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Ausgabe:

1979

Spalte:

597-598

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Quere, Ralph W.

Titel/Untertitel:

Melanchthon's christum cognoscere 1979

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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597

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

598

Quere, Ralph Walter: Melanchthon's Christum Cognoscere.

Christ's Efficacious Presence in the Eucharistie Theology of
Melanchthon. Nieuwkoop: de Graaf 1977. XII, 418 S., 4 Abb.
gr. 8° = Bibliotheca Humanistica & Reformatorica, XXII. Lw.
hfl.. 98,-.

Nachdem W. Neuser 1968 den ersten Teil seiner ausführlichen
Abendmahlslehrc Melanchthons (bis 1530) vorgelegt
hatte (vgl. Rez. in ThLZ 96, 1971 Sp. 124ff), wird das Thema
nun von Qu. neu behandelt. Rez. greift interessiert nach der
Studie. Er hatte seinerzeit gemeint, Neuser vorhalten zu sollen
, dafj er „den Unterschied Luther - Mel. in der Abendmahlslehre
zu scharf sieht". So sehr Qu. immer wieder Neusers
Arbeit heranzieht, die im Unterschied zu seiner mehr
historisch als systematisch angelegt ist, so wird man feststellen
können, dafj Vf., ohne die Unterschiede zu verwischen
oder zu bagatellisieren, beide Reformatoren zu diesem Thema
nicht als Gegensätze sieht. Qu. wehrt sich überhaupt gegen
Vereinseitigungen, die Mel.s Theologie immer wieder erfahren
hat, hat man ihn doch zum Proto- bzw. Kryptokalvinisten erklärt
, als Methodist oder als Vater aller lutherischen Hetero-
doxien, umgekehrt aber auch als Vater der luth. oder ref.
Orthodoxie, ja als Vater der modernen Theologie bzw. als
"the great-grandfather of Rudolf Bultmann" (5f) gesehen.

Vf. möchte in seiner Studie Mel.s Abendmahlslehrc mit der
Luthers vergleichen und den Einfluß von ökolampads Dialog
auf die Ausprägung seiner Theologie im Hinblick auf die Verwendung
patristischer und mittelalterlicher Quellen untersuchen
. Beim Vf. wuchs unter der Arbeit die Überzeugung,
daß in dem Feld: Zeichen, Gegenwart und Gabe die wirklichen
Unterschiede zwischen Luthers und Mel.s Abendmahlslehre
liegen. Da5 eine Spannung zwischen beiden existiert,
hält Qu. für unbestreitbar (2,4).

In der Einleitung (1-36) zeichnet Vf. das Abendmahlsproblem
in Mel.s Theologie und gibt einen Überblick über die
Patristischen und mittelalterlichen Auffassungen von Zeichen,
Gegenwart und Gabe.

In Kap. 1 „Zeichen oder Präsenz: Das Zeichen von Christi
Leib und Blut (1518-1521)" (37-133) nennt Vf. die Transsub-
stantiation das "preliminary problcm"; untersucht ausführlich
die Struktur des Zeichens, insbesondere in den Loci von 1521,
und die Gegenwart als Gabe. Vf. schließt: Das Erkennen Christi
ist das Erkennen seiner Gaben, es wird versichert durch
die Zeichen.

Im Kap. 2 „Gegenwart und Gaben: Das sichtbare Wort im
Hinblick auf den göttlichen Vergebungswillen (1521-1530)"
(134-294) untersucht Qu. zuerst den Verlauf des Abendmahlsstreits
und untersucht dann Einzelheiten, z. B. die Stellung
von Ökolampad und Luther zu den Vätern, die Vor- und
Nachgcschichte des Marburger Gesprächs und natürlich den
Abendmahlsartikel der CA, den er im Kontext des Bekenntnisses
sehen will ("Real presence must bc affirmed; the mode
or location of that presence remains for Melanchthon - and
even for Luther - open. This is the significance of the use
of both vere and wahrhaitiglichjwahret in Article X", 293).

Das Kap. 3 behandelt „Die Wirksamkeit in der Handlung:
Christi wirksame Gegenwart in der Verwaltung des Mahles
(1530ff)" (295-381) - u. zw. das Nachspiel zur CA (Butzers
Anfrage zum Art. X und Ökolampads Dialog gegen Mel.s Pa-
trologie), dann, was Mel. und die Reformierten bzw. Ökolampad
über Wirksamkeit und Inkorporation sagen, weiter
die Gegenwart im Gottesdienst (gottesdienstliche Gegenwart
und Wirksamkeit; Ubiquität des Leibes oder Pcrsonalpräsenz
in usu) und die Gegenwart, die mit den Elementen ausgeteilt
wird (Mel. und Butzcr über exhiberi und manducatio; „cum",
für Qu. zunehmend in temporalem Sinne bei Mel.).

Zusammenfassung und Ergebnis (382-390), Bibliographie
und drei graphische Beigaben beschließen die Monographie.

Qu. meint, dafj

1) Mel.s Strukturmodell für seinen Zeichenbegriff augustinisch
ist und bleibt, wohingegen es Luther aus seiner reformatorischen
Verantwortung umdeutet - u. zw. hinsichtlich der Betonung
von Christi substantialer Gegenwart. Der „Brotleib"
ist das Zeichen, worin die Sündenvergebung ist. In ihr liegt
Bedeutung, Gabe und Nutzen des Sakraments. Wohl benutzt
Mel. das augustinische Modell, aber im Essen und Trinken
ist Jesus Christus selbst wirksam, personal und substantial im
Zeichen gegenwärtig.

2. ) Unterschiede hinsichtlich der Gegenwart Christi schon vor
dem Abendmahlsstreit zwischen Luther und Mel. bestanden
haben: "What has been established is that what began as an
unquestioning aeeeptance of bodily presence became by the
1530s a doctrine of the personal, substantial, simultaneous,
ecclesial, ritual, and efficacious presence" (384). Gegenüber
Luthers Nachdruck darauf, dafj der Leib im Brot gegenwärtig
ist, lehrt Mel. die Gegenwart in usu bzw. dann sogar die personale
Gegenwart. Es genügt Mel. zu bekennen, daß Christus
im Sakrament gegenwärtig ist.

3. ) der Sakramentsempfang nicht automatisch bedeutet, Christi
Wohltaten zu empfangen. Mel.s Gebrauch von exhiberi in
der Variata und seine Stellung zur manducatio impiorum
sollte im Kontext verstanden werden. Für Mel. wie für Luther
sei der Glaube nötig, damit das Sakrament wirksam
(doch wohl: heilswirksam!!) wird. Alles, was Mel. wissen
wollte, war dies, daß der Ungläubige Christi Wohltaten nicht
empfängt.

4. ) Kontinuität und Wandel in Mel.s Gedanken aufgezeigt
werden können. Kontinuierlich gebraucht Mel. die Formel
„Christum cognoscere/meminisse". Er respektiert die Autorität
der Väter und sieht seine Lehre von der Realpräsenz und der
Gabe des Sakraments durch seine patristischen Studien bestätigt
. Von daher ist zu verstehen, dafi er in der AC sogar von
der mutatio panis spricht. Die mittelalterliche Tradition wurde
in der Übernahme des "substantialiter" in der CA wirksam.
Der Beitrag Mel.s zur Abendmahlsdiskussion beruht in seiner
Synthese seines eigenen Konzepts von Christi personaler und
gottesdienstlicher Gegenwart mit der röm. Lehre von den signa
efficacia und Luthers Lehre von der Gabe des Sakraments,
die durch das Wort zum Glauben gegeben wird. Deshalb
spricht Qu. von „Christi wirksamer Gegenwart".

Vf. bezeichnet das Verhältnis von Zeichen, Gegenwart und
Gabe als die „kritische Zone" in der Abcndmahlslehre Luthers
und Mel.s. Luther setzt Zeichen und Gabe ineins, Mel. verbindet
die sakramentalen Elemente, die Handlung und die Gabe
miteinander.

Zum Einflufj Ökolampads meint Vf., er bleibe undeutlich:
"That Melanchthon's confidence in the presumed patristic con-
sensus was shaken by Oekolampadius Dialogus has been
shown" (389).

Vf. ist der Überzeugung, dafi, wie Luthers Katechismen den
Abschluß und Höhepunkt seiner Abendmahlslehre markieren,
so für Mel. die AC. Rez. ist gespannt zu erfahren, wie sich
Neuser zu dieser Behauptung stellen wird. Qu. sieht sie aber
klar belegt durch die Kasseler Formel, die Loci von 1535 und
die Wittenberger Konkordie (aber auch für die Variata? Sie
kommt in der Arbeit m. E. etwas zu kurz). Nach Meinung des
Vf. löste sich nun die Spannung zwischen den Wittenbergern
und den Süddeutschen dadurch, daß die Realpräsenz Christi
eben als wirksame und gleichzeitige Gegenwart gesehen wurde
, so daß mit der Austeilung des Abendmahlsbrotes in der
gottesdienstlichen Handlung Christus gegenwärtig ist und an
uns handelt.

Die vorliegende Studie ist umfassend sowohl hinsichtlich der
Thematik wie auch der verarbeiteten Literatur. Es war richtig
, daß Qu. mit der Ausarbeitung seiner Dissertation nach
dem Erscheinen der Arbeit von Neuser fortfuhr (III) und daß
sie veröffentlicht wurde.

Leider enthalten die Anmerkungen eine Fülle von Fehlern
(z. B.: Wilhelm Maurer, „Zum geschichtliche Verständ des
Augsburgisches Konfessions", Festschrift für Gerhard Ritter,
Richard Nürnburger, editor (Tübingen: J. C. B. Mohr, 1950),
p. 189). auf S. 291f, Anm. 665).

Sdilettau/Erzgeb. Karl-Hermann Kandier