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Ausgabe:

1979

Spalte:

575-576

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

The spirituality of Judaism 1979

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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575

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 8

576

Punkte zur Sprache, da die Fragestellungen treffend ausgewählt
sind. Die Voraussetzungen waren dadurch gegeben, daß
Th. Sartory sich in Fragen des Judentums auskennt, vgl. den
von ihm herausgegebenen Sammelband „Entdeckungen im Alten
Testament oder Die vergessene Wurzel", München 1970,
zu dem L. Prijs auch eine Abhandlung beigesteuert hat.

Der Überwindung christlicher Vorurteile gegenüber dem Judentum
möchte der Anhang (109-125) dienen: „,Gott der Rache
?' Anmerkungen zu einem alten Mißverständnis. Ein Beitrag
zum jüdisch-christlichen Gespräch".

Ein Literaturverzeichnis und eine Zeittafel erhöhen den Informationswert
des Bändchens; einige Abbildungen geben dem
Ganzen eine noch größere Anschaulichkeit.

Berlin Ludwig Wächler

Le Deaut, Roger, Jaubert, Annie, and Kurt Hruby: The Spiritu-
ality of Judaism, transl. by P. Barrett. Wheathampstead-Hert-
fordshire: Anthony Clarke [1977]. IX, 137 S. 8° = Religious
Experience Series, 11. Kart. £ 2,45.

Der Art. „Judaisme" des Dictionnaire de Spiritualite (VIII,
Sp. 1487-1564, Paris 1974) kam bereits ein Jahr nach seinem
Erscheinen in Buchform heraus und liegt nun (gleichzeitig in
einem britischen und einem nordamerikanischen Verlag) in
englischer Übersetzung vor. Das schmale Werk, das sich wegen
der Fülle der Informationen und der Dichte der Darstellung
als kleines judaistisches Kompendium bewährt hat, wurde
vom Übersetzer an einigen Stellen ergänzt und ist im Anmerkungsteil
und in der Bibliographie (121-136) durchweg
auf englischsprachige Titel umgestellt worden. Die zu erwartende
weite Verbreitung gilt einer Gemeinschaftsarbeit dreier
hervorragender Spezialisten P. Roger Le Deaut (Rom), Annie
Jaubert (Paris) und Kurt Hruby (Herausgeber der Judaica Zürich
), der für den Hauptteil (Kap. V-X) verantwortlich zeichnet
.

Aus der Aufgabe des Dictionnaire (vgl. dazu die regelmäßigen
Anzeigen von W. Völker, zuletzt ThLZ 101, 1976, Sp. 844
bis 849 und 104, 1979 Sp. 446-448) und der Zielsetzung
der Reihe (Editor: Edward J. Malatesta, S. J.) ergibt sich der
Charakter der Darstellung: es geht weniger um die historischen
Schicksale des Judentums als um seine Frömmigkeitsgeschichte
, um den jüdischen Beitrag zu einer ökumenischen
Spiritualität. Daß man dabei nicht ohne geschichtlichen Rückgriff
auskommt, zeigt nicht nur die Skizze der Frühgeschichte
vom Exil bis zum Rabbinismus (1-14), sondern auch die korrespondierenden
Kapitel über Gott und Mensch (15-24 und
41-48), in denen Bundesgedanke und Gesetz, Sündenverständnis
und spirituelle Erfahrung, das Gebot der Nächstenliebe
und die Mittlerschaft Israels für die Welt von A. Jaubert
unter reichlicher Heranziehung intertestamentarischer und
qumranischer Literatur veranschaulicht werden. Die Verwurzelung
der jüdischen Spiritualität im Liturgischen begreift man
besser, wenn man Le Deauts Ausführungen über Tempel, Festjahr
und synagogales Gebet gefolgt ist (25-40). Hier kann
auch K. Hruby einsetzen, der jene Komponenten entfaltet, die
in nachbiblischer Zeit zur Ausbildung kamen. Er beginnt mit
dem Verhältnis von schriftlicher und mündlicher Thora, das er
in einen in der Thora selbst angelegten Prozeß der Traditionsbildung
einzeichnet, der von der Thora zum Kanon, vom
geschriebenen Gesetz zu seiner vielfältigen Interpretation
führt (49-58). Er verdeutlicht, wie jüdische Frömmigkeit an
der Konkretheit der Erfüllung der Gebote, der mizwot haftet
(59-68) und weist dem geordneten Gebet seinen Platz in diesem
Gefüge zu (69-76).

Als Kernstück kann man das "Trends in Spirituality" über-
schriebene Kapitel betrachten. Es gilt der esoterischen Tradition
, deren Wurzeln bis in die Apokalyptik zurückreichen und
deren Basis die Deutung von Gen 1-2 und Ez 1 ist. Sie erscheint
als mystisch-inspirative Durchdringung der Thora-
frömmigkeit; ihre reflektiv-literarische Ausgestaltung ist schon
im Altertum und frühen Mittelalter nicht ohne Einfluß der
Religionsphilosophie (vor allem neuplatonischer Observanz)
verstehbar (77-84). Hier wie auch in folgenden Abschnitten
über die Kabbala (85-98) wird aber auch deutlich, daß die

jüdische Mystik nicht nur ein Stück Religionsphilosophie ist,
sondern mit meditativer Erfahrung und Erschließung spiritueller
Regionen eng einhergeht, ja erst in dieser Verbindung
in ihrem Eigentlichen erfaßt ist. Die Wirkungsgeschichte des
Sohar und des eine theosophische Ethik verbreitenden Musar
des Ari (dazu 94ff) zeugen davon. Das Schlußkapitel, das eine
Skizze jüdischer Frömmigkeitsgeschichte der Neuzeit bietet
(99-112), verweist auf relativ Bekanntes, wie den Zusammenhang
von Kabbala und neuerem Messianismus (Sabbatai Zwi),
aber auch auf weniger Beachtetes, wie die gegen die Emanzipation
gerichtete mit der Erweckung gleichzeitige Musar-Be-
wegung des R. Israel Lipkin Salanter (1810-1883) und die
Lubavitch-Bewegung unter den heutigen Juden in den USA,
eine Art Analogie zur Pfingstbewegung.

Die Vorstellung der Herausgeber, die zur Idee einer das
Judentum umschließenden ökumenischen Spiritualität tendiert,
mag manchen zu weit gegriffen erscheinen. Der Gedanke einer
special relationship zwischen jüdischer und christlicher Frömmigkeit
, von der das ganze Buch zeugt, ist es gewiß nicht.

Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Wolff, Christian: Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum.
Berlin: Akademie-Verlag 1976. XXIII, 264 S. gr. 8° = Texte
u. Untersuchungen z. Geschichte d. altchristlichen Literatur,
118. M 54,-.

Für die Frage nach der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte
biblischer Texte bis in das 2. Jh. n. Chr. ist diese Arbeit von
beachtlicher Bedeutung. Es kommt heraus, daß das Jeremia-
Buch größtenteils überhaupt nicht bekannt gewesen ist. Die
Konsequenz daraus: Man darf für die Interpretation frühjüdischer
und frühchristlicher Schriften nicht unbesehen den
gesamten alttestamentlichen Kanon oder auch nur dessen
Hauptschriften heranziehen (191). Vielmehr ist das Jeremia-
buch in erster Linie nur dort bekannt, wo man Pseudonyme
Schriften unter die Autorität des Baruch oder des Jeremia gestellt
hat. Diese Erkenntnis ist für das Verständnis auch der
frühchristlichen Pseudepigraphie im allgemeinen von Bedeutung
. In erster Linie sind es die Ereignisse des Jahres 70 n.
Chr. gewesen, die dazu führten, daß man den Propheten Jeremia
und seine Worte wiederentdeckte. Weil er seine Worte angesichts
einer ähnlichen Katastrophe formuliert hatte, konnte
man diese nun auf die eigene Zeit beziehen. Jeremia gilt so
in erster Linie als Prophet des Unheils. Im Neuen Testament
wird dieses besonders in Apk 17f deutlich: Ein jüdisches Flori-
legium von Texten, die sich gegen Fremdvölker richteten (aus
Jer 50f gegen Babylon), wird hier antirömisch verwendet.
Überzeugend wird gezeigt, daß diese antirömischc Verwendung
wohl ebenfalls bereits jüdisch ist (auch anhand der
Gleichsetzung Tyrus/Rom). - Anhand einer anders und vor
allem an Jer 43f orientierten Traditionslinic wird die These
aufgestellt, daß Leben und Worte des Jeremia vor allem im
ägyptischen Judentum von Bedeutung gewesen seien. Belegt
wird dieses vor allem anhand 2 Makk 2, der Vita Ieremiae
(in den Vitae prophetarum) und des vom Vf. so bezeichneten
Syrischen Jeremia-Apokryphons (diese Bezeichnung ist allerdings
anfechtbar, denn diese Schrift ist in Karschuni geschrieben
, d. h. zwar mit syrischen Buchstaben, aber in arabischer
Sprache. Da die Schrift überdies koptisch überliefert ist, möchte
ich an der von mir eingeführten Bezeichnung Kopt.-Arab.
Jeremia-Apokryphon festhalten).

In einem ersten Teil der Arbeit wird dargestellt, wie die Gestalt, bzw. die
Vita des Propheten Jeremia rezipiert worden ist. Die Inhaltsangaben einer
Reihe von Texten zu diesem Thema geben zwar nicht viel her, um so interessanter
ist dann die traditionsgeschichtliche Erörterung bestimmter Themenkreise
, die man mit dem Propheten verbunden hat (Tcmpelgeräte, Ornat des
Hohenpriesters, Altarfeuer, Tempelschlüssel). In dem Stück über die Säulenkapitelle
wären auch die in meiner Arbeit »Die Auferstehung des Propheten ..."
(SUNT 13), Göttingen 1976, Teil I Anm. 238.246 aufgeführten Quellentexte zu
nennen gewesen. Von großer Bedeutung ist für die Beweisführung des Vf. die
Parallelität zwischen Jeremia und Mose: Beide führen Israel aus dem Land der
Verbannung heraus. Ob sich freilich Mt 16,14 aus dieser Tradition herleiten läßt,
bleibt fraglich. Vielmehr dürfte in diesem Punkte die - vom Vf. leider unerwähnt
gebliebene - durchgehende Parallelität von Jeremia und Henoch weiterführen
, die gerade auch wieder für Ägypten zu beobachten ist (Belege in
meiner o. g. Schrift, Teil I Anm. 72.231). - In dem Abschnitt über Jeremia
als Fürbitter und Interzessor hätte man sich eine noch stärkere Profilierung angesichts
vergleichbarer Aussagen über andere prophetische Figuren gewünscht.