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Ausgabe:

1979

Spalte:

437-440

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davies, William David

Titel/Untertitel:

The gospel and the land 1979

Rezensent:

Larsson, Edvin

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437

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. C

438

Neues Testament

Davies, W.D.,: The Gospel and the Land. Early Christianity and
Jewish Territorial Doctrine. Berkoley - Los Angeles - London:
Uruversity oi California Press [1974]. XVII, 521 S. gr. 8". Lw.
£8.50.

Das Verhältnis zwischen dem theologischen Denken des Urchristentums
und den traditionellen jüdischen Hoffnungen auf das
Land, das Land Israels (s. z. B. Gen 15,1-6.17; vgl. 12,1-3) ist
Gegenstand einer eingehenden Untersuchung in dieser Arbeit des
bekannten amerikanischen Neutestamentiers W. D. Davies. Die
Untersuchung ist streng historisch angelegt. Aber sowohl ihr
■Material als auch ihre Fragestellung sind von einor Art, daß diese
Arbeit kaum vermeiden kann, gewisso politische Reaktionen
hervorzurufen.

Ls handelt sich somit um eine historische Darstellung. Der Vf.
stellt zunächst fest, daß christliche Exegeten das Judentum allzu
oft als eine Ansammlung von Ideen oder Glaubenssätzen aufgefaßt
haben, die man dann mit den Dogmen der eigenen Theologie
yergleich.cn konnte. Diese Betrachtungsweise - die übrigens auch
Jüdische Forscher beeinflußt hat - hat dazu geführt, daß die Forschung
im großen Ausmaß die Realia nicht in Betracht gezogen hat,
•Lhe Ideen waren das Entscheidende. Ideen aber müssen ja für allo
Menschen gültig sein, an allen Orten und zu allen Zeiten. Der
~~artikularismus 'n seinen verschiedenen Ausdrucksformen wurde
folglieh von der Forschung nicht beachtet. Im besten Falle wurde
ihm eine sekundäre Bedeutung zugeschrieben.

Davies zufolge hat diese Haltung von Seiten der Forscher verursacht
, daß die Frage nach der urchristlichen Auffassung der
ludischen Hoffnung auf das Land übersehen worden ist. Hierbei
Rändelt es sich keineswegs um ein geringes Übersehen, denn die
"Öffnung auf das Land nimmt in den jüdischen Erwartungen eine
"ehr zentrale Stellung ein; so zentral, daß sie zuweilen sogar als
das Dogma des Judentums bezeichnet wurde. Davies geht davon
au8, daß das Urchristentum in irgendeiner Weise zu diesem jüdischen
Glaubenssatz Stellung genommen hat. Leben, Tod und Auferstehung
Jesu bedeuteten für das Urchristentum den Anfang der
Endzeit. Vom christlichen Gesichtspunkt her war somit die jüdische
Hoffnung antizipierend in Erfüllung gegangen. Wie hat man
dann die bleibenden Hoffnungen der jüdischen Zeitgenossen auf
das Land Israel aufgefaßt? Diese Frage bildet das Thema der tiefgehenden
Untersuchung Von Davies.

In einem umfassenden ersten Teil (158 S.) gibt der Vf. einen
Überblick über die Vorstellungen von dem Land in der alttesta-
•Uentlichen Religion und im Spätjudentum. Es zeigt sich, daß
dieser Glaube an das Land als das Eigentum des Volkes Israel in
der ganzen alttestamentlichen und jüdischen Tradition, im AT, in
den Apokryphen und Pseudepigraphen, in der Qumranliteratur,
In rabbinischen und hellenistisch-jüdischen Quellen, zu finden ist.
Es handelt sich dabei nicht um ein einheitliches Denken. In den
betreffenden Quellen kann man schwerlich einen klar definierten
und normativen Glaubenssatz über das Land entdecken. Stattdessen
tritt eine bunte Vielfalt von Ideen und Erwartungen hervor,
die ziemlich unvermittelt nebeneinander liegen und wahrschein-
nch nicht systemat isierbar sind. Etliche Gruppen haben an die Hoffnung
auf eine Besitznahme des Landes in territorialem, politischem
Sinne festgehalten. In anderen Kreisen und zu gewissen Zeiten
wurde der Verheißung um das Land nicht dieser nat ionale Inhalt
gegeben. Sie wurde eschatologisiert. Sie konnte auch spiritualisiort
werden. Das Gesetz und der Tempel konnten bisweilen eine so
zentrale Stellung einnehmen, daß sie das Motiv von dem Land zu
verdrängen schienen. Das war jedoch nur scheinbar, denn das
besetz und der Tempel stehen in solchen Fällen nur als Symbole
für das Land. Wie verschieden die Verheißung um das Land auch
ausgelegt wurde, ist sie jedoch Jahrhunderte hindurch ein vitales
Motiv im Leben des jüdischen Volkes geblieben, eine Tatsache, die
■Davies mit Beispielen aus dem heutigen Judentum erläutert (158).
Das vielverzweigtc Denken über das Land im AT und im Judentum
wird von Davies als eine Art Mystik bezeichnet. Und im
zweiten Teil seines Buches unternimmt er den Versuch, das Verhältnis
zwischen dieser „jüdischen Mystik" und dem Denken des
frühen Christentums darzulegen.

In den paulinischen Briefen gibt es keine ausdrückliehen Hinweise
auf das Land und seino Bedeutung, auch nicht in Rom 9,4,
wo Paulus doch eine Reihe von jüdischen Privilegien aufzählt.
Davies untersucht dio Abraham-Tradition bei P<uilus, seine
Missionstheologio, seine Aussagen über den Tempel und Jerusalem.
Das Ergebnis zeigt, daß der Apostel dem Lande kein Gewicht zuschreibt
, trotzdem er Israel heilsgeschichtlich einen Vorrang zuerkennt
. Dio Entwicklung des Apostels - die übrigens in Übereinstimmung
mit dor Dynamik des Evangeliums steht - hat ihn dazu
geführt, sein Interesse um das Erbe „in Christus" zu konzentrieren.
Schon in jüdischen Kreisen wurde das Gesetz zuweilen als ein portatives
Land aufgefaßt. Auf diese Weise konnte das Land auch in
dio Diaspora mitgebracht werden. Thora-Frömmigkeit wurde mit
Liebe zum Land gleichgesetzt. Im Denken des Paulus hat aber der
erhöhte Christus (der auch der Geist ist) die Stellung des Gesetzes
übernommen. „In Christus" ist Paulus frei vom Gesetz. Diese
Freiheit bedeutet nicht nur, daß er von der Thora befreit ist. Er
ist „in Christus" auch vom Land losgelöst. Das Lnnd hat für ihn
keine sachliche Bedeutung mehr.

Das Land bei Markus und Matthäus ist das Thema des nächsten
Kapitels. Davies' Darstellung wächst zu einer Auseinandersetzung
mit der These aus, die von E. Lohmeycr und R. H. Lightfoot
aufgestellt, von W. Marxsen weitergeführt und von N. Wieder
unterbaut worden ist. Nach Meinung dieser Forscher findet man
bei den beiden Evangelisten eine deutliche Verbindung zwischen
geographischen und dogmatischen Elementen. Sie stellen Galiläa
als das Land dor Offenbarung und des Heiles dar. Jerusalem
dagegen wird als Ort dnr Verwerfung bezeichnet. Die Untersuchung
Wieders, The Judean Scrolls and Karaism (1962), ist liier
von größter Bedeutung. Er macht den Versuch aufzuzeigen, daß
es innerhalb des Judentums Vorstellungen gab, denen zufolge
Galiläa das Land dor künftigen Erlösung sei, eine Deutung, dio
die Auffassung von Lohmeyer, Lightfoot und Marxsen unterstützen
könnte. Davies setzt sieh gründlieh mit der Arbeit Wieders
auseinander, während er die Diskussion über die „galiläische"
These im übrigen G. Stemberger überläßt. (Appendix IV: Galilee -
Land of Salvation?, 409-438). Das Ergebnis dieser kritischen
Prüfungen ist, daß die Hypothese Von der Rolle Galiläas für die
synoptische Theologie von Davies und Stemberger verworfen
wird. Theologische Motive haben die Evangelisten nicht dazu
geführt, die Rolle Galiläas zu betonen. Die Überlieferungen Vom
Auftreten und Wirken Jesu in Galiläa und die Tatsache, daß die
Mehrheit der Tradenten Galiläer waren, erklären völlig ausreichend
, warum diese Landschaft eine so zentrale Stellung in den
beiden ersten Evangelien einnimmt.

In seinor Untersuchung der lukanischen Schriften widmet Davies
natürlicherweise der Konzeption Conzelmanns große Aufmerksamkeit
. Conzelmann macht bekanntlich geltend, daß Lukas
durch seino Hervorhebung der geographischen Elemente zeigen
will, daß das Land durch die Aktivität Jesu eine wichtige theologische
Bedeutung erhält. Lukas faßt die Zeit der Wirksamkeit
Jesu in Galiläa und seiner Wanderung nach Jerusalem als eine
ideale Periode auf, eine Epoche mit einer heilsgeschichtlichen
Qualität, die ihr eine einzigartige Stellung schenkt. Nach Conzelmann
liegt die Bedeutung Jerusalems für Lukas darin, daß es der
Ort ist, wo Jesus leiden und sterben mußte und wo die Auferstehung
geschehen ist. Dies alles zeigt, daß wir schon im lukanischen
Schrifttum den Prozeß wnhrnohmen können, der im Christentum
zur Konzoption vom Heiligen Land führt.

Davies nimmt gowisse kritische Punkte in der Auffassung
Conzelmanns wahr. Die unzureichenden Kenntnisse des Lukas von
der Geographie Palästinas stehen im Gegensatz zu dein Gedanken,
daß er eine „geographische" Theologie vertreten sollte. Seine freie
Verwendung der Quellen von der Wanderung Jesu nach Jerusalem
zeigt in die gleiche Richtung. Davies macht seinerseits geltend,
daß es keinen triftigen Grund gibt zu behaupten, daß Lukas die
Idee von Palästina als dem Heiligen Land eingeführt hat. Freilich
nimmt Jerusalem (und das Land) eine zentrale Position in seinem
Denken ein. Das hat aber nichts mit irgendeiner Form von „geographischer
" Theologie zu tun. Lukas hebt die Bedeutung Jerusalems
aus anderen Gründen hervor. Erstens versucht er zu zeigen,
daß das Heidenehristentum eine legitime Fortsetzung der Urge-
meinde in Jerusalem mit ihrer organischen Verbindung mit dem