Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

606-607

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brandenburg, Albert

Titel/Untertitel:

Die Zukunft des Martin Luther 1979

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

60.}

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

60fi

in die Mitte des hcilsgeschichtlichen Bogens von der Weltschöpfung
zur Totcnauferweckung. Das in diesem Namen eindeutige
apostolische Urzeugnis ist zugleich konzentriert in der
frühchristlichen Glaubensregel, tradiert im consensus patrum
vor allem der vier Hauptkonzile der alten Kirche und erneut
dargelegt im reformatorischen Glaubenszeugnis; hierbei geht
es keineswegs um inhaltlich neue Dogmen, sondern um eine
kritische Rückbesinnung auf das eindeutige Kernevangelium
in seiner unüberbietbaren Klarheit.

Die „dogmatische Paraphrase" zu „Gesetz und Evangelium"
(74-96) sowie die Skizze einer „dogmatischen Lehre zu Gottes
Basileia" (97-125) verankern diesen weiten Spannungsbogen
von der Schöpfung zur Neuschöpfung in Gottes innergöttlicher
Dynamik und zeichnen die geschichtliche Realisierung
von Gottes „Herrschaftsverwirklichung" (97) nach. Mit der
Erschaffung des Menschen erschließt sich ein partnerschaftlicher
Dialog zwischen Gott und Mensch, hierin vollzieht sich
jenes responsorische Urbundesverhältnis leibhaftig und ge-
schichtswirksam. Jesu Kreuz und Auferweckung markiert die
„eschatologisch-apokalyptische Äonenwende", deren andringende
Macht wir in der „existentiellen Stctscrwartung" des Vaterunsers
als des rechten Basileiagebetes bekennen (124f). „Weil
Jesu Kreuz zwischen den Prota und Eschata aufgerichtet ist
auf Golgatha, kennzeichnet die Formel .Gesetz und Evangelium
' den Weg, auf dem Gott aus seiner Ewigkeit seine Menschheit
durch die Zeit hindurch zur Vollendung seines Liebesbundes
in seiner Ewigkeit hinführt" (96).

Die Thesen zu „Sacerdotium und Ministerium" (126-142)
bieten lediglich einen kleinen Ausschnitt aus Brunners Ringen
um eine schriftgemäße Erneuerung des Verkündigungsauftrages
wie des Hirtendienstes; seine kritischen wie konstruktiven
Voten zu Kirchenordnungen und Ordinationsformularen sollten
einmal in einem ähnlichen Sammelband zugänglich gemacht
werden. Die Überlegungen zur „Theologie des Gottesdienstes
" (163-188) und zu Sinn wie Funktion des Altars im
Coltesdienst (189-215) knüpfen an die grundlegende Darstellung
zum Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde
in Leiturgia, Bd. I (1954), an; sie unterstreichen einerseits
den Gottesdienst des Alltags als den uns auferlegten
..Kampf um die Geltung und Durchsetzung des vernünftig Guten
", worin die Christenheit mit allen Menschen guten Willens
solidarisch ist (185), und arbeiten andererseits die leibhaftige
Gemeinschaft um den Abcndmahlstisch heraus, in der wir in
das realpräsente Golgathaopfer einbezogen werden, das Christus
selber vor dem Vater repräsentiert (209ff).

Die Gedanken zum Thema „Realpräsenz und Transsubstan-
tiation" (143-162) suchen Karl Rahners geistvolle Neufassung
der Lehraussagen von Trient sowie Piet Schoonenbcrgs und
Edward Schillcbcckx' These von der Transsignifikation als
einer neuen Sinnstiftung Jesu mit Luthers Insistieren auf dem
„Fleischesbrot" und „Blutswein" ins Gespräch zu bringen; diese
durchaus unterschiedlichen Sichtweisen konvergieren in einer
„sakramentalen Epiphanie" des sich leibhaftig darbietenden
Herrn, welche an den Metabolismus griechischer Väter erinnert
(158f). Einen analogen Gesprächsbeitrag bildet die ökumenische
Skizze einer Theologie der Ehe (216-244). In einer
eindringlichen Auslegung von Epheser 5 sucht Brunner zwischen
dem tridentinischen Ja und dem reformatorischen Nein
zur Sakramentalität der Ehe zu vermitteln; hierzu weist er
nach, daß die signifikativ-typologische Christusausrichtung des
Textes durch Luther durchaus erkannt und festgehalten wurde.
Insofern besteht „nach reformatorischem Verständnis . . . von
Gottes Stiftung her eine zeichenhaft typologische Beziehung
zwischen der ehelichen Verbindung von Mann und Frau und
dem Mysterium der bräutlichen Verbundenheit Christi mit seiner
Kirche, ein Tatbestand, der für die Führung der Ehe unter
Christen von großer Bedeutung ist. Aber ein Sakrament im
spezifisch dogmatischen Sinne des Wortes wie Taufe und Abendmahl
und Absolution ist die Ehe nicht" (223).

Der Abschnitt aus einer Eschatologic-Vorlesung über „Jesus
Christus und der Tod" (245-268) sowie der für die amerikanische
Zeitschrift „dialog" verfaßte Aufsatz zu theologischen
Grundlinien der Eschata (269-291) explizieren die Zukunft

Gottes, der wir alle durch Leben und Sterben hindurch entgegeneilen
. Freilich wird auch hier der Bogen zurückgeschlagen
zu den Prota, sind doch „theologische Aussagen über pro-
tologisches Geschehen . . . notwendige Voraussetzungen für
die Eschatologie" (271). Brunners für übliche evangelische
Theologie wohl besonders befremdlichen Ausführungen lassen
sich etwa in folgenden Thesen zusammenfassen i 1) Der Mensch
ist durch Gottes Setzung unverbrüchlich Mensch coram Dco;
aus dieser Grundsituation kann niemand entfliehen, nicht einmal
ins Nichts (254f. 281). 2) Weil Gott in Jesu Kreuz und
Auferweckung am Tod selber gehandelt hat, deshalb hat der
Tod innerhalb der Bundesgeschichte Gottes mit uns Menschen
selber eine Geschichte (248ff); die Spur des Durchbruchs Jesu
ist gleichsam in ihn eingeprägt (282). 3) Indem wir durch den
Tod aus diesem Leibesleben herausgerissen werden, treten wir
unter Gottes definitiven Richterspruch, der über uns für alle
Ewigkeit bleibt (263). 4) Wenn alle Toten auch noch der leiblichen
Auferweckung entgegenharren, so bleiben die Glaubenden
doch kraft ihrer Taufe eingepflanzt in den Christusleib
und dessen pneumatischem Leben teilhaftig. Sie werden deshalb
im sogenannten Zwischenzustand nicht „nackte Ich-Punkte
" sein, sondern von Christi Leiblichkeit eingehüllt (266).
5) Die Befreiung von irdischer Mühsal „sollte nicht mit Schlaf,
sondern mit einem Leben in neuen Diensten und Arbeiten verglichen
werden" (287). 6) Es gibt für keinen Menschen ein
Mittleres zwischen dem letzten Entweder-Oder, entweder „mit
Christus im Christusleben sein", oder „unter Gottes Gericht
in der Verlorenhcit sein" (268). 7) Der Tag des Herrn wird
durch eine «allumfassende definitive Offenbarung" jegliche
Verborgenheit aufheben. Die Glorie und Herrschaft Christi
wird alle kreatürlichen Bereiche durchstrahlen; die wider-
göttlichcn Mächte werden endgültig überwunden und vernichtet
; im Gericht über die Werke wird das irdische Leben bis
in seine letzten Abgründe hinein offengclegt vor dem Forum
der Welt (289f). „Das Urteil des Herrn über die offenbar gewordenen
Werke schließt ,Lohn' ein" (291). Zugleich wird
alle Kreatur einbezogen in die Freiheit der Kinder Gottes.
8) Christi Kommen vollstreckt den Sieg der Gottesherrschaft;
damit darf der Sohn sein Messiasamt in die Hände des Vaters
zurücklegen. Damit sind „auch alle himmlischen und apokalyptischen
Geschehensabläufe an ihr Ende gekommen . . . Die
ewige Sabbatruhe Gottes ist gekommen, in der das All ewig
im Leben des dreieinigen Gottes lebt" (291).

Dies dürften für unsere übliche Theologie gewagte und befremdliche
Gedanken sein; ihre denkerische Konzentration wie
geisthafte Intensität vermochten wir lediglich anzudeuten.
Jede einzelne Ausführung möchte eine „Wegspur" erschließen
zur Erkenntnis der „einigenden Wahrheit". Die Auslegungen
der Schrift sowie die Rückgriffe auf reformatorische Grundeinsichten
dienen dabei der Wegleitung in die Zukunft; insofern
sollte dasjenige, das in diesem überaus reichen Bande
zur Sprache kommt, „auch in jüngeren nachfolgenden Generationen
da und dort vernommen und bedacht" werden (5). Die
theologische Verantwortung für die rechten Wege in die dunkle
Zukunft will recht jedoch allein im Aufblick zu dem erfolgen,
der als die „einigende Wahrheit" in Person unser aller Zukunft
ist.

Heidelberg Albrecht Fcters

Brandenburg, Albert: Die Zukunft des Martin Luther. Luther,
Evangelium und die Katholizität. Eine These. Münster:
Aschendorff; Kassel: Johannes Stauda-Verlag [1977]. VIII,

83 S. gr. 8°.

Im Vorwort von Heft 6/1976 der Zeitschrift .Concilium' zum
Thema „Verständigung über Luther?" war die Frage aufgeworfen
worden, warum die .Amtskirche' noch nicht die Konsequenzen
aus dem erreichten Konsens in der evangelischen
und katholischen Lutherforschung gezogen habe - eine Frage,
die sich zweifellos auch bei manchen anderen Ergebnissen ökumenischer
Bemühungen aufdrängt. Hinter ihr steht die Vor-