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Ausgabe:

1979

Spalte:

440-441

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barrett, Charles K.

Titel/Untertitel:

A commentary on the second Epistle to the Corinthians 1979

Rezensent:

Dinkler, Erich

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Theologische Literat urzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

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Judentum darstellt. Zweitens kann diese Betonung Jerusalems
einem politischen Zweck dienen. So lange die junge Kirche von den
römischen Behörden mit dem Judentum in Verbindung gesetzt
wurde, stand sie unter dem Schutz einer religio licita. Lukas selbst
aber ist sachlich von den Ideen vom Land losgelöst. Nach ihm dürfen
die Hoffnungen auf das Land das Evangelium nicht binden.

Im Johannesevangelium findet Davies ein bewußtes Streben zu
zeigen, daß Jesus in seiner Person alle heiligen Plätze ersetzt
(Ceresim, Jerusalem, Bethesda, Siloa). Das bedeutet keineswegs,
daß geographische Auskünfte für den vierten Evangelisten belanglos
sind.

In seinem Evangelium sind fragmentarisch geographische Data
erhalten, die von größtem Interesse sind. Der Jesus des vierten
Evangeliums ist kein körperloser Geist. Es ist ein Mensch von
Fleisch und Blut. Er ist wie andere Menschen geographisch bestimmbar
. Die grundlegende räumliche Symbolik im Johannesevangelium
ist jedoch nicht horizontal sondern vertikal. Das
Hauptgewicht liegt auf der Begegnung des Menschen mit Ihm, der
von Oben (äva>&ty) kommt. Es ist einleuchtend, daß eine solche
Auffassung für das Entstehen einer „geographischen" Theologie
nicht günstig ist. Davies behauptet sogar, daß Johannes in dieser
Hinsicht weiter gegangen sei als Paulus. Im vierten Evangelium findet
man nicht einmal eine emotionelle Bindung an Jerusalem (334).

Davies' Untersuchung dieser zentralen neutestamentlichen
Schriftgruppen hat es ersichtlich gemacht, daß in der Urkirche
eine Loslösung von dem Land stattgefunden hat. Die Frage erhebt
sich dann, ob diese Entwicklung in Übereinstimmung mit den
Intentionen Jesu war.

Davies ist sich selbstverständlich der Schw ierigkeiten bewußt,
die eine Beantwortung dieser Frage enthält. Er macht trotzdem
einen Versuch, die Hauptzüge der Haltung Jesu aufzuzeichnen.
In Auseinandersetzung mit G. Bornkamm und G. B. Caird - die
voneinander stark abweichende Standpunkte in beziig auf die
„nationale" Haltung Jesu vertreten - unterstreicht Davies, daß
das Handeln Jesu auf „die verlorenen Schafe dem Hause Israel"
gerichtet war. Sein Interesse galt dem eigenen Volk, freilich nicht
als nationale Einheit, sondern in seiner Eigenschaft als das Volk
Gottes. Die Absicht Jesu war, eine universelle Gemeinde zu
schaffen, die dieses Namens würdig war. In gewisser Hinsieht
waren die Versuche Hillcls und anderer Schriftgelehrter, eine
Thora-treue Gemeinde zu schaffen, mit dem Unternehmen Jesu
vergleichbar. Es mangelte ilmen aber die eschatologisehe Dimension
. Sie waren in ihrem Denken prinzipiell an das Gesetz und
damit an das Land gebunden. Vieles spricht dafür, daß Jesus sieh
an das Land Israel gebunden fühlte. Seine Konzentration auf eine
universale, liebende Gemeinde aber deutet an, daß das Land in
seinem Denken keine entscheidende Stellung einnahm (trotz
Lk 13,6-9; Mt 25,14-30; 5,5; 19,28; vgl. Lk 22,30). Die christlichen
Tradenten und Verfasser sind somit prinzipiell der Absicht
Jesu treu geblieben.

Zusammenfassend stellt Davies fest, daß das noutestamentliche
Zeugnis in bezug auf das Land von einer gewissen Doppelheit
geprägt ist. Es transzendiert das Land, Jerusalem, den Tempel.
Seine Geschichte und Theologie fordern aber zugleich ein Achtgeben
auf eben diese Realitäten. Das kann paradox erscheinen . Es
gibt aber ein vermittelndes Prinzip. Die neutestamentlichen Verfasser
finden heiligen Raum (holy space), wo Jesus ist oder war.
Das Neue Testament personalisiert somit heiligen Raum „in
Christus". Nimmt man diese Christozentrizität bei den urchristlichen
Theologen wahr, hat man den Schlüssel zum Verständnis
ihrer scheinbar entgegengesetzten Haltung gefunden: ihre Freiheit
im Verhältnis zu Fragen geographisch-räumlicher Art und ihre
Vorliebe für Realia.

Davies' Buch ist - wie andere Arbeiten von diesem Vf. - von
großer Gelehrsamkeit durchdrungen. Die Darstellung ist umfassend
und inatrrialreich. Sie enthält oft die Form einer Auseinandersetzung
mit anderen Forschern, einer Diskussion, die durchgehend
von der Sachlichkeit des Vf. geprägt ist. Diese Nüchternheit
ist besonders wertvoll bei der Behandlung dieses Themas, das
ja mit religiösem und politischem Sprengstoff geladen ist. Wie
aktuell das Buch von Davies in religiösem und politischem Sinne
aufgefaßt werden kann, läßt sich z. B. aus der Besprechung
Prof. D. Flussers in "The Jerusalem Post" (18. 3.1975) entnehmen.

Exegetisch bedeutsam ist die Arbeit von Prof. Davies in vieler
Hinsicht, vor allem aber darin, daß er klar aufzeigt, daß wir bei
Jesus und in der Urkirche eine „Entlandisierung" der traditionellen
Hoffnung finden. Zwar kann es einem Leser als Paradox
erscheinen, daß eben Davies zu diesem Ergebnis kommt, nachdem
er sich anfänglich so kritisch über das mangelnde Interesse der
Forscher für das Land geäußert hat. Seine Untersuchung hat ihm
aber gezeigt, daß die Frage nach dem Land auch nicht bei den
urchristlichen Theologen im Vordergrund gestanden hat. Dieser
Umstand darf jedoch nicht als fehlendes Interesse seitens der
Urkirche an Realia überhaupt ausgelegt werden. Das geht aus der
Darstellung Davies' eindeutig hervor.

Oslo Edvin La rsson

Barrett, C. K.: A Commentary on the Second Epi.stle to the Corin«
thian». London: Black [1973]. XV, 354 S. 8° = Black's New
Testament Commentaries. £2.75;Lw. £4.25.

Der zu den führenden Neutestamentlern englischer Sprache
zählende Vf. (in Durham), der sich bereits durch Kommentare
zum Römer- und zum 1. Korintherbrief hervorgetan hat, legt hier
seine Ubersetzung und Auslegung des 2. Briefes an die Korinther
vor. Von allen mir bekannten internationalen Kommentaren zu
Paulusbriefen, ist es wohl der bei kritischer Grundhaltung ausgewogenste
Paulus-Kommentar, der philologisch und theologisch
eine Mittellinie zwischen dem Meyer'schen kritisch-exegetischen
Kommentar(H. Windisoh 1924; R. Bultmann 1976), dem Handkommentar
zum Neuen Testament (H. Lietzmann - W. G. Kümmel
61969) und dem Commentaire du Nouveau Testament (J.
Höring 1958) einhält. Gewiß bringt der Vf. weniger religionsge-
schichtliche Materialien als etwa H. Lietzmann - W. G. Kümmel
oder R. Bultmann, aber auch wieder mehr wissenschaftliche
Fundierung als etwa H. D. Wendland im NTD.
In einer 50 Seiten umfassenden Einführung behandelt B. zunächst
die Frage: Was ist die neue Situation in Korinth, wie sie sich im
2. im Unterschied zum 1. Korintherbrief spiegelt? Dabei wird die
Position des Exegeten des 1. Korintherbriefes vorausgesetzt, daß
nämlich dieser eine literarische Einheit darstellt und keinen Grund
für Teilungshypothesen bietet. Er wurde nach B. 53 oder wahrscheinlicher
54 n. Chr. geschrieben. Was nun die Ereignisse unmittelbar
nach Abfassung von 1 Kor angeht, so wird man dem Vf.
nur zustimmen können, wenn er schreibt (6): "No one who has
tnade a scrious attempt to study the Corinthian Situation ia likely
to feel convinced that he has a monopoly of truth". Das gilt zwar
für geistesgeschichtliche Urteile allgemein, daß Aussagen nicht
mit absoluter Evidenz gemacht werden können, ist aber in besonderem
Maße zutreffend für die einerseits historisch in den beiden
langen Briefen durch Paulus einsichtig gewordene, andererseits
aber für den Historiker nicht voll durchsichtig gegebene Situation
der Gemeinde zu Korinth. Die spärlichen Notizen des Paulus
genügen auch keinesfalls, die soziale Schichtung in Korinth zu
rekonstruieren. In dieser Beurteilung der Texte hinsichtlich dessen,
was sie herzugeben vermögen, bzw. was sie nicht sich abpressen
lassen, sind wir mit dem Vf. völlig einig (gegen Theißen).

Was die literarkritische Frage angeht, so versucht B. zwar, so
weit wie möglich auch im 2 Kor die Einheit aufrecht zu erhalten,
kapituliert aber dann - wir meinen mit Recht - angesichts des
scharfen Gedankon- und Stilbruches, der nach 2 Kor 9,15 vorliegt
und der seit A. Hausraths 1870 geschriebener Arbeit ,Der Vicr-
Capitelbrief des Paulus an die Korinther' dazu geführt hat, die
folgenden Kapitel 10-13, als geschlossenen Brief zu beurteilen
(leider erwähnt B. nicht diesen, ja auch für J. Weiß, H. Windisch,
R. Bultmann, wie auch E. Käsemann grundlegenden Beitrag). B.
sieht also Kap. 10-13 als eine selbständige Briefeinheit an, die er
zeitlich der Abfassung von Kap. 1-9 nachordnet. Der eigentliche
.Tränenbrief', auch Zwischenbrief genannt (vgl. 2 Kor 2,3f.), ist
nach B. Verloren - w as auch angesichts der referierten Teilungshypothese
nicht anders zu erschließen ist. Die beiden Kollektenkapitel
8 und 9, die m. E. ursprünglich nicht in einem Brief zusammengestanden
haben können, werden vom Vf. beim ersten
Hauptteil belassen (vgl. 218 u. 252). Das führt natürlich zu etlichen
sachlichen Schwierigkeiten.