barth, Karl: Predigten 1913, hrsg. v. U. u. J. Fähler. XIII,
719 S.

-: Predigten 1914, hrsg. v. N. Barth u. G. Sautcr. XI, 668 S.
Zürich: Theologischer Verlag [1976/74] 8° = Karl Barth -
Gesamtausgabe, Abt. L Lw. je sfr. 64,-.

Es ist ein großes Verdienst der Karl-Barth-Stiftung, daß sie
bald nach dem Tode Barths begonnen hat, grundsätzliche Maßstäbe
für die Edition der nachgelassenen Arbeiten Barths festzulegen
und daß sie geeignete Transskriptorcn und Herausgeber
für den zur Zeit nur handschriftlich vorliegenden theologischen
Nachlaß Barths gefunden hat. Der erste Nachlaßband
erschien 1971, ihm folgten bis 1978 noch 10 Bände. Weitere
sind bereits in Arbeit. Bei allen Nachlaßbändcn, besonders
auch bei den beiden zu besprechenden Predigtbänden ist die
Mitwirkung des Leiters des Karl-Barth-Archivs Basel, Dr. Hin-
rich Stoevesandt, zu unterstreichen. Daß es der Witwe Karl
Barths, Frau Nelly Barth, trotz ihrer Krankheit vor ihrem inzwischen
erfolgten Ableben gelang, die Transskription der Predigten
des Jahres 1913 durchzuführen, ist Anlaß zu besonderem
Dank. Beide Bände umfassen 105 Predigten und eine
Grabrede.

Karl Barth schrieb seine Predigten in großer Gründlichkeit
wortwörtlich auf, hielt sie aber dann in freier Rede. Mit ihnen
hat er seiner Dorfgemeinde Safcnwil viel zugemutet. Die Predigten
umfassen in der Regel neun bis zehn gedruckte Seiten.
Barth hielt sie aus dem weiten Horizont seines jeweiligen Gegenwartswissens
. So sind sie für den Leser auch heute noch
lebendige Zeugen einer vergangenen Zeit. Obwohl Barth selber
seine Predigten in Safenwil sehr kritisch beurteilte, meine
ich, daß sie noch heute homiletische und theologisch-exegetische
Anregungen zu geben vermögen. Dabei sollten sich junge
Prediger u. a. deutlich machen, daß der Prediger auch vor
einer nur kleinen Gemeinde seine Predigtvorbereitungen nicht
verkürzen darf. Gerade die Wenigen sollen intensiv vorbereitete
Predigten hören. Eberhard Busch druckt in seinem Buch
-Karl Barths Lebenslauf" Stellungnahmen Barths über dessen
Safcnwücr Predigtdienst ab: „War ich bei diesen pfarramtlichen
Aktivitäten zwar ein entschieden von Schleiermacher
Angeregter, so habe ich mich doch selbstverständlich - wie
Schleiermacher es selbst ja auch gehalten hat - nicht etwa
in der Sprache oder auch nur im originalen Sinn seiner .Reden
' geäußert." Auch eine Generation, die durch Karl Barth,
dessen ganze „Kirchliche Dogmatik" ja eine Anleitung zum

rechten Predigen ist, gelernt hat, anders zu predigen, sollte
keinesfalls auf die Lektüre der Schlciermacherschcn Predigten
und die des frühen Barth verzichten. So sollten die Predigten
1913/1914 nicht nur von Barthschülern, sondern gerade auch
von der jüngeren Predigergeneration aufmerksam gelesen werden
.

Diese frühen Predigten sind ganz anders angelegt, als es
Barth selber später in seiner gedruckt vorliegenden Homiletikvorlesung
1932/33 in Bonn gefordert hat. Damals sagte er:
„Der theologische Schaden der Predigteinleitungen ist jedenfalls
ungeheuer groß, und man steht regelrecht auf dem Boden
der Irrlehre, wenn man sie übt. Denn was geht da eigentlich
im tiefsten Grund vor sich? Nichts anderes, als daß nach einem
Anknüpfungspunkt, nach einem Analogon im Menschen gesucht
wird, wo das Wort Gottes hineinkommen könne." Zugleich
warnte Barth auch vor kurzen Predigttexten. Seine frühen
Predigten haben im Gegensatz zu seiner späteren Erkenntnis
oft recht lange Einleitungen und meist nur kurze
Texte. Dennoch sind die Einleitungen bei den zu besprechenden
Predigten etwas anders zu verstehen. Das Ziel der Predigt
, ob nun kurz oder etwas länger dargestellt, ist der vorgegebene
Schrifttext. Der Hörer wird aus der ihn umgebenden
Zeitgeschichte abgeholt, oft bewußt mit der Zeitgeschichte konfrontiert
. Dies soll dem klaren Verständnis des Schriftwortes
dienen, ohne jedoch im Sinne einer natürlichen Theologie oder
auch Geschichtstheologie Schriftwort und Zeitgeschehen zu
vermischen. Heute können solche langen Predigten vom Hörer
nicht mehr aufgenommen werden. So stellt sich die homiletische
Lage ganz anders dar. Es gibt aber in den beiden Bänden
auch solche Predigten, in denen die Gcmeindcglicdcr
schon von Anfang an unmittelbar mit der Textbotschaft konfrontiert
werden.

1935 äußerte sich Barth in seiner Predigt am 1. Advent in
Safenwil kritisch zu seiner einstigen Predigttätigkeit vor dieser
Gemeinde: „Das Evangelium ist es, was ich euch in der
Zeit, da ich euer Pfarrer war, nach meiner jetzigen Einsicht
zu wenig deutlich gesagt habe. Ich habe seither oft nicht ohne
Schrecken an die gedacht, die dadurch vielleicht irre geleitet
oder geärgert worden sind, und an die Verstorbenen, die hinübergingen
und die gerade das jedenfalls von mir nicht gehört
haben, wie es nach menschlichem Ermessen nötig gewesen
wäre."

Drei Probleme nahm Barth u. a. in den vorliegenden Predigten
auf: Die christlich-soziale Frage, das Kriegsgeschehen
nach Ausbruch des ersten Weltkrieges und die ihn nach meinem
Ermessen in der KD IV, 3 intensiv beschäftigende „Lich-
terlchre". Diese besagt, sehr kurz gefaßt, daß die Kirche, die
ihre Botschaft vom „Licht des Lebens" an alle Welt ausrichten
will, bereit sein muß, auch umgekehrt Signale zu empfangen
von bestimmten „Lichtern" in der sie umgebenden menschlichen
Gesellschaft oder in der außermenschlichen Natur. Durch
diese Signale wird sie an ihre eigene Botschaft erinnert.

1. In der christlich-sozialen Predigt geht Barth, ähnlich wie
Emil Fuchs, von Worten des Propheten Arnos aus. Einige wenige
Abschnitte aus der Predigt vom 4. Mai 1913 über Arnos
5, 21-24 sollen dies belegen: „Da können wir nun den Propheten
Arnos so recht aus der Nähe kennen lernen, mit dem wir
uns bereits an zwei Sonntagen beschäftigt haben. In den vorgelesenen
Worten haben wir ihn vor uns, wie er leibt und
lebt, den Mann, der es durch Nachdenken und Beobachten zu
einer klaren, bestimmten Erkenntnis Gottes und des Lebens
gebracht hat, den einfachen, gescheiten Menschen, der in der
Natur aufgewachsen ist und sich durch die Torheiten und Heucheleien
der Menschen kein X für ein U machen läßt, den
rücksichtslos Offenen, der grob und deutlich heraussagt, was
er denkt, den Freund Gottes, dem es nichts macht, aller Welt
Feind zu sein. Er sieht, was sein Volk für Anstrengungen
macht und für Veranstaltungen trifft, um Gott zu dienen. Er
vergleicht damit, was Gott in Wirklichkeit von ihm fordert.
Und nun sagt cr's in dürren Worten: Euer ganzer Gottesdienst
ist nichts wert! Laßt all das unnütze Zeug nur bleiben
und tut den einfachen Willen Gottes, den ihr ganz gut kennt
. . . Von einem Pfarrer erwartet man, daß er ein feierlicher