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1979

Kategorie:

Judaistik

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

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(36-56). Obwohl der Vf. sich wohl bewußt ist, daß es in der Antike
keine „Rassenfrage" im Sinne moderner Theorien gab, weist er
doch darauf hin, daß das Ideal der Abstammung selbst noch in
der Kaiserzeit eine wesentliche Rolle spielte und daß darüber
hinaus - ähnlich wie schon die Griechen - die Römer dazu neigten,
die orientalischen Völker als „sklavisch" und zur Unfreiheit
bestimmt zu verachten. Hand in Hand ging damit die Abwertung
orientalischer Kulte als „superstitio".

Auch das 2. Kapitel, das die Frage des „sozialen Status" als
Ursache des antiken Antisemitismus untersucht (57-88) kommt
zu einem negativen Ergebnis. SeVenster kann dabei zeigen, daß
die ältere deutsche Forschung z. T. der Versuchung nicht widerstand
, vereinzelte papyrologische Hinweise generell ad malam
partem zu interpretieren und in unzulässiger Weise zu verallgemeinern
. Wir besitzen zwar aus Ägypten, wo unsere Quellen durch
die Papyri am reichsten fließen, vereinzelte Nachrichten von
reichen jüdischen Kaufleuten, insgesamt überwiegen jedoch eher
die negativen Hinweise antiker Schriftsteller über die Armut der
Juden. Sie waren noch kein Handelsvolk, sondern, vor allem im
Osten, ganz überw iegend Bauern und Handwerker.

Den eigentlichen Hauptteil bildet c. 3, wo der Vf. die anstößige
„Fremdartigkeit" (strangeness) des antiken Judentums genauer
betrachtet (89-144). Es war in erster Linie die religiös bedingte
Weigerung der Diaspora-Juden, sich mit ihren Gastgebern zu
vermischen und an ihren religiösen Bräuchen zu partizipieren, die
den Unwillen der Nichtjuden erregen mußte. Der Vorwurf der
„menschen- und fremdenfeindlichen Lebensweise" findet sich
schon bei dem frühesten antiken Schriftsteller, der ausführlich
über die Juden berichtet, Hekataios von Abdera um 300 v. Chr.
Er fällt bei ihm um so mehr auf, als sein sonstiger Berieht recht
positiv ist. Derartige Anklagen setzen sich fort bis hin zu der Behauptung
, die Juden seien beherrscht von einem adversus omnes
alios hostile odium, aus der Feder des Tacitus (bist 5,5,2), der eine
ganz ähnliche Anklage auch gegen die Christen erhob (odio humani
generis convicti sunt: ann 15,44). In diesem Zusammenhang wäre
der Nachweis interessant gewesen, daß Fremdenfeindschaft und
Menschenhaß generell als die besonders abst oßenden Eigenschaften
abergläubischer Barbaren betrachtet wurden. Die jüdische Apologetik
(und später auch die christliche) suchte sich dieses Vorwurfs
durch den besonderen Nachweis der „Menschenliebe" zu erwehren.
Die in gleicher Weise gegen Juden und Christen erhobene Anklage
der äthtüTt,s lag in der Weigerung begründet, an den örtlichen
Kulten teilzunehmen, die schlagwortartige Rede von den ävoaioi
'lovöiüoi in den heidnischen Märtyrerakten und den Dokumenten
des Aufstandes von 110/117 n. Chr. geht wohl dagegen auf die Mißachtung
und Zerstörung heidnischer Heiligtümer durch die aufständischen
Juden zurück. Im Anschluß daran hebt der Vf. auch
die Privilegien der Juden und ihre positiven Kontakte mit der
hellenistischen Kultur hervor. Es gab Gebiete, z. B. in Kleinasien,
wo die Juden in römischer Zeit als angesehene Bürger, ja als Ratsherren
an der gymnasialen Erziehung und den städtischen Kultureinrichtungen
partizipierten. Auch in Ägypten und der Cyrenaika
hätte sich wohl dieser Prozeß der fortschreitenden Hellenisierung
fortgesetzt, wenn die politische und soziale Lage der Juden in
diesen Gebieten sich nicht durch die römische Herrschaft ganz
wesentlich verschlechtert hätte. ..

Man kann daher die Wurzeln des antiken Antisemitismus nicht
aufdocken, ohne zugleich die politischen Hintergründe sichtbar
werden zu lassen. Dies versucht der Autor in einem 4. Kapitel
(145-179). Er geht dabei von der relativen Toleranz der antiken
staatlichen Mächte aus, die den jüdischen Minoritäten beträchtliche
Privilegien gewährten. Die ersten Hinweise dafür stammen
schon aus der Perserzeit und - gegen die Meinung des Vf. - haben
wir auch einige wenige Originalzeugnisso aus den hellenistischen
Monarchien, etwa den Brief Antiochus' III. an Zeuxis (Jos Ant
12,147-153). Die meisten Belege stammen jedoch aus römischer
Herrschaft, wobei ihre Echtheit freilich z. T. sehr umstritten ist.
Die römische Toleranz gegenüber den Juden war allerdings nicht
durch einen „Philosemitismus" bedingt - diesen Anschein erweckt
zuweilen die Polemik der „heidnischen Märtyrerakten" aus
Alexandrien - sondern durch die Staatsräson mit ihrem Ziel der
Erhaltung der Roichseinheit und des Friedens. Man konnte eine so
große Minorität im Reich weder ignorieren noch einfach unterdrücken
. Die politische Situation war freilich nicht in allen Gebio-
ten gleich. In Syrien waren die Verhältnisse seit der Zeit Antiochus
' IV. Epiphanes und den Makkabäerkriegen besonders gespannt
, während die Zuspitzung der Lage der Juden auf dem
ehemaligen ptolemäischen Machtgebiet bis hin zu der Katastrophe
116/117 n. Chr. nicht zuletzt mit der wachsenden Feindschaft der
örtlichen Bevölkerung gegen die Juden zusammenhängt. In diesem
Zusammenhang empfanden die Juden die Einführung der Kopfsteuer
durch Augustus, die sie auf die gleiche Stufe wie die Ägypter
stellte, als in besonderer Weise diffamierend.

Das letzte Kapitel diskutiert die Verschiedenartigkeit der Meinungen
über die Juden (180-218). Mit Recht hebt der Vf. dabei
den durch die antijüdische Politik des Antiochus IV. Epiphanes
gegebenen Einschnitt hervor. Die älteren ersten Berichte griechischer
Schriftsteller über die Juden waren demgegenüber eher
positiv, man betrachtete sie als „barbarische Philosophen". Die
einzige Ausnahme bildet der ägyptische Priester Manetho, dessen
antijüdische Äußerungen nationale Gründe hatten. Den älteren
Bericht des Hekataios würde ich trotz seiner Erwähnung der
jüdischen Fremdenfeindlichkeit als überwiegend positiv betrachten
. Vielleicht hätte in diesem Zusammenhang die Tatsache noch
eine stärkere Hervorhebung verdient, daß sich der antike Antisemitismus
auf wenige Schwerpunkte konzentriert: Syrien, Ägypten
und Rom. Griechenland und Kleinasien waren wesentlich
weniger davon betroffen. Das hatte politische Gründe. Die Feindschaft
wurde dort begünstigt, wo die Juden auch als politische
Macht empfunden und z. T. gefürchtet wurden. Am Ende geht der
Vf. auf die erfolgreiche jüdische Mission und die dagegen gerichteten
staatlichen Maßnahmen ein, zu denen er auch den von
Vcspasian als Ersatz für die Tempelsteuer eingeführten fiscus
Judaicus rechnet. Die erfolgreiche Ausbreitung des jüdischen
Glaubens weckte ihrerseits wieder antijüdische Ressentiments wie
wir sie vor allem bei römischen Autoren finden. Eine knappe
Bibliographie und ein Quellemegister schließen den schönen Band
ab.

Das Werk selbst ist eine sehr instruktive, flüssig lesbare Einführung
in das Problem. Der Leser hat noch mehr davon, wenn er
gleichzeitig die reichlich angeführten antiken Texte bei Th. Beinach
oder jetzt in der schönen Ausgabe von M. Stern, Greek and
Latin Authors on Jews and Judaism, Vol. I: From Herodotus to
Plutarch, Jerusalem 1974, nachliest. An drei Punkten bedürfte
die Arbeit vielleicht noch der Weiterführung: a) Wären Hinweise
darauf interessant gewesen, wie sich die Anschuldigungen gegen
die Juden fast nahtlos in den Angriffen gegen die Christen fortsetzten
. Es scheinen hier dieselben psychologischen Gesetze wirksam
zu sein, b) Hätte der Vf. - als Kontrast - vielleicht noch
stärker auf gewisse positive Urteile über die Juden eingehen können
, die vor allem, als Zeichen einer religiösen Wende, ab dem
2. Jh. n. Chr. häufiger werden, c) Wäre natürlich zum besseren
historischen Verständnis die Darstellung der Antwort der jüdischen
Apologetik hilfreich gewesen, die die Angriffe der Judengegner
aufnahm und widerlegte. Vor allem die mutige Schrift
contra Apionem des Josephus stellt hier ein einzigartiges Zeugnis
dar, das wohl ein gesondertes Kapitel vordient hätte. Diese Anmerkungen
wollen jedoch den Verdienst des Vf. nicht einschränken
. Insgesamt ist es ein recht nützlichos Buch, von dem man
wünschte, daß es nicht nur von Fachgelehrten, sondein auch von
interessierten Studenten gelesen würde.

Tübingen Martin Hengcl

Agus, Jacob B.: Judaism and the New Testament (GOTR 22,
1977 S. 80-97).

Ankori, Zvi: Greek Orthodox - Jowish relations in historical
perspective: the Jowish view (GOTR 22, 1977 S. 17-57).

Sanders, Jack T.: A Hellenistic Egyptian Parallel to Ben Sira
(JBL 97, 1978 S. 257-258).

Thiering, B. E.iOnco Moro the Wicked Priest (JBL 97, 1978
S. 191-205).