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Ausgabe:

1979

Spalte:

506-510

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schelkle, Karl Hermann

Titel/Untertitel:

Theologie des Neuen Testaments 1979

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeilung 104. Jahrgang 1979 Nr. 7

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seilen System vermutlich in ihrer Ahgeschlosäenheit nach außen:
das Gespräch über sie im weiteren Kaum der Fachwissenschaft
ist noch kaum gediehen, und es wird sich noch zeigen müssen,
wie weit ihre teilweise auch sehr eigenwillige Arbeitsweise über
ihre Klientel hinaus breitere Anerkennung erringen wird.

Die vorliegende Bochumer kath.-theol. Dissertation folgt bewußt
den Schritten der Richtersdien Methodologie und stellt
einen Versuch dar, sie auf einen von Richter noch nicht behandelten
Bereich, die Prophctie anzuwenden. Dazu wird der sehr
komplexe Abschnitt Hos 12,1—13,3 ausgewählt. Daß Richter
'eine Methodologie fast ausschließlich anhand von erzählenden
Texten entwickelte, führt diese allerdings bei einem prophetischen
Stoff wiederholt an ihre Grenzen, was der Vf. jeweils
konstatiert (vgl. z.B. 6ff. 6511. 70f. 80. 185f. 203ff - dort auch
zur Weiterentwicklung der Methodik seit Richter durch die
sog. Textlinguistik — 463f. 467). Dennoch ist sein grundsätzliches
Ziel eine möglichst konsequente Durchführung der Rich-
terschen Methode.

Offensichtlich erfordert methodische Konsequenz und die genaue
Einhaltung der exegetischen Schritte, wie Richter sie verengt
, eine enorme Geduld und einen entsprechenden Raum: so
fällt auf den ersten Blick angesichts der verhältnismäßig schmalen
Textbasis (der Vf. bemerkt selbst, daß sie nur ca. 60 Sätze
umfasse, 463) der erhebliche Umfang des Buches auf. Er schreitet
in folgenden Schritten voran: Textkritik (12—68), Literar-
kriiik (69-206), Formkritik (207-446), Gattungskritik (447 bis
■84), Traditionskrilik (465—481), Kompositions- und Redaktionskritik
(482—498), wobei diese Begriffe jeweils nach der
Defini tion von Richter zu verstehen sind. Dies gilt besonders
für die Termini „Formkritik" — Gegenstand der Analyse auf
dieser Stufe ist die Untersuchung der sprachlich-strukturalen
Form der „Kleinen Einheiten" im Text im Hinblick auf die
ßeziehung der Ausdrucksseite zur Inhaltsseite (vgl. 2121T), während
„Gattung" die Bezeichnung ist für eine Formengruppe voneinander
literarisch unabhängiger Texte, die in ihrer Struktur
gleich oder nahe verwandt sind und deshalb von der „Gattungs-
krilik" auf ihren Sitz im Leben hin untersucht werden können
— sowie „Traditionskrilik", die nach Richter eng textbezo-
gen zu verstehen ist: als das Vorkommen bestimmter Formeln
u'id Strukturelenicnle im Text, die als solche vorgegeben, aus
der Tradition übernommen sind. Für die Kompositions- und
Redaktionskritik sind die Hinweise des Vf. auf die Unterschiede
,n der Enlstehungsweisc der alltestamentliehen Texte (484ff)
Nichtig; während etwa der Pentateuch seine Entstehung weitgehend
einer Rcdnklinnstäligkcil verdankt, sind z. B. Psalmen-
°dei manche Prophetentexte das Resultat der bloßen Komposition
oft unverbundener kleiner Einheiten. Zu beachten ist auch,
daß die verschiedenen methodischen Schritte nicht nur einlinig
a«fcinanderfolgen, sondern ihr jeweiliges Ergebnis nur vorläufig
und von den Resultaten der folgenden Schritte her revidierbar
bleibt. Dies betont der Vf. schon zum Ergebnis der
Textkritik (65ff), wo er (in Korrektur des [traditionellen] Verständnisses
von Textkritik bei Richter [und Alonso Schökel]
al*> reine Varianlenkrilik) die Einbeziehung der Tcxtgeschichle
als wichtigen Faktor fordert (vgl. 5) und deshalb mit einer
Rückwirkung der Ergebnisse auch der späteren Untcrsnchungs-
sehritte auf die textkritischen Erkenntnisse rechnet. Entsprechendes
gilt auch für die weiteren Schrille. Grundsätzlich ist die
niclhodische Klarheit selbstverständlich zu begrüßen, auch wenn
sie angesichts größerer Textkomplexe (man denke an einen
Kommentar zu einem ganzen biblischen Buch!) in dieser Breite
kaum durchführbar sein dürfte. Manche methodischen Schritte,
die der Vf. ausklammert (Beispiel: die Unterscheidung zwischen
synchroner und diachroner Sicht des Verhältnisses der Formen
zueinander, für die ein Überblick über mindestens das gesamte
Hoscabuch nötig wäre, 443ff, oder die Gattungskrilik, s. u.), weisen
auf solche Grenzen, welche die Frage stellen lassen, inwieweit
eine perfeklionistische Methodik für die Praxis brauchbar
ist.

Das literarkrilischc Ergebnis für Hos 12,1-13,3 (auch hier
wird zwischen synchroner und diachroner Sicht unterschieden,
wobei die diachrone Stellt nach Richter nur eine relative, keine
absolute Chronologie im Blick hat, vgl. 74. 79), ist gegenüber

den bisherigen, unter sich sehr unterschiedlichen Auffassungen
(vgl. 140—143) wiederum recht eigenständig. Der Text wird in
eine Anzahl von „kleinen Einheiten" aufgeteilt, die auch diachronisch
untereinander abgestuft werden können und dadurch
den Werdegang des Abschnittes bis hin zur jetzigen Texlform
erkennen lassen. „Basiseinheit", also der älteste Textbestandteil,
ist die „Kleine Einheit" Hos 12,3-5. 7. 10*, 13. 14*, die auf
Hosea selbst zurückgeht. Um sie herum lagern sich als „Kleine
Einheiten", die den Kern voraussetzen: 12,1 a und b. 2 c; 12,2
a und b. d und e; 12,8 a—9 e; 12,15 a—c; 13,1 a—3 b, an diese
weitere „Kleine Einheiten", die wiederum die den Kern umgehenden
„Kleinen Einheiten" bereits voraussetzen: 12,1 c. d;
12,6 a. b; 12,11 a. c. (12,12 a-d) (vgl. 193). Ein wesentliches
Merkmal für die literarkritische Scheidung dieser Einheiten sind
(da z. B. die unterschiedlichen Gottesnamen kein klares Bild abgeben
, 97f) die vorkommenden Eigennamen: während die „Basiseinheit
" das Namenspaar Jakob-Israel als Bezeichnung des
Erzvaters verwendet, treten in den jüngeren Einheiten andere
Namenskombinationen zu „Israel" auf (vgl. 120f), die eine gewandelte
Sicht verraten.

Nachdem durch diese und andere Merkmale eine Scheidung
und diachrone Ordnung der „Kleinen Einheiten" erreicht ist,
werden sie in der „Formkritik", dem umfangreichsten Abschnitt
der Arbeit, im Hinblick auf ihre, äußere und innere Struktur
minutiös untersucht. Für die „Basiseinheit" Hos 12,3—5. 7. 10*.
13. 14*2 (271—349) gehören zu diesem Arbeitsgang z. B. eine
genaue Untersuchung der syntaktischen Struktur („Satzebene"),
des Wortgebrauchs („Wortebene"), weiter der „inneren Form":
der für die Einheit charakteristischen Worte und geprägten
Wortverbindungen, der Eigennamen, der Sätze. Daraus ergeben
sich dann Schlußfolgerungen über Funktion und Ziel der Einheit
sowie die verwendeten traditionellen Formeln. Für diese
gilt, daß der Autor (Hosea) sie, aus ihrer Herkunft gelöst, als
Ausdrucksmittel -seiner prophetischen Verkündigung übernommen
hat, über ihren ursprünglichen Sitz im Leben also von dieser
Verwendung her nichts gesagt werden kann (343).

Gegenüber diesen reichhaltigen Überlegungen fällt die Gattungskritik
, wie Vf. selbst sagt, unbefriedigend aus (463). Schuld
daran ist die mit der Methodik Richters gegebene strenge
Selbstbeschränkung auf das den methodischen Schritten konsequent
unterworfene enge Texlmaterial. Im Prinzip wäre hierzu
die vorhergegangene selbständige Erarbeitung der inneren Form
der „Kleinen Einheilen" in einem erheblichen Literaturbereich
notwendig gewesen. So wird man sagen müssen, daß nicht alle
Fragen, die eine übliche Exegese an einen alttestamentlichen
Textabsclinitl zu stellen gewohnt ist, gestellt und beantwortet
werden. Trotz ihrer Langalinigkeit ist die Arbeit als methodologische
Untersuchung wertvoll — auch wenn manche Resultate
(etwa über die hoscanische „Rasiseinheit") erzielt werden, die
man mit anderen Worten auch in einem traditionellen Kommentar
finden würde.

So liegen Verheißung und Aporie in diesem Werk nahe beieinander
. Die Bescheidenheit des Vf. trägt dazu bei, daß beide
Seiten klar zum Ausdruck kommen. Dafür, mehr noch für die
beachtliche Geduld und Akribie, die er investiert hat — Frucht
einer heule leider im akademischen Raum seltener werdenden
Muße — sollte man ihm danken.

Henning Graf Reveutlow Bochum

' W. Richter, Kxegcse als Literaturwissenschaft, Höningen 1971.
1 Im Inhaltsverzeichnis sind die Kapitelnummern versehentlich aus
gefallen.

Neues Testament

Scheikle, Karl Hermann: Theologie des Neuen Testaments.
II: Gott war in Christus. 326 S. III: Ethos. 347 S. IV/1:
Vollendung von Schöpfung und Erlösung. 124 S. IV/2: Jüngergemeinde
und Kirche. 208 S. Düsseldorf: Patmos-Verlag
[1970/73/74/76]. 8°.