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Ausgabe:

1979

Spalte:

594-596

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Grane, Leif

Titel/Untertitel:

Modus loquendi theologicus 1979

Rezensent:

Zur Mühlen, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

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dem Auferstandenen sich durch seine hingebende Tat in ihrer
neuen gläubigen Existenz begründet wissen und Vergebung
und Gemeinschaft Jesu erfahren haben, finden sich auf der
Grundlage des Glaubens der offenbarenden Begegnung und
der erfahrenen Gemeinschaft mit Jesus als eschatologische
Gemeinschaft, als Kirche zusammen" (32).

Aber Dias wendet sich hier - und sicher mit Recht - gegen
unsachgemäße Alternativen. Aus der entscheidenden Betonung
von Ostern darf nicht die Bedeutungslosigkeit der vorösterlichen
Erfahrung mit Jesus, seinem Wort, seinem Wirken und
seinem Geschick gefolgert werden. So zitiert er u. a. zustimmend
H. Küng: „Die Kirche hat ihren Ursprung ... im ganzen
Handeln Gottes in Jesus Christus, von Jesu Geburt, Wirken
und Jüngerberufung an bis zu Tod und Auferstehung
und zur Gabe des Geistes an die Zeugen des Auferstandenen"

Im 3. Kap. versucht Dias dann das „Urchristentum", so wie
es sich ihm auf Grund der vorliegenden Dokumente darstellt,
zu skizzieren. Für ihn ergibt sich ein sehr vielgestaltiges
Bild von urchristlichen Kirchen und ihren Selbstzeugnissen.
Seines Erachtens ist - aufjer der Bindung an die Person Jesu -
sehr schwer der Punkt zu bestimmen, in dem die Vielheit der
Urkirche in die Einheit mündet. Er beschränkt sich darum bewußt
darauf, „zunächst die Koordinaten für die Profile der ur-
christlichcn Gruppen einigermaßen zutreffend zu setzen" (41).

Dias rechnet mit einer größeren Vielfalt, als weithin angenommen
wird. Er hält es für sehr wahrscheinlich, daß selbst
im urchristlichen Judenchristentum die Skala der Verschiedenheit
sehr weit gereicht hat. Die Zukunft gehörte aber den
in Missionsgebieten entstandenen Kirchen. Diese waren durch
ganz verschiedene christliche Gruppen gegründet, die sowohl
dem Judenchristentum, als auch dem hellenistischen
Christentum entstammten.

Etwa ein Drittel der ganzen Arbeit (51-106) nimmt der Abschnitt
(§ 12) ein, in dem Dias die Selbstzeugnisse der urchristlichen
Kirchen analysiert. Da er sich auf eine konsequent
angewandte form- und gattungsgeschichtliche Methode beruft,
setzt er mit vorsynoptischen Übcrlieferungseinhciten ein (z. B.
das ekklesiologische Zeugnis der Logiensammlung), behandelt
dann unter ekklesiologischem Aspekt Mk, Mt, das Zeugnis
des Paulus, die sich an Paulus anschließenden Zeugnisse (Kol,
Eph, 1 Petr, Lk), die Johanncsschriften und schließlich den
Hebräer- und den Jakobusbrief. Auf das Zeugnis der Pastoral-
briefe kommt Dias erst im 4. Kap. seines Buches zu sprechen,
weil er stärkere Zusammenhänge mit dem 1. Clemensbrief,
Ignatius von Antiochien und dem Hirten des Hermas, der Di-
dache und dem Barnabasbrief sieht.

Auf diese Weise ergibt sich ein vielfarbiges, lebendiges Bild
der Kirche, die sich in sehr verschiedenartigen Strukturen und
Ordnungen darstellt. Aber ist es deshalb sachgemäß, von einer
„mehr horizontalen Betrachtungsweise" zu sprechen? Unseres
Erachtens bemüht sich Dias durchgehend bei der Hcrausarbei-
tung der unterschiedlichen Profile um eine ganzheitliche Betrachtungsweise
; d. h., er klammert die „Vertikale" nicht aus.
Ein „gemeinsamer Glaubensbestand" ist offensichtlich vorhanden
, aber er wird in „differenzierter Weise verstanden, übersetzt
, verkündigt, weitergegeben und als Kirche konstituierender
Faktor" (51) angesehen. Da es sein besonderes Interesse
ist, das so deutlich wie möglich herauszustellen, gibt er dem
Abschnitt über die Selbstzeugnisse urchristlicher Kirchen einen
so breiten Raum. Darin beschreibt er nicht nur, sondern argumentiert
bewußt theologisch, auch wenn er kein möglichst genaues
und systematisch geschlossenes, dogmatisches Verständnis
von Kirche in den neutestamentlichen Schriften intendiert
(vgl. S. 51).

Die von den Herausgebern hier - wenn auch zurückhaltend
- monierte Einseitigkeit der Arbeit von Dias, stellt sich von
evangelischer Seite aus anders dar. Sie ist durch den sehr
gründlichen biblischen Rückbezug eine ökumenische Herausforderung
. Wir hatten schon vor vier Jahren bei der Anzeige
der Arbeit von Congar auf wachsende Gemeinsamkeiten hingewiesen
. Es scheint uns verheißungsvoll zu sein, wenn einer,

im zwischenkirchlichen Dialog erfolgenden Befragung der
Texte aus der Zeit des Werdens der Kirche ein so entscheidender
Stellenwert zuerkannt wird.

Wir werden auf evangelischer Seite umgekehrt nicht umhinkönnen
festzustellen, daß die im Zusammenhang mit der Lehre
von der Kirche kontroversen Fragen (Kirche und Amt, das Problem
der Einheit, der Apostolizität, der Weltverantwortung,
der Lehrgewalt etc.) sich nicht einfach durch eine Befragung
der Ursprungsdokumente beantworten lassen. Die Zersplitterung
der Weltchristenheit in eine Unzahl von Kirchen, Konfessionen
, Denominationen und Gruppen ist durch die Mannigfaltigkeit
, in der die urchristlichen Kirchen sich darstellen,
gewiß nicht gerechtfertigt. Aber die Rückbesinnung auf den
Anfang setzt auch Hoffnungen frei. Dias nennt als Kriterium
und Orientierungsfaktum für die Einheit den Dienst an der
Gottesherrschaft, in dem sich die Kirche als Gemeinschaft des
neuen Herrn, Jesus Christus konstituiert (vgl. S. 9). Das ist
auch heute im ökumenischen Miteinander der Kirchen in der
Welt zu bedenken.

Neuendettelsau Wilhelm Andersen

Grane, Leif: Modus Loquendi Theologicus. Luthers Kampf um
die Erneuerung der Theologie (1515-1518). Leiden: Brill
1975. 201 S. gr. 8" = Acta Theologica Danica, XII. Lw. hfl.
44,-.

Der bekannte dänische Kirchenhistoriker Leif Grane legt
nach „Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel
Biel in der Disputatio contra scholasticam theologiam
1517" (1962) nun eine interessante Arbeit vor, die Luthers
Kampf um die Erneuerung der Theologie in den Jahren 1515
bis 1518 gewidmet ist. War „Contra Gabrielem" methodisch
im Zeichen der sogenannten genetischen Lutherforschung geschrieben
, die sich bemüht, Luther im Kontext spätmittelalterlicher
Theologie, wenn schon nicht zu „erklären", so doch zu
„interpretieren", so will Grane jetzt gewisse Mängel derselben
, nämlich nicht hinreichend zu beachten, wie Luther selbst
„auf die Tradition aufgrund seines eigenen geschichtlichen Zusammenhangs
" (196) reagiert, korrigieren. „Gerade das historische
Interesse an Luther verlangt, daß wir nicht Halt machen
, wenn wir die Tradition erforscht zu haben meinen, die
Bedeutung für ihn hatte. Dann ist nämlich das Schwierigste -
und das Wichtigste - noch zu tun" (a. a. O.). Es gilt nämlich
zu fragen, „welchen Gewinn Luther selbst aus seinem Umgang
mit der Tradition zog" (a. a. O.) und was sich bei ihm in Aufnahme
und Kritik derselben kontingent Neues erschließt. Diese
Frage will nun Grane nicht primär begriffsgeschichtlich oder
allgemein idcengeschichtlich untersuchen, sondern historischanalytisch
, d. h. er will möglichst genau die Denkbewegungen
nachzeichnen, „die das .Material' geschaffen haben, in dem
sich Luthers Arbeit in seiner frühen Periode für uns darstellt
." (14) Entsprechend will er nicht ein Buch über Luthers
Theologiebegriff schreiben, sondern untersuchen, was Luther
„zu sagen hat, wenn er als Theologe arbeitet." (16) So sieht
er sich methodisch auf einem sichereren Boden als eine immernoch
an der Frage nach Zeitpunkt und Inhalt der sogenannten
reformatorischen Wende orientierte Lutherforschung. Damit
ist nicht gesagt, daß jene Frage unerheblich ist, wohl aber,
daß ihre Untersuchung sich methodisch nicht hinreichend sichern
läßt, da sie ohne eine Vorentscheidung entweder über
den Inhalt oder den Zeitpunkt der reformatorischen Wende
nicht auskommt und so dem Zwang zu historischer Konstruktion
nicht entgeht.

Von diesen methodischen Überlegungen ausgehend und zugleich
Anregungen von K. Bauer (Die Wittenberger Universitätstheologie
und die Anfänge der deutschen Reformation. Tübingen
1928) wieder aufnehmend, untersucht Grane nun Luthers
Kampf um die Erneuerung der Theologie von der Rö-
merbricfvorlesung 1515/16 bis zum Verhör Luthers vor Cajetan
im Okt. 1518. Durch eine detaillierte Analyse der Römerbrief-