Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

503-504

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Das Erste Buch der Könige 1979

Rezensent:

Wagner, Siegfried

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

503

Altes Testament

Würthwein, Ernst: Das Erste Buch der Könige: Kapitel 1—16,
übers, u. erklärt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977.
XV, 204 S. gr. 8° = Das Alte Testament Deutsch. Neues
Göttinger Bibelwerk, 11,1. Kart. DM 18,-; Lw. DM 24,-.
Endlich liegt nun auch in dem renommierten ,Neuen Göttinger
Bibelwerk' ein Teilband zur Kommentierung des Könige-Buches
vor, und dem Marburger Alttestamentier Ernst Würthwein gebührt
Dank und Anerkennung, daß er sich dieser Aufgabe unterzieht
. Steht vor ihm doch noch ein erhebliches Stück Arbeit,
die Kapitel 1 Kön 17 bis 2 Kön 25 sollen in dem zweiten Teilband
(11,2) zur Auslegung gelangen. Möge dieses Vorhaben
bald seinen Fortgang und erfolgreichen Abschluß finden! Im
deutschsprachigen Raum fehlte praktisch seit der Jahrhundertwende
(H. Kittel im Handkommcntar zum Alten Testament,
1900) eine vollständige Exegese des Buches der Könige, die den
wissenschaftlichen Anforderungen genügt. Die Ausarbeitung
des entsprechenden Bandes von Martin Noth im Biblischen
Kommentar (IX/1,1968) mußte leider Fragment bleiben, da der
Tod dem Autor allzu früh die Feder aus der Hand genommen
hatte. Die Zurückhaltung gegenüber einer Exegese des Könige-
Buches hat seine Gründe. Das Material, so hat sich im Laufe
der letzten Jahrzehnte herausgestellt, ist vielschichtig und die
textliche, literarische und historische Problematik kompliziert.
Die Fülle der archäologischen Befunde und die Erweiterung der
Kenntnisse über Israels Umwelt machen die Aufgabe nicht
leichter. Man konnte gespannt sein, wie V. das Problem lösen
würde, zumal er im Blick haben mußte, daß das ,Alte Testament
Deutsch1 sich seiner ursprünglichen Zielsetzung entsprechend
über den Fachgenossen hinaus an ein weiteres interessiertes
Publikum wenden will, das nicht über fachspezifische
Kenntnisse verfügt. Der Fachmann wird sich freuen: es ist ein
wissenschaftlicher Kommentar daraus geworden, der nicht auf
einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat verzichtet, der je
ein Literatur- und Abkürzungsverzeichnis enthält, darunter gesondert
eine Liste von Kommentiorungen zu dem Könige-Buch,
die bislang vorgenommen worden sind, und der darüber hinaus
Aufsätze, Monographien, Texte und Befunde zitiert und nachweist
, die in die Verzeichnisse nicht aufgenommen worden sind.
Es ist deutlich zu verspüren, daß ein breites eingehendes Studium
der einschlägigen Stoffe und ihrer Diskussion in der Literatur
hinter der Ausarbeitung steht, dessen Ergebnisse in eine
erstaunlich geraffte Form gegossen sind. W. kommt zugute, daß
er sich schon verschiedentlich mit Themen befaßt hatte, die das
Könige-Buch betrafen. Es ist sein gutes Recht, wenn er seine
eigenen Gedanken und Auffassungen denen der herkömmlichen
Exegese gegenüberstellt, und es ist nicht der Zwang, unter allen
Umständen etwas Neues, etwas bisher nicht Gesagtes ausführen
zu müssen, der den Autor zur gelegentlichen Frontstellung gegen
L. Rost, M. Noth, G. v. Rad und auch gegen A. Alt leitet
(s. z. B. zu 1 Kön 1+2, zur „Thronnachfolgegeschichte"). In
Einleitungen, Nachworten und Exkursen zu einzelnen Abschnitten
, Kapiteln oder gar Kapitelteilen versucht der Autor,
die übergreifende Thematik bewußt zu machen, die bei den
vielen Quisquilien in der Einzelexegese und in der literarischen
Analyse aus dem Blickfeld zu geraten droht. Auf Grund der
Einsichten in die diffizile literarische Beschaffenheit der Könige-
Buch-Texte muß an vielen Stellen das schöne (und sicher auch
geliebte) Bild der frühen Königszeit und namentlich ihrer bedeutsamsten
Vertreter (David, Salomo und das davidische Königtum
) zerstört oder zumindest korrigiert werden. Ein nicht
unbedeutendes Stück Arbeit mußte in die Destruktion traditioneller
israelitischer Geschichte investiert werden, aus der heraus
der Aufbau des Konstruktiven nicht ganz einfach sein
dürfte. Hier wird der gebildete Bibelleser (und vielleicht nicht
nur er) seine Schwierigkeiten haben. M. Noth ist in seinem
Kommentarfragment in der literarkritischeri Beurteilung des
Textes zurückhaltender gewesen, als es W. offenbar sein kann.
W. läßt typographisch erkennbar werden, was im Text deute-
roriomislisch, nach- oder vordeuteronomistisch ist und weiß

504

durch Einrückungen und eckige Klammern zusätzlich noch innerhalb
dieser drei Schichten Jüngeres von Älterem abzuheben.
Hinter der Exegese steht eine detaillierte analytische Arbeit
am Text, dessen Uberlieferungs- und Redaktionsgeschichte freilich
(noch) nicht überall einleuchtend nachzuzeichnen ist. Daß
hierin auch in der Literatur Einhelligkeit bislang nicht erzielt
weiden konnte, macht die Beschäftigung mit dem Könige-Buch
so schwierig. Immer gilt es, Ursprüngliches in seiner späteren
Verarbeitung, Umprägung, Glossierung und Ergänzung sichtbar
werden zu lassen, wobei immer damit gerechnet werden muß,
daß sehr verschiedene, mitunter sogar gegeneinander gerichtete
Aussageabsichten für die Stellungnahme einer Schichtung des
Textes leitend gewesen sein können. Hierauf scheint die Kommentierung
von W. besonders stark geachtet zu haben. Dabei
möchte es W. beispielsweise gelingen, bestimmte noch erkennbare
Vorstellungen herauszumodelliercn, die ursprünglich im
Nordreich verankert waren und in erhebliche Spannungen zu
Entwicklungen traten, wie sie sich im Südreich im Laufe der
Geschichte offenbar auf Grund der davidischen Königsideologie
durchgesetzt hatten. Altorientalische Kölligsauffassung steht gegen
die althergebrachten Ideale der Entscheidungsfreiheit, die
die Stämme und -gruppierungen in der Königsfrage und damit
in der Frage der Gesellschaftsstruktur im Norden (wie wahrscheinlich
letztlich auch im Süden) gewahrt wissen wollten. Daß
hier längst nicht alles klar ist, darum weiß auch der Kommentator
. Zuweilen steht man tatsächlich erst beim Tatbestand der
literarischen Analyse, ohne daß es jetzt schon gelungen wäre,
Motive und Hintergründe einer mehrfachen Textumprägung
hinreichend einsichtig zu machen. Was aber dun haus jetzt schon
geleistet werden könnte, ist eine stärkere Profilierung der deu-
teronomistischen Art der Textgestaltung und der deuterono-
mistischen theologischen Aussageabsichten, die in dem Könige-
Buch nach Meinung des Exegeten W. auffälliger als in den
übrigen Teilen des deuteronomistischen GeschiehtsWerkes hervortreten
. Der Vf. stellt für den zweiten Teilband eine ausführliche
Einleitung zum Gesamtwerk des Buches der Könige in
Aussicht. Die jetzt vorliegende Einleitung betrifft nur die Zeit
Salomos (Kapp. 1—11). Vielleicht ist es dann auch möglich, der
gesamten Auslegung ein Nachwort (in bewährter Weise) anzufügen
, in welchem theologische Positionen namhaft gemacht
werden können. W. ist der Auffassung, daß solche Positionen
z. B. der Destruktion des Salomo-Bildes entnommen werden
könnten. Bis jetzt bleibt dies allerdings dort nur Postulat
(146—149). Es besteht natürlich auch die Frage, ob es möglich
sein wird, eine Uberlieferungsgeschichte des Könige-Buches
nachzuzeichnen.

Man darf auf den Fortgang des Kommentars gespannt sein.
Für jetzt muß der eingangs ausgesprochene Dank an Ernst
Würthwein für das bisher Geleistete, für die Mühe und den
Mut in der Auslegung des schwer zu interpretierenden Buches
der Könige wiederholt werden.

Leipzig Siegfried Wagner

Dicdrich, Friedrich: Die Anspielung auf die Jakob-Tradition in
Ilosea 12,1—13,3. Ein literaturwissenschaftlicher Beitrag zur
Exegese früher Prophetentexle. Würzburg: Echter Verlag
[1977]. XIV, 548 S. gr. 8° = Forschung zur Bibel, 27. Kart.
DM 48,-.

Die Methodologie von W. Richter' übt vor allem im Raum der
katholischen Kxegese des Alten Testaments z. Z. einen beherrschenden
Einfluß aus, obwohl sie teilweise auch stärker modifiziert
wird. Ihre Vorteile liegen auf der Hand: Berücksichtigung
der modernen Linguistik, also vor allem ein Achten auf die
morphologische Struktur der Sprache und der Texte, dabei aber
Einbeziehung der alleren methodischen Schritte von der Text-
kiitik bis zur Redaktionskrilik, außerdem strenge Regeln für
die sachgemäße Aufeinanderfolge dieser Schritte. Dazu stellt
sie einen Versuch dar, neben der methodologischen Unklarheit
der traditionellen Exegese auch deren terminologischen Wirrwarr
zu beseitigen. Ihr Nachteil liegt wie bei jedem scholasti-

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 7