Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

591-594

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dias, Patrick V.

Titel/Untertitel:

Kirche 1979

Rezensent:

Andersen, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

591

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

592

Dogmen- und Theologiegeschichte

Handbuch der Dogmengeschichte, hrsg. v. M. Schmaus, A. Grillmeier
, L. Scheffczyk. III, 3a: Dias, Patrick V.: Kirche. In der
Schrift und im 2. Jahrhundert. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1974. VIII, 165 S. 8°. Kart. DM 67,-.

Mit der Arbeit von P. V. Dias liegt die Behandlung des Gesamtbereiches
der Ekklesiologie nun abgeschlossen vor (vgl.
die Anzeige der Darstellung von Y. Congar, der den Zeitraum
von Augustin bis zur Gegenwart in zwei Teilbänden behandelt
hat, in ThLZ 99, 1974 Sp. 137-143). Die in manchen
Teilbereichen des umfangreichen Werkes gemachte Beobachtung
, daß die einzelnen Stücke sich in einer überraschenden
Weise aneinanderfügen, trifft für die Arbeit von Dias nicht zu.
Die Herausgeber haben sich deshalb veranlaßt gesehen, in
einem Vorwort auf dessen „Besonderheit" ausdrücklich hinzuweisen
. Während die Autoren bisher „vorzugsweise geistes-
und problemgeschichtlich" - „im Sinne des Aufweises der Entfaltung
und des Wachstums der in der Offenbarung gesetzten
und in der Kirche anvertrauten Wahrheit im Medium des
menschlichen Geistes und des Wandels seiner Denk- und
Aussageformen" - argumentierten, bevorzuge Dias eine empirisch
orientierte Methode und gehe religionssoziologisch vor
(vgl. S. V). Diese mehr horizontale Betrachtungsweise ergibt
ein vielfarbiges, „lebendiges Mosaik der Kirche, deren Entstehen
als strukturimmanenter Prozeß aus den Vorgegebenheiten
verstehbar gemacht wird" (ebd.).

Diese Methode findet keine uneingeschränkte Zustimmung;
ihr wird aber doch zugestanden, daß sie nicht „gänzlich unangemessen
" sei und vielleicht sogar einige neue Gesichtspunkte
zutage fördern könne, die in der katholischen Dogmen-
gcschichtsschreibung bisher nur eine geringe Beachtung gefunden
hätten. Für einen evangelischen Rez. ist es überraschend
, wenn die Herausgeber das in der Weise näher ausführen
: „dazu gehören u. a. die Bedeutung der Erfahrung der
Auferstehung für das Werden der Gemeinde, die Verhaltensänderung
der Verkündigungsträger beim Zurücktreten der
cschatologischen Naherwartung, die Wirkmacht des Jüngerschafts
- und Bruderschaftsgedankens, die Bedeutung der Geistesgaben
, . . . die Reichhaltigkeit der Zeugen und Traditionen
, die Verantwortung aller Glieder für Glauben und Leben
der Kirche, die Vielfalt der Ausformungen des Kirchlichen
in den einzelnen selbständigen Gemeinden" (ebd.).

Man muß allerdings fragen, ob die Herausgeber recht haben
, wenn sie ihre sachlichen Vorbehalte gegenüber dem Ergebnis
der Arbeit - das Moment der Einheit der Kirche sei
vorrangig zu sehen, die Bedeutung des von Christus gestifteten
Amtes als Repräsentationsform Christi und die einmalige
Stellung des Petrusamtes träten schon früher deutlicher in Erscheinung
, die Kirche habe von Anfang an eine durch Taufe
und Eucharistie geprägte sakramentale Struktur, die die Kategorien
von Jüngerschaft und Bruderschaft übergreife - mit
einem Hinweis auf die Grenzen der angewandten Methode
begründen. Hier liegen doch wohl tiefergreifende Differenzen
vor. Außerdem ist es problematisch, die ungewöhnlich gründliche
Befragung der „Ursprungszeit" (d. h. das theologische
Interesse an dem Zeitraum, in dem die biblischen Schriften
und der Kanon entstanden sind) als eine „horizontale Betrachtungsweise
" negativ bzw. einseitig abzustempeln.

Für einen evangelischen Rez., der die Gelegenheit hatte,
fast alle bisher erschienenen Faszikel und Teilbändc des groß
angelegten Werkes anzuzeigen und zu würdigen, ist die
Gründlichkeit, mit der der biblische Bezug von Dias dargestellt
und aufgearbeitet wird, ein Novum. Man vergleiche damit
nur, wie in Bd. I 2a das Problem Glaube und Gotteserkenntnis
in der Schrift (AT und NT) auf knapp fünf Seiten abgehandelt
wird oder wie III la für die Entwicklung des neutesta-
mentlichen Zeugnisses in der Christologie mit 10 Seiten auskommt
.

Aber die von den Herausgebern vorgenommene Klassifizierung
dürfte auch der Absicht des Autors zuwiderlaufen. Er
gibt bereits im ersten Satz als sein Ziel an, die „Kirche - wie

sie heute in Erscheinung tritt - in ihrer geglaubten Wirklichkeit
und in ihrer geschichtlichen Gestalt zu erfassen" (4). Es
ist nicht nur als methodische Feststellung zu nehmen, sondern
Ausdruck einer grundlegenden theologischen Überzeugung, wenn
Dias hinzufügt: Zur Erreichung dieses Zieles biete sich kein
„besserer Ansatzpunkt als die geschichtlichen Vorgänge der ersten
zwei Jahrhunderte; denn in dieser Epoche kommt die Zeit
des Werdens der Kirche ... zu einem ersten Abschluß- Die
Kirche präsentiert sich als eine in konkreter sozialer Gestalt
erscheinende, in der Geschichte verwurzelte, überall verbreitete
religiöse Gemeinschaft, die durch die Vielfalt verbindlicher
schriftlicher Zeugnisse sich als eine von Gott berufene
und ausgesandte Gemeinschaft zu Jesus von Nazareth bekennt
" (4).

Diese Sätze deuten das Feld in den Umrissen an, auf dem
die Untersuchung von Dias sich bewegt. Die beiden mittleren
Kapitel (Kirche bei Jesus und Urchristliche Kirchen und deren
Selbstzeugnisse, 14-106) hätten sich auch sehr gut einer großangelegten
Theologie des Neuen Testamentes eingefügt. In
der nur schwer zu bewältigenden Fülle der Literaturhinweise
sind darum vor allem Neutestamentier zu finden. Es dürften
auch kaum evangelische Forscher, die sich einschlägig geäußert
haben, übersehen worden sein. Es geht ein kurzes 1.
Kap. (Kirche als Geschehen und Geschichte) voraus und es
folgt ein 4. über: Die Kirche in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen
bis zum Ende des 2. Jahrhunderts. Im 1. Kap. gibt
Dias Auskunft über sein methodisches Vorgehen. Für ihn ist
die historische Feststellung, daß die Christen gegen Ende des
2. Jh. im hellenistisch-römischen Raum sozial festumrissene
Gruppen bilden, die die „ganze Längsachse des Römischen Reiches
" besetzen (4), zwar von maßgebender Bedeutung. Aber
er nimmt dieses religionssoziologische Faktum zum Anlaß,
danach zu fragen und darauf zu antworten, „wie sich aus dem
Bewußtsein der ersten Jünger und Zeugen durch die Begegnung
mit dem Auferstandenen und durch die Ausgießung des
Geistes eine eschatologische Gemeinschaft konstituiert hat, wie
sich auf der Grundlage der Verkündigung Jesu das kirchliche
Selbstverständnis herausgebildet hat, wie sich durch die Überlieferung
der Apostel und der gläubigen Annahme ihrer Botschaft
in den einzelnen Kirchen langsam Traditionen geformt
haben" (9). Sein Interesse gilt also keineswegs nur „den dem
empirischen Forscher erreichbaren natürlichen Elementen der
damaligen religiösen Erfahrung" (vgl. Vorwort), sondern der
einen Kirche, die als „Geschehen und Geschichte in der Vielfalt
der Kirchen" und deren „ekklesiologisches Selbstverständnis
in der Vielfalt der Selbstzeugnisse in Erscheinung" (9) tritt.

Dias läßt sich damit - im Gespräch vor allem auch mit evangelischen
Autoren - auf sehr viele Fragestellungen und Einzelprobleme
ein, auf die einzugehen den Rahmen einer Buchbesprechung
sprengt. Er zeigt dabei sowohl seine eingehende
Kenntnis der Diskussionslagc, wie auch die Fähigkeit zu
einer klaren und durchsichtigen Darstellung. So geht er im
Kap. „Kirche bei Jesus" von der weithin akzeptierten, und
für ihn als nicht mehr zur Diskussion gestellten Überzeugung
aus, daß die aus dem Schöße des Judentums hervorgetretene,
Jesus Christus als den Messias bekennende Gemeinschaft ohne
das Wirken Jesus von Nazareth gar nicht verständlich ist, daß
diese Gemeinde aber erst nach dem Entstehen des Auferstehungsglaubens
als Kirche Zeugnis für den Gekreuzigten ablegt
und daß sie sich als eschatologische Heilsgemeinde und
Gottes Setzung versteht (vgl. S. 14).

Er betont aber die umfassende Bedeutung dieser Grundüberzeugung
, um die einzelnen, in sich divergierenden
Meinungen, ob und wie diese Kirche auf Jesu Willen und Verkündigung
zurückgeht, ob und wie eine Kontinuität zwischen
der nachösterlichen Kirche und der vorösterlichen Jüngerschar
besteht, darzustellen und zu diskutieren. Das „Quellenproblem"
(§ 4) ist besonders zu bedenken, „dogmatische" Stellungnahmen
sind unvermeidbar (§ 5). Dias' zusammenfassendes Urteil
muß als sachlich begründet und abgewogen bezeichnet
werden. Seiner Meinung nach, kann „vor Ostern nicht einfach
von .Kirche' als Setzung Gottes und Stiftung Jesu geredet werden
" (vgl. S. 31). „Die Jünger, die durch die Begegnung mit