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Ausgabe:

1979

Spalte:

584-585

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Thomas de Sutona, Quaestiones ordinariae 1979

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

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foimation" (Berlin - New York 1977) - gesammelt. Nötig war
nun die Aufarbeitung des riesigen angesammelten Materials
in einer zusammenfassenden Darstellung. Diese bietet uns die
„Geschichte des Augustinerordens", die die Generalkurie des
Ordens in Rom veröffentlicht. 1971 war zuerst der zweite Band
in spanischer Sprache erschienen, der die Geschichte der Augustiner
vom Beginn der Reformation bis zur katholischen Restauration
1518-1648 behandelt. In dieser Zeitschrift (ThLZ
102, 1977 Sp. 596f) wurde die deutsche Übersetzung besprochen
, die 1975 erschienen war. Nun faßt wiederum D. Gutier-
rez in Band 1/2 die Geschichte der Augustiner in der Zeit von
1357-1517 zusammen. Es ist bereits eine Zeit der Dekadenz
der Orden, die etwa im ersten Viertel des 14. Jh. beginnt.
Die Augustiner merkten selbst, daß sie die geistige und spirituelle
Höhe, die ihr Orden im 13. und noch Anfang des 14. Jh.
erreicht hatte, nicht hatten halten können. Der Ordensgeneral
Wilhelm von Cremona sagt es 1326 selbst: „Cum nostra Religio
, quae tertia columna in Dei aedificio exsistere comproba-
tur, sit spiritualiter collapsa . . ."(2). Immer erneut wurden
Versuche zur Reformation des Ordens unternommen; an gutem
Willen und auch an geistiger Anstrengung fehlte es nicht.
Doch die kirchliche und gesellschaftliche Gesamtlage war so
verfilzt, daß einzelne gutgemeinte Versuche einer Reform sich
nicht auswirken konnten. Dazu kamen die verheerende Pest
in den Jahren 1348-1351, das lange Papstschisma von 1378 bis
1417, das auch die Orden in zwei oder gar drei Teile spaltete,
der hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England
1339-1453, die religiöse Revolution in Böhmen, schließlich das
Aufkommen starker Säkularisierungstendenzen im geistigen
Leben - alle diese Faktoren bestimmten das Gesamtleben so
stark, dafj Einzelversuche gegen diese Einflüsse sich nicht entscheidend
durchsetzen konnten.

Mit souveräner Übersicht schildert G. die Geschichte seines
Ordens. Zuerst gibt er (Kap. I) eine Übersicht über die Ordensleitung
von Gregor von Rimini bis Aegidius von Viterbo. In
Kap. II schildert er die Entwicklung der einzelnen Provinzen, in
Kap. III das Entstehen der Kongregationen der Observanz,
die in Sachsen, in Italien und in Spanien sich bildeten, zeigt
ihre Licht- und Schattenseiten auf. Angefügt ist ein Abschnitt

- er gehörte wohl nicht zu diesem Kapitel - über die Ordensstatistik
. Sehr vorsichtig und kritisch gegen überkommene
Zahlenangaben prüft G. die vorhandenen Unterlagen und kann
manche Übertreibung richtigstellen. So reduziert er die selbst
noch im LThK21, 1086 angegebene Zahl von 30 000 Augustinern
, die zur Zeit vor Luther zum Orden gehört haben sollen,
auf ca. 8000. Ebenso kritisch zeigt er sich gegenüber den Zahlenangaben
bei den Pestopfern der Jahre 1348-1351. Das IV. Kap.
berichtet vom religiösen Leben des Ordens, das V. über Studien
, Schulen, Schriftsteller und Bibliotheken; es prüft auch
die Frage der „Vorläufer" Luthers im eigenen Orden. Das
VI. Kap. über die Auseinandersetzung des Ordens mit Wyclif
und Hus und seine Tätigkeit auf den Konzilien zu Konstanz,
Basel und Ferrara schrieb aus eingehender Sachkenntnis A.
Zumkeller. Ebenso ist das VII. Kap. über das Verhältnis des
Ordens zum Humanismus von dem besten Fachmann des Ordens
auf diesem Gebiet, von R. Arbesmann, bearbeitet. Beide
Verfasser hatten für diese Themen selbst die Vorarbeiten geleistet
, so daß sie hier aus erster Hand eine zuverlässige Übersicht
geben können. Im VIII. Kap. berichtet wieder G. von der
Stellung des Ordens zum Diözesanklerus, zu den anderen Orden
, von den Augustinern, die zum Bischof geweiht wurden

- in diesem Zeitraum sind es an 250 -, weist auf bedeutende
Prediger des Ordens hin und gibt eine Übersicht über die
Terziarenbewegung, die sich dem Orden anschloß. Ein letztes
Kapitel ist den Augustinerinnen gewidmet, die meist in einer
Geschichte des Ordens übersehen oder nur am Rand erwähnt
werden.

Das Werk ist in jeder Hinsicht zuverlässig, kritisch und
ungemein Stoff reich; es ist auch eine pädagogisch gute Leistung
, so dafj es wirklich eine ausgezeichnete Übersicht über
den Orden und seine Geschichte gibt. Mehrfach wird auf das
unerreichte Vorbild des klassischen Buches von Hubert Jedin
über Girolamo Seripando (Würzburg 1937) hingewiesen, das

in einmaliger Weise Kirchengeschichte und große Theologie
miteinander vereint. Ein so hohes Ziel steckt sich das Buch
nicht; es will zunächst eine Übersicht über den Gesamtorden
geben. G., ein Spanier, der als Professor für Ordensgeschichte
in Rom lebt und lehrt, ist besonders geeignet, den Gesamtorden
und die einzelnen Provinzen zu überschauen und von
jeder ein unvoreingenommenes Bild zu zeichnen. Auch in diesem
Band hat er das Generalarchiv des Ordens in Rom reichlich
benutzt, so daß wir aus erster Quelle informiert werden.
Die Bibliographie ist trotz der zwei oben genannten Ordensbibliographien
überaus wertvoll, weil sie zuerst mit großer
Sachkenntnis auf die Quellen hinweist und dann mit sicherem
Blick aus der Literatur das Wichtigste auswählt. Druckfehler
sind im Buch selten und kaum je sinnstörend; hingewiesen
sei nur auf S. 40 (Quellen), wo es statt Pisanum Pisarum
heißen muß. Für die wissenschaftliche Benutzung des Buches
wäre es günstiger, wenn die Zitate vor allem aus dem Register
der Augustinergeneräle nicht ins Spanische übersetzt, sondern
grundsätzlich im Original wiedergegeben würden. Ebenso
sollte bei jeder Zitation genau der Fundort angegeben werden
. So wird S. 169 von dem Augustiner Stephan von Sestino
aus seiner Rede vor dem Konzil von Trient ein „Text des heiligen
Augustinus" zitiert, der aus der kritischen Ausgabe der
Görresgesellschaft Concilium Tridcntinum V 609 (vielmehr 610)
übernommen wurde. Auch dort ist keine Fundstelle angegeben
. Vielleicht hat sich schon Stephan von Sestino getäuscht,
und es handelt sich gar nicht um einen Text aus Augustinus,
sondern aus Bernhard (De gratia et libero arbitrio I 2, cd. Lec-
lcrcq III 166, 20-21)?

Das Buch ist eine wertvolle Bereicherung unserer Kenntnisse
über den Augustinerorden. Für die Benediktiner, Franziskaner
, Dominikaner und Jesuiten lagen bereits gute Ordensgeschichten
vor; nun hat auch der Augustinerorden in
einem zuverlässigen Handbuch seine Ordensgeschichte zusammengefaßt
. Wir wollen hoffen, daß auch von diesem Band
recht bald eine deutsche Übersetzung erscheint.

Erfurt Erich Klcincidam

Thomas von Sutton: Quaestiones Ordinariae, hrsg. v. J. Schneider
. München: Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
; München: Beck i. Komm. 1977. IV, 279*S„ 1009
S. gr. 8° = Bayerische Akademie der Wissenschaften. Veröffentlichungen
der Kommission für die Herausgabe ungedruckter
Texte aus der mittelalterlichen Geisteswclt, III. DM
240,-.

Nachdem bereits 1969 in der gleichen Reihe die Quodlibeta
Suttens erschienen sind (s. H. Junghans, ThLZ 95, 1970 Sp.
921-923), legt nun J. Schneider die Quaestiones ordinariae
dieses Dominikaners vor, der als Vertreter thomasischer Lehre
um 1300 Beachtung beanspruchen kann.

Die Textausgabe basiert auf einer Reihe von Hss., die sämtlich
noch der 1. Hälfte oder der Mitte des 14. Jh. angehören
(17*-43*). Sie bieten die Quaestionen in verschiedener Auswahl
und Reihenfolge. Grundlegende Bedeutung für die Edition
hat eine Oxforder Hs. (Merton College Cod. 138), die
nicht nur sämtliche andernorts tradierten Quaestionen enthält,
sondern noch zwei darüber hinaus.

Die grundsätzlichen Probleme, die Person Suttons betreffend
, sind bereits bei der Edition der Quodlibeta erörtert worden
. Jetzt kann sich der Hrsg. mit speziellen Fragen der Chronologie
(44*-57*) und der Echtheit (58*-89*) befassen. Vorsichtiges
Abwägen in der Diskussion der Sutton zugeschriebenen
Schriften läßt beim Vergleich mit den beiden Quaestioncn-
reihen als mit einiger Sicherheit als echt zu erweisen nur wenig
übrig: Contra pluralitatem formarum, De ente et essentia.
De produetione formae substantialis (86*).

Quaestiones ordinariae sind die auf den regelmäßig im Rahmen
des Lehrbetriebes der mittelalterlichen Universität stattfindenden
Disputationen abgehandelten Fragen und ihre Beantwortung
nach festgelegtem Schema. Die Aufstellung der zu