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Ausgabe:

1979

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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Büliring, Klaus: Neue Musik in der Well des Christentum*.
München: Kaiser [1975]. 87 S. m. 19 Abb. 8°. DM 12,80.
Neben den zahlreichen Einführungen in die Musik unserer
Zeit versucht der Vf. der vorliegenden Schrift, die neue Musik
vor dem Hintergrund 'Kirche und Christentum' darzustellen
und ihre sreistigen Zusammenhänge zu erhellen.

Die neue Generation will wahrhaftig sein, gemäß dem Postulat
Arnold Schönbergs: „Musik soll nicht schmücken, sie soll
wahr sein." Neue Musik will nicht am Leiden vorbei komponieren
; sie möchte Leiden beredt werden lassen und, es trans-
zendierend, Versöhnung ahnend, Künderiu des anderen Landes
sein. Dabei bleibt sie empfindlich gegen sogenannte Positivi-
taten; sperrt sich gegen den schönen Klang. Sie fordert heraus,
verweigert sich leichler Verslehbarkeit (Schlager) und geselbger
Unterhaltung. Im Leiden als Welterfahrung offenbart sie sich
als ..Musik in der Welt des Christentums." „Sie predigt nicht
Uofi kirchliche* Dogma, sondern schildert die Welterfahrung des
Menschen und erkennt diese als Selbsterfahrung Gottes (vgl.
■'es 50,2—3)." Der universale Karfreitag ist iu seiner ganzen
"arte und Gottlosigkeit wiederhergestellt. Passion (Bachs „Bar-
labas-Schrci' und der im Klingen entbundene orbis inhumani
•ms Pendereckis „Dies irae" - dem Gedächtnisoratorium der iu
Auschwitz Gemordeten) ist so in eine Welt nach Auschwitz
übersetzt. ..Engagierte Musik" nennt auch Klaus Huber, der
Schweizer, sein Stück „Hiob 19". Fr will „durch den Choc und
die Turbulenz der Aussage das Bewußtsein der Aufnehmenden
erichflttern und auf diese Weise verändern." Dabei wird die
Dialektik von Zweifel und Hoffnung („Meinen Weg hat er verbaut
--aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt") zur Dialektik

im Inneren der Musik selbst. Da ist nicht von außen ein Text
illustriert, sondern der Inhalt des Textes ist zum Inhalt der
Musik geworden.

An der neuen Orgelmusik wird dargestellt, wie sich die gesamte
Musik im kirchliche!] Baum noch 19G0 in einem ..kontra-
punktisihen Ghetto" befand. Eine Aufführung neuer Orgelwerke
von Ligeti, Hambraeus und Kagel im Bremer Dom wurde
1962 von der dortigen Kirchenbehörde untersagt. Indessen sind
die Orgelwerke von Ligeti („Volumina") und Beugt Hambraeus
weit verbreitet. Die 1962 „unerhörten" Klänge haben Eingang
gefunden in die Ohren der Musikhörenden.

Ln Zuge dieser Entwicklung war es fragwürdig geworden,
für neue Musik in der Kirche den herkömmlichen Begriff
»geistliche Musik" zu verwenden. Die in der Theologie aufgebrochenen
Fragen werden in der neuen Musik als Frage an die
Kirche, ihre Musik und ihre Theologie laut. Neue, schroff aufstörende
Klänge stellen die „sakrale Aura kirchlichen Kults" in
Frage, um eine Musik gegenwärtiger Welterfahrung in die
Kirche einzubringen. Die seit 19G5 von Klaus Martin Ziegler
(Kassel) im Zweijahrcsrhythmus veranstaltete „Woche für geistliche
Musik" — seit 1971 umbenannt in „Neue Musik in der
Kirche";!) — ist fühlend in diesem Ausbruch aus dem „kontra-
punktisehen Ghetto ". Hier gilt die Wahrheitssuche mehr als die
VYahrhcitsbehauptung, das Experiment mehr als das Bewährte,
„das Neue mehr als die Sammlung von Papierblumen".

ln zwei eigenen Kapiteln wird die Ausweitung des musika-
fuchen Materials auf alle akustischen Gegebenheiten (Geräusche
, elektronische Klänge) und das Problem neuer Notation
dargestellt. Während die Versuche neuer Notation in Zusammenhang
gebracht werden mit neuer, schöpferischer Kommunikalion
zwischen Komponist, Iulerpret und Hörer, wird die Ausweitung
musikalischen Materials als „Klanglandschaften" beschrieben
, in denen die Vielfalt der Welt „bewußt wahrgenommen
und durchschaut" wird. — Nach dem in den ersten beiden
Kapiteln betonten Wahrheitsethos und der Verweigerung geselliger
Unterhaltung durch die Musik ist man überrascht, nun
dennoch vom Spielcharakter der neuen Musik zu hören. „Gebannt
vom Leiden verloren sie (die Komp.) die Freiheit zum
Spiel, weil sie da keinen Gott mehr kannten." — „Der Zwang
Wm Existentiellen vertreibt das unbeschwert Schöne." Damit
werden die ästhetischen Kategorien eingeführt, gegen die man
sich in der neuen Musik (als gegen sogenannte Positivitäten;
s. o.) gern versperrte. An dieser Stelle hätte ein Hinweis auf
Möllmanns Büchlein „Versuche über die Freude an der Freiheit

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und das Wohlgefallen am Spiel" (München 1972) noch ergänzend
weiterführen können. Gegen den Totalitätsanspruch der Ethik
wagt sich die Freude an der Ästhetik wieder hervor. In der
neuen Musik sollen neue Notalionsformen den Interpreten zu
kreativem Spiel anregen, ihn zum Mitspielen in der Landschaft
der Klänge anreizen — „als spielerischer Entwurf einer kommunikativen
Welt." Dazu werden Partiturbeispiele von Ligeti,
Schnebel, Brown und Heider abgebildet und besprochen. — Der
Vf. geht auch auf die Kluft zwischen Komponist und Hörer
ein: das Auseinanderfallen von musikalischer Sprache und Ver-
stehensmöglichkeit. Der Hörer muß eben lernen. Es geht ja in
der neuen Musik „nicht um Zeitvertreib und Unterhaltung,
sondern um die Befähigung, in den Klanglandschaften der neuen
Musik seine Welt wahrzunehmen und zu durchschauen." Freilich
: „dieses Lernen sollte Spiel sein, dem Spiel der Musik entsprechend
". — Hier muß man fragen, ob der Spielbegriff vom
Vf. nicht zu eng gefaßt ist. Man besinnt sich gerade wieder auf
Huizingas „Homo ludens" (1938), der Zweckfreiheit als das
Beglückende am Spiel hervorhebt und gerade in Bachs und
Mozarts Musik „edelsten Zeitvertreib" und „himmlische Arglosigkeit
" als Qualitäten ihrer Vollkommenheit sieht.

In einem vorletzten Kapitel „Bückkehr zum Mythos — der
Klang ist Gott" werden mystische Tendenzen in der neuen
Musik aufgezeigt: „Das Traumhaus der ewigen Musik" (La
Monte Young) und Stockhausens „Sternklang" — Musik als
Erlösungsreligion.

Im Schlußkapitel „Eine neue Generation: Kritik und Konstruktion
der Well" wird eine zusammenfassende Deutung der
Erscheinung „Neue Musik" versucht Besonderes Bedeulungs-
gewicht hat die Musik der neuen Generation durch ihre klanggewordene
Dialektik, die Leiden und Versöhnung, entlarvende
Kritik und Konstruktion umfaßt. Das Gedächtnis der Leiden
bleibt bewahrt, aber Künftiges kommt zur Ein — Spielung, zum
Vor — Schein. Neue Musik ,,lehrt"(!), den Menschen nicht nur
iu seiner konkreten Verfassung, sondern „als Menschen Gottes
zu sehen". Deshalb hält der Vf. „ihr Wesen als mit dem Thema
der christlichen Beligion identisch. Darum ist sie Musik in der
Welt des Christentums." Allein durch die ihr eigene Dialektik
ist sie fähig, „den Hymnus neu und auf ihre Weise zu artikulieren
."

Der Vf. schreibt seine Schrift selbst als engagierter Verfechter
der neuen Generation: kritisch, provokativ, wo Erstarrtes oder
Steriles gesehen wird; dialektische Denkmethoden zur Erkenntnis
unserer komplizierten Wirklichkeit geschickt anwendend.
Dabei sind Hegel und Adorno Geburtshelfer. Letzterer wird
kritisch eingeschränkt. — Eine interessante Schrift, die in ihrer
Kürze gleichzeitig informiert und Stellung nimmt. Daß im
Selbstverständnis der neuen Generation und ihrer Musik
„der neue Hymnus" bereits gegenwärtig ist, nimmt man dankbar
zur Kenntnis.

Meißen Erich Schmidt

Bebis, George S.: Worship in the Orthodox church (GOTB 22,

1977 S. 429-444).

Block, Detlev: In deinen Schutz genommen. Geistliche Lieder.
Güttingen: Ehrenfried Klotz Verlag im Verlag Vanden-
hoeck & Buprecht [1978]. 75 S. 8° = Dienst am Wort, 34.
Kart. DM 9,80.

Fornacon, Siegfried: Heinrich Glarean im evangelischen Kirchengesangbuch
(Zwingl. XIV, 1978/1 S. 526-528).

Gonzalez, Arthur E. John: Further commentary on the Byzantine
imperial prototyp and eastern lilurgical vesture (GOTR 21,
1976 S. 71-84).

Harakas. Stanley S.: The Orthodox priest as leader in the
divine liturgy (GOTB 21, 1976 S. 163-176).

Ilm mm. E. Glenn: The tlieology and experience of worship: a
baptist view (GOTR 22, 1977 S. 417-428).

Jenny. Markus: Die Herkunftsangaben im Kirchengesangbuch.
Ein Stück angewandter Kirchengeschichte am Beispiel des
reformierten Kirchengesangbuches der deutschsprachigen
Schweiz (Zwingl. XIV, 1978/1 S. 493-525).

Venturi, Gianfranco: Problemi della traduzione liturgica nel
cambio di strutture linguistiche e di visione del mondo (Sal. 40,

1978 S. 73-118.

Theologische Literaturzeilung 104. Jahrgang 1979 Nr. 7