Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1979

Spalte:

446-448

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Labadie - Lyonnet 1979

Rezensent:

Völker, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

445

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

446

Kirchengeschichte: Neuzeit

Leube, Hans: Orthodoxie und Pietismus. Gesammelte Schriften.
Mit einem Geleitwort von M. Schmidt und einer Bibliographie.
Hrsg. v. D. Blaufuß. Bielefeld: Luther-Verlag 1975. 293 S., gr.
8 = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 13. Lw. DM 70,-.

Hans Leube (13. 8. 1896-10. 5. 1947) hat durch eine Reihe
beachtlicher Veröffentlichungen das Verständnis der Kirchengeschichte
des 17. und 18. Jh. entscheidend gefördert. Seine
grundlegenden Arbeiten über „die Reformideen in der deutschen
lutherischen Kirche zur Zeit der Orthodoxie" (1924) und über
,.Kalvinismus und Luthertum" (1928) gehören noch heute zu den
unumgänglichen Standardwerken. So wird man es dankbar begrüßen
, daß Dietrich Blaufuß in dem vorliegenden Sammelband
e'ne Anzahl wichtiger Aufsätze Leubcs vereinigt und neu herausgegeben
hat, dio als wertvolle Ergänzung zu Leubes größeren
Werken angesehen werden können. Einen besonderen Gewinn
bedeutet dabei zweifelsohne die Erstveröffentlichung von Leubes
1921 geschriebener Abhandlung über „die Geschichte der pietistischen
Bewegung in Leipzig", die nicht nur auf Grund eingehender
Quellenstudien die Vorgänge um Franckes Lehrtätigkeit in Leipzig
darstellt, sondern auch den gemeinsamen Kampf von Christian
Thomasius und Prancko gegen die orthodoxe Verbindung von
Theologie und Philosophie schildert, außerdem aber auch auf die
separatistischen Bestrebungen von Christoph Tostieben und Hoch-
mann von Hohenau näher eingeht.

Mit seinen bahnbrechenden Untersuchungen erwarb sich Leube
das Verdienst, dio Kirchcngeschiehte des 17. Jh. von einseitigen
Verzeichnungen befreit und die weitverbreitete Redewendung
von der „toten Orthodoxie" als unsachliches und ungerechtes
Schlagwort entlarvt zu haben. MitRecht hat er demgegenüber auf
den geistigen Univcrsalisinus der lutherischen Orthodoxie hingewiesen
, der nicht nur die theologischen Auseinandersetzungen
beherrschte, sondern auch die Kraft zu frömmigkeitsgeschichtlichen
Erneuerungen in sich trog. So ist es richtig, daß den unermüdlichen
Bemühungen orthodoxer Prediger und Kirchenlieddichter
der innere Wiederaufbau in Deutschland nach dem
dreißigjährigen Kriege zu verdanken ist. Ebenso wird man Leube
zustimmen dürfen, daß die Orthodoxie es war, die in der deutschen
Bevölkerung bis in die Zeit der Aufklärung das religiöse Interesse
wach gehalten hat. Und daß die weithin übliche Gleichsetzung
der lutherischen Orthodoxie mit der mittelalterlichen Scholastik
leicht zu einer bedenklichen Vereinfachung führen kann, beweist
nicht nur der ständige Kampf der lutherischen Theologen gegen
die scholastische Theologie, sondern auch der praktische, auf Seelsorge
ausgerichtete Theologiebegriff der lutherischen Theologen
des 17. Jh.

Zu einer solchen neuen Würdigung der lutherischen Orthodoxie
konnte Leube nur gelangen, weil er die Vielschichtigkeit der religiösen
Denkansätze im 17. Jh. erkannte und deswegen frömmig-
keitsgeschichtliehe Fragestellungen in die kirchengeschichtlichc
Untersuchimg einbezog. Dio Auswertung von Reisebcschroibun-
gen ergibt recht günstige Urteile über die religiösen Zustände in
Deutschland im Zeitalter der Orthodoxie. In dieser Zeit erreicht
nicht nur das evangelische Kirchenlied, sondern auch das lutherische
Erbauungsschrifttum seine klassischo Höhe. Gebetbuch
und Gesangbuch werden jetzt zu Zeugnissen, „aus denen die Lebendigkeit
des lutherischen Christentums in allen Schichtender
Bevölkerung spricht". Die tiefe Gebetsfrömmigkeit der orthodoxen
Theologen läßt ihre religiöse Innerlichkeit und ihren sittlichen
Ernst erkennen.

Der Blick für tiefere Zusammenhängo zeichnet auch Leubes
Untersuchungen kirchengeschichtlichcr Spezialprobleme aus. In
seinem Aufsatz über „die Bekämpfung des Atheismus in der
deutschen lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts" (1924) zeigt
er beispielsweise, wie sehr sich orthodoxe Theologen mit dem
frühaufklärerischen Atheismus ernsthaft beschäftigt haben, zumal
dieser ja im Widerspruch zu der lutherischen Lehre von der „angeborenen
Gotteserkonnfnis" stand. Eine besondere Erwähnimg verdient
aber auch Leubes späte Arbeit von 1943 über „Ideen und
Taten im deutschen Protestantismus nach dem dreißigjährigen

Kriege", in der dio Bemühungen der Orthodoxie um die Lebensbereiche
von Staat und Familie geschildert werden.

Schließlich hat Leube gezeigt, daß frömmigkeitsgeschichtlich
gesehen das Verhältnis zwischen Pietismus und Orthodoxie erheblich
vielschichtiger war, als es die übliche schematische Entgegensetzung
der beiden kirchengesclüchtlichcn Begriffe vermuten läßt.
Das pietistische Ideal der religiös-sittlichen Gemeinschaft ist letztlich
Ausdruck einer Individualisierung und Ethisierung der
Religion, durch die der orthodoxe Gedanke von der immer gleichen
Wahrheit zur Fiktion wird. Die von den Pietisten erstrebte Sonderexistenz
der Frommen vermag freilich nicht die Züge der KJein-
bürgerlichkeit und Enge abzustreifen. Deshalb gehört es zu den
Aufgaben des Kirchenhistorikers, mit Leube nach den „Sozialideen
des kirchlichen Pietismus" (1928) zu fragen. Als „gesellschafts-
bildendo Elemente" wertet Leube dio aktivistische Arbeitsethik
und das freilich recht bürgerliche Mäßigkeitsideal des Pietismus.
Doch läßt sich dieser trotz der gepriesenen Tugend der Sparsamkeit
keineswegs als kapitalistisch bezeichnen, da seinem Wirtschaftsbegriff
nicht das „weltliche" Prinzip von Angebot und
Nachfrage, sondern die ethische Forderung der Angemessenheit
zugrunde liegt.

Der Band wird durch ein Geleitwort eingeleitet, in dem Martin
Schmidt Werdegang und Lebenswerk Hans Leubes theologisch
würdigt. Dietrich Blaufuß hat sich nicht nur in seinen Vorbemerkungen
über seine editorischen Grundlinien geäußert, sondern
auch dio Bibliographie der Veröffentlichungen Leubes erarbeitet
und zwei Register beigesteuert.

Zur Berichtigung: Das auf S. 72 unten erwähnte Lied „Die Zeit
ist nunmehr nah" stammt nicht von Johann Gerhard, sondern von
Paul Gerhardt.

Marburg (Lahn) Winfried Zellcr

Artz, Johannes: Newmans Kardinalat. Aufschlüsse aus Hintergründen
und Begleitumständen (ThPh 53, 1978 S. 220-247).

Blumhardt, Johann Christoph: Die Krankheitsgeschichte der
Gottliebin Dittus, hrsg. u. eingeleitet v. G. Schäfer. Mit einer
Interpretation der Krankenheilung V. T. Bovet. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1978]. X, 78 S. 8°. Kart. DM 7,80.

Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, hrsg.
von der Kirchonkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland
. Mit einer Einführung v. L. Raiser. I, 1 u. 2: Frieden, Versöhnung
und Menschenrechte. 247 S. u. 222 S. Kart. DM je
12,80. II: Soziale Ordnung. Mit einer Einführung v. E. Müller.
201 S. Kart. DM16,80. Gütersloh: Gerd Mohn [1978]. 8° =
Gütersloher TB 413-15.

Schatz, Klaus: Totalrevision der Geschichte des I. Vatikanums?
Zur Auseinandersetzung mit den Thesen von August B. Hasler
(ThPh 53, 1978 S. 248-276).

Tsoulkanake, Naukratios: 'O Metropolites Artes Neofutos Mau-
rommates kai 'ai shoseis tou pros to kata Patmon Front isterion
Makariou tou Kalogora (Kl. 9, 1977 S. 88-132).

Vaporis, Nomikos Michael: The first Didache of Kosmas Aitolos
(GOTR21, 1976 S. 177-197).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Dictionnaire de Spiritualite, ascetique et mystique, dootrime et
histoire, fonde par M. Viller, F. Cavallero, J. de Guibert, S. J.,
continu6 par A. Rayoz, A. Derville et A. Solignac, S. J., avec le
concours d'un grand nombre de collaborateurs. Tome IX: Laba-
die - Lyonnet. Paris: Beauchesne 1975/76. 1292 Sp. 4°.

Die Arbeiten am Dictionnaire de Spiritualito schreiten rüstig
Voran. Innerhalb Von zwei Jahren (1975-76) erschienen drei umfangreiche
Lieferungen, die don Band IX bilden und die Artikel
mit dem Anfangsbuchstaben L enthalten. Unter den großen lenkt
der über „Luthor" bei den Lesern dieser Zeitschrift nat urgemäß
die Aufmerksamkeit im besonderen Maße auf sich (Sp. 1206-43).
Er ist von einem Jesuiten verfaßt (Jared Wieks von der Univer-