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Ausgabe:

1979

Spalte:

467-469

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Denkpause im Dialog 1979

Rezensent:

Brück, Michael

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

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sind, z. B. S. 289 in der Frage nach dem Meßopfer mit Berufung
auf Ausführungen J. Ratzingers. Nun ist freilich längst erwiesen,
daß im Streit der Reformation und Gegenreformation teilweise
Positionen aufgebaut wurden, die nicht die ganze Intention des
Gegenübers trafen oder auch ganz auf Mißverständnissen beruhten
Das wäre aber im einzelnen jeweils zu zeigen und auf seine Hintergründe
hin zu untersuchen. (Im genannten Beispiel wäre also
deutlich zu machen, daß die kath. Kirche zur Zeit Luthers und
noch lange Zeit danach tatsächlich die Lehre vom Meßopfer ganz
anders entfaltete, als es heute geschieht, und nicht Luther gegenüber
mit Ratzingers Dogmatik zu argumentieren!) Denn nur so
kann es doch gelingen, das belastende Erbe der Geschichte wirklich
aufzuarbeiten und grundsätzliche Gemeinsamkeiten zu finden,
auf denen verheißungsvoller weitergebaut werden kann, als wenn
man sich bemüht, einander „Fehlmeinungen" nachzuweisen.

Es kann hier nun leider nicht der Ort einer detaillierten Einzel-
besprochung und -kritik sein, so sehr verschiedene Passagen des
Buches dazu auch geradezu herausfordern, um einzelne Ergebnisse
, die solches wohl verdienten, entweder besonders unterstreichen
oder anderes kritisch herausheben zu können. Die Arbeit
ist auf alle Fälle geeignet, dem zwischenkirchlichen Dialog über das
Amt weitere Impulse zu verleihen insofern, als gerade durch die
hier vorliegende kritische Behandlung Positionen geklärt, Schwachstellen
aufgedeckt und auch Möglichkeiten gegenseitiger Näherung
diskutiert werden, teilweise über den bisherigen Stand der Gespräche
hinaus. Und dafür gebührt dem Vf. Anerkennung und
Dank.

Schöneiche b. Berlin Hubert Kirchner

Mildenberger, Michael [Hrsg.]: Denkpause im Dialog. Perspektiven
der Begegnung mit anderen Religionen und Ideologien.
Frankfurt/M.: Lembeck [1978]. 157 S. 8°. Kart. DM 14,80.

Dieser Sammelband enthält Dokumente unterschiedlichen Charakters
. Einem Vorwort über die Bedeutung des Bandes folgen
Beiträge zu der Theologischen Konsultation des ökumenischen
Rates in Chiang Mai/Thailand (1977). Danach sind die offiziellen
Erklärungen und Berichte der Konferenz abgedruckt, die ergänzt
und illustriert werden durch Interviews, die M. Mildenberger mit
Teilnehmern geführt hat. Unter dem Stichwort „Perspektiven"
sehließen sieh Bemerkungen des Sekretärs des „Sekretariats für
die Nicht-Christen" beim Vatikan, Msgr. Pietro Rossano, an, der
als offizieller Teilnehmer die Konferenz begleitet hat. Eine „Würdigung
" durch S. J. Samartha, der Direktor der Unterabteilung
„Dialog mit Menschen verschiedener Religionen und Ideologien"
beim ORK ist, und Reflexionen des Hrsg. über das Dialog-Konzept
für die Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland beschließen
den Band.

Chiang Mai war eine, .Denkpause'' insofern, als nach zehnjährigen
Dialogkonferenzen und -Studien in Gemeinschaft mit Vertretern
anderer Religionen eine Konferenz über den Dialog eingeschaltet
wurde. Sie sollte der innertheologischen Reflexion der beteiligten
Kirchen dienen und besonders die Differenzen abbauen helfen, die
auf der Vollversammlung des ORK in Nairobi (1975) über der
Frage des Dialogs mit anderen Religionen aufgebrochen waren.

M. Mildenberger beschreibt die Intention des Dialog-Programms
prägnant: „Hier, wo die Bedrohung des Humanen immer deutlicher
wird und schließlich die Zukunft der Menschheit auf dem
Spiel steht, sollten die Relig'onen und Ideologien im wörtlichsten
Sinne .konkurrieren', nämlich zusammenkommen, im Bomühen um
eine friedlichere, gerechtere, heilere Welt" (14). Im Dialog solle
jeder sagen, „was er Echtes hat und ob er etwas hat" (R. Otto).
Darüber h'naus sind sich die Verantwortlichen des Programms bewußt
, daß die großartigen kulturellen und spirituellen Traditionen
der anderen Religionen noch längst nicht genug in das Bewußtsein
der Kirchen getreten sind. „Das beginnt mit einem katastrophalen
Defizit an Information und endet bei einer Haltung, die sich auf
ihre Provinzialität sogar noch etwas zugute hält" (Mildenberger
13). Ist Gottes Geist in anderen Religionen am Werk? Wie können
lebendige spirituelle Traditionen theologisch bowertet werden?
Können wir et wa die Meditationswege des Ostens übernehmen, um

unscro ohristliche Praxis zu vortiefen, oder ist das unerlaubter Synkretismus
? Was bedeutet Mission angesichts des Dialogs, der zwar
eine Gelegenheit zu christlichem Zeugnis ist, der aber sein Ziel
nicht unbedingt in der Konversion des Partners sucht (offizielle
Erklärung von Chiang Mai, 72)? Die Erklärung formuliert: „Manche
von uns meinten, daß eine Konversion, wenn sie stattfindet,
hauptsächlich ein neues Verhältnis zu Gott und der Liebe zum
Nächsten bedeutet, und nicht immer den Eintritt in eine der historischen
konfessionellen Kirchen einschließt, wie sie heute existieren
" (72f). Die Christen hätten mit anderen ein „gemeinsames
Erbe" und doch eine „besondere Botschaft" zu teilen (137). Auf
Grund dieser und anderer Fragen war es in Nairobi zum Protest
gegen das Dialogprogramm von drei Gruppen gekommen: den
traditionellen Missionen, evangclikalen Kreisen und reformatorisch
-konfessionellen Kirchen. Sie fürchteten, daß einem undifferenzierten
Synkretismus die Tür geöffnet und das Proprium des
Christentums verloren gehen würde. Chiang Mai hofft, diese Stimmen
nicht nur beruhigt, sondern in das Dialog-Programm selbst
integriert zu haben (man lese dazu das Interview mit dem norwegischen
Bischof Dr. Per Lonning, der in Nairobi die kritischen
Gruppen angeführt hatte, 123 ff). Ob das gelungen ist, bleibt abzuwarten
.

Im einzelnen bieten die Beiträge, Erklärungen und Interviews
viele interessante Anregungen, die verstreut im ganzen Buch zu
finden sind. Nur auf einige Themen kann hier eingegangen werden«

M. Mildenberger nennt vier Markierungen als Basis für die Kontakte
mit anderen Religionen: „Die Erfahrung, daß Religion in der
modernen säkularen Welt keineswegs ihre Bedeutung verloren,
sondern eher ein neues Gewicht bekommen hat; die Nötigung, die
eigene Situation im weltweiten Horizont zu sehen und zu deuten;
das Bewußtsein, daß es bei dieser Begegnung um nicht weniger als
die große Zukunftsfrage der Menschheit geht; und schließlich die
Besinnung darauf, daß das christliehe Zeugnis immer die Spannung
zwischen einem exklusiven Anspruch und dem unbedingten
Willen zur Gemeinschaft in sich trägt" (16).

Lynn de Silva, der Direktor eines christlichen Dialog-Zentrums
in Colombo/Sri Lanka, weist darauf hin, daß der Dialog auf drei
Ebenen gleichzeitig geführt werden muß, wenn er fruchtbar sein
soll, nämlich auf der intellektuellen Ebene, wo theologische Klärungen
angestrebt werdon, auf der Ebene der Erfahrung, wo unsere
spirituellen und geschichtlichen Erfahrungen ausgetauscht
werden und auf der Ebene des sozialen Engagements, wo wir uns
gemeinsam um eine gerechte und stabile Gesellschaft mühen (31).
In der Botschaft Jesu gehe es um Beziehungen und weniger um
Lehrsätze, um menschliche Gemeinschaft und nicht um eine Institution
zur Wahrung von Dogmen. Dies ermögliche den Christen
Offenheit im Dialog, der eine Lebensweise und prinzipielle Art der
Beziehung zu anderen Religionen und Ideologien sei (32).

Heinrich Ott stellt vier theologische Voraussetzungen für den
Dialog auf, die als „Minimalprogramm" zu gelten hätten: die Omnipräsenz
Gottes, d:e auch für den Bereich des Dialogpartners gilt;
das Festhalten am Proprium des Christentums, das wir in den
Dialog einzubringen haben, nämlich das „befreiende Evangelium
von der Erscheinung der Menschenfreundlichkeit Gottes in Jesus
Chiistus"; die Freiheit des Geistes Gottes, der wirkt, wo er will;
die Hoffnung, daß alle Partner im Dialog ihron eigenen Glauben
tiefer und in neuen Dimensionen verstehen lernen (35). Die Unterscheidung
von „dialogischer Offenheit" und „illegitimem Synkretismus
" könne nur im Vollzug des Dialogs erarbeitet und verantwortet
werden (37).

Die offizielle Erklärung von Chiang Mai ist gewiß ein guter Denkansatz
. Sie hat eine wichtige Funktion in der ökumenischen Diskussion
nach Nairobi. Freilich bleiben dio meisten Aussagen viel zu
allgemein, um wirklich eine theologische Orientierung zu bieten.
Man kommt auch hier über Grundsätze, Erwägung von Möglichkeiten
, Warnungen usw. nur selten hinaus. Es wäre an der Zeit, daß
nun im einzelnen detaillierte thoologische Arbeit goloistet würde,
mit deren Hilfe die Spiritualität anderer Roligionen als ein Wirken
Gottes unter den Menschen begriffen werden könnte. In den vom
Hrsg. durchgefühlten Interviews liegen bemerkenswerte Ansätze
in dieser Richtung. Hier wird verbis expressis ein spiritueller Dialog
gefordert, der sich in gemeinsamer Kontemplation mit Buddhisten
, Hindus u. a, ausprägen würde (P. Sudhaker/Indien, 110).