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Ausgabe:

1979

Spalte:

457-459

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kehl, Medard

Titel/Untertitel:

Kirche als Institution 1979

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

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durch diese - nur scheinbar formale - Eigenart hat Luthers Theologie
gew irkt und vermag sie, wenn überhaupt, auch heute zu wirken
" (20).

Auch Luthers Begriff des vorborgenen Gottes reiht sich hier an.
Ein besonderer Abschnitt „Von der Unsichtbarkeit zur Verborgenheit
Gottes" wird zu einer Erinnerung an Jüngels kurz vor dieser
Schrift erschienenes Buch „Gott als Geheimnis der Welt" (vgl.
meine Besprechung in ThLZ 103,1978 Sp. 894ff.). Hatte Jüngel in
diesem Buch wenig Neigung gezeigt, seine These von der vollen
christologischen Legitimität (weil Herkunft) des dunklen Wortes
vom .Tode Gottes' durch Verbindungslinien zur „traditionellen
Redeweise von der Verborgenheit Gottes" (Gott als Geheimnis
der Welt, S. 137, Anm. 210, vgl. S. 268) abzuschwächen, so rückt
ß'er nun doch dieser Begriff in den Mittelpunkt einer Betrachtung
der Theologie des Kreuzes Luthers. Was in beiden Veröffentlichungen
gleichermaßen über Luther (u. E.) hinausgeht, ist Jüngols
Insistieren darauf, daß es sich nicht nur um metaphorische, sondern
um ganz eigentliche Rede handelt, wenn von Gottes „Identität
" mit Jesus Christus gesprochen wird und davon, daß Jesus
Christus für uns zur Sünde gemacht worden sei. (Vielleicht stehen
Wh am Anfang einer Auseinandersetzung über est und significat
m der christologischen Identifikation', wobei letzteres „ontische
Relevanz" an sich nicht ausschlösse, s. S. 47.)

Die genannte Lutherschrift wird ganz von der Unterscheidung
zwischen innerem und äußerem Menschen her gesehen. Was Jüngel
zur Rechtfertigung dieser Unterscheidung und zur Rehabilitierung
des Begriffes der „Innerlichkeit" sagt, wirkt - entgegen heutigen
Anti-Idealismus-Komplexen und dem Vorwurf einer doppelten
Moral - befreiend. Man gewinnt das Empfinden, daß Jüngel, der
zwar seine Themen nicht irgendwie ,orschöpfend behandelt' hat,
doch wirklich etwas vom Allerwichtigsten herausgefunden und - in
■Wffl kurzen Entfaltungen an der genannten Lutherschrift - gedankenreich
erörtert hat.

Berliu Hans-Georg Fritzschu

Systematische Theologie: Dogmatik

Kehl, Medard: Kirche als Institution. Zur theologischen Begründung
des institutionellen Charakters der Kirche in der neueren
deutschsprachigen katholischen Ekklesiologie. Frankfurt/M.:
Knecht 1976. XV, 338 S. 8° = Frankfurter theologische Studien
, 22. Kart. DM 48,-.

Das Thema „Kirche als Institution" ergibt sich aus der praktischen
Institutionenkritik, wie sie in den letzten Janren unsere
Gesellschaft und daher auch unsere Kirchen bewegt hat. Institution
wurde im kirchlichen Sprachgebrauch weithin zu einem Reizwort
, und der Protest dagegen zielte auf Freiheit und geistige
Lebendigkeit. Inzwischen konnte die oft schmerzliche Erfahrung
gemacht werden, daß ein Protest gegen Institutionen noch keineswegs
die Freiheit zur Folge hat und daß das Streben nach Geist oft
genug in Geistlosigkeiten versandet. Während jedoch in der evangelischen
Kirche die Institutionenkritik gewissermaßen institutio-
IMMinicii'l ist, ergeben sich für die römisch-katholische Kirche durch
solche Infragestellungen nicht nur theoretische Probleme, sondern
Prakt ische Konflikte. Walter Kasper beschreibt diesen Unterschied
•n dem Geleitwort zur Arbeit seines Schülers so: „In Sachen
Institution stand dem praktischen Defizit des Protestantismus ein
Theoriedefizit der katholischen Theologie gegenüber." Damit ist
hereits angedeutet, daß diese Untersuchung in dem Grenzgebiet
von Theologie und Soziologie in erster Linie einer Problembewälti-
g'mg innerhalb der römisch-katholischen Kirche gewidmet ist.
Die brennende Aktualit ät scheint sich auch in dem Geschick dieser
■n Tübingen angefertigten, aber in Wien angenommenen Dissertation
niedergeschlagen zu haben.

Die Grundthese des Buches wird aus der Philosophie Hegels genommen
. Aber es ist nicht - wie in der Arbeit von Dietrich Bon-
hoeffer vor nunmehr 40 Jahren - der Satz aus Hegels Religions-
Philosophie von „Gott als Gemeinde existierend", sondern die aus
den „Grundlinien der Philosophie des Rechts" von Hegel auf den
Staat bezogene These von der „konkreten Freiheit". Denn „konkret
wird Freiheit also gerade in ihrer Vermittlung mit der gesellschaftlichen
Objektivität, die sich besonders in den Institutionen
darstellt". Daß die Freiheit in der Institution nicht nur zu Protest
geht, sondern vielmehr konkret wird, ist der rote Faden für die
weiteren Untersuchungen und Überlegungen.

In einem ersten Kapitel wird diese These mit einem Überblick
über die neueren sozialwissenschaftlichen Institutionstheorien
(Gehlen, Schelsky, Luhmann, Habermas) unterbaut. Im zweiten
Kapitel wird sie mit den verschiedenen Auffassungen von Institution
in der neueren römisch-katholischen Theologie konfrontiert;
dabei fällt der Blick auch auf einige Beiträge aus der evangelischen
Theologie. Schließlich werden in einem dritten Kapitel drei neuere
ekklesiologische Entwürfe- H. Küng, K.Rahner, H.U. v. Balthasarauf
ihr jeweiliges Verständnis der Kirche als Institution untersucht.

Für die theologische Vorwendung der sozialwissenschaftlichen
Theorien und Erkenntnisse fordert und entwirft Vf. eine „Vermittelte
Rezeption". Sie soll eine „verstandene", eine „begründete
" und nicht zuletzt eine „kirchliche Rezeption" sein. Vf.
schließt sich dabei in manchem der Theoriodiskussion evangelischer
Theologen, u. a. G. Sauter, an. Als Beispiel für eine unvermittelte
Rezeption kritisiert er den Ansatz von G. Hasenhüttl,
Herrschaftsfreie Kirche (Düsseldorf 1974). Es heißt: „Immer daim,
wenn die Theologie aus einem anderen Wissenssystem Aussagen
übernimmt, muß sie sich vergewissern, ob die übernommenen Aussagen
auch in ihrem eigenen sozialen Bezugssystem (Kirche)
.übertragbar', annehmbar, kommunikabel sind. Das kirchliche
Kommunikationsmedium , Glaube' muß die Übernahme regulieren,
will die Theologie nicht freischwobend über ihrer gesellschaftlichen
Basis das Gespräch mit der Soziologie führen, in welchem sich
dann die Frage einer verantwortbaren Rezeption bald erübrigt
bzw. sich auf die größere oder kleinere Fähigkeit von Theologen
zur Synthetisierbarkeit beschränkt."

Die Untersuchungen zum innerkatholischen Verständnis der
Kirche als Institution kreisen zunächst um die apologetisch bestimmte
Ekklesiologie der Gegenreformation und die von ihr herausgestellten
vier „instituta" der Schuklogmatik. nämlich: die Einsetzung
des Kreises der zwölf Jünger, die Einsetzung des ,primatus
Petri' und damit des ,regimen monarchicum', die Einsetzung der
Lehr-, Weihe- und Leitungsgewalt sowie des eucharistischen
Kultus durch den irdischen Jesus. Während von manchen aus
historischen und theologischen Gründen dieser Ursprung kirchlicher
Institution bestritten wird, stellt Vf. zahlreiche Deutungen
zusammen, die sich um eine Neufassung des Stiftungsgedankens
bemühen und um eine theologische Erweiterung z. B. unter dem
Verständnis der Kirche als Leib Christi, als Organismus, in der
Verbindung von Leib und Seele. Dabei kommt es einerseits darauf
an, die Gefahr einer Gleichsetzung Christi mit den kirchlichen
Institutionen zu Vermeiden und andererseits auch das Charismatische
mit dem Institutionellen zu verbinden. Für diesen Weg aus
der apologetisch-juridischen Verengung in die biblisch-pneumatische
Weite der Ekklesiologie gibt es in der neueren Theologie viele
Beispiele und manche Berührungspunkte auch mit der evangelischen
Theologie.

An den ausgewählten Beispielen einer ekklesiologischen Gesamtschau
versucht Vf. in einer gewissen Formalisierung drei Möglichkeiten
für die theologische Bestimmung der Kirche als Institution
vorzuführen. Bei Küng sieht er einen „Primat des .Spirituellen'
bei gleichzeitiger Abwertung des .Institutionellen'", wobei die
Institution „nichts anderes als die allem menschlichen Tun vorausliegende
, gnadenhafte Setzung der Kirche durch das geschichtlich
einmalige und je aktuelle Hoilshandeln Gottes in Jesus Christus
und seinem Heiligen Geist" ist.

Bei Rahner stimmt Vf. dem sakramentalen Verständnis der
Institution zu, soweit es aus der „Selbstmitteilung Gottes" in der
Menschheit Christi (dem Ursakramont) abgeleitet wird. Bedenken
erhebt er gegen den anthropologischen Ansatz in der Dialektik von
Manipulation und Freiheit, weil hier nicht von der Intersubjektivi-
tät ausgegangen wird, sondern noch das Denkschema von geistigem
Subjekt und materiellem Objekt vorzuherrschen scheint, das
mit der Unterscheidung von „transzendental" und „kategorial"
bei Rahner zusammenhängt.

Größte Zustimmung findet von Balthasars Elddesiologie, die
freilieh als „glaubende Kontemplation" der Kirche sowohl gegen-