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Ausgabe:

1979

Spalte:

427-429

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Zuber, Beat

Titel/Untertitel:

Vier Studien zu den Urspruengen Israels 1979

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Kr. 6

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Kritik am Geleisteten, sondern zaghafter Wunsch für die
Zukunft.

Wieu Ferdinand Dexinger

Blaschke, Karlheinz: Wittenberg - die Lutherstadt. Tot eis von

V. Herre. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1977]. 50 S. m. 13 Abb.
50 Abb. auf Taf. gr. 8°. M 7,20. Ausland: 9,80.

Es handelt sich bei dem vorliegenden Band nicht, um eine
Städtemonographie im üblichen Sinne, sondern der Autor versucht
, die geistige Geschichte der Stadt zu beleuchten. Der absolute
Schwerpunkt liegt, wie schon durch den Titel deutlich wird,
auf der Zeit, in der Martin Luther die Entwicklung prägte und
beeinflußte.

Zwei kurze Kapitel - die Stadt vor Luther und Wittenberg nach
Luther - grenzen diesen Zeitabschnitt ein. In dem ausführlichsten
Kapitel - Luther in Wittenberg -, geht es nicht nur um die Person
Luthers, sondern um die Geschichte der Reformation überhaupt.
Es wird deutlich, daß die Zeit reif war für die großen Veiändcrun-
gen, die, durch Martin Luther ausgelöst, sich von Wittenberg aus
über ganz Europa verbreiteten. Ebenso deutlich bringt der Autor
zum Ausdruck, daß diese Veränderungen ohne das Verständnis
und die tätige Hilfe eines Landesherrn wie Kurfürst Friedrich der
Weise an diesem Ort und zu dieser Zeit nicht möglich waren.
Außerdem wurde, teils durch Luther, teils durch die neugegründete
Universität! in Wittenberg, eine große Zahl von Männern angezogen
, die einen nicht geringen Anteil an der Entwicklung und
Verbreitung der Reformation hatten. Namen wie Melanchthon,
Georg Spalatin, Johann Bugenhagen, Justus Jonas, Johannes
Agricola, Giegor Brück und viele andere zeigen die Dichte des
geistigen Lebens dieser Zeit in Wittenberg. Lukas Cranach, der
bald für die Reformation gewonnen war, verarbeitete die neue
Lehre in seinen Bildern. So wurden besonders in dem Flügelaltar
der Wittenberger Stadtkirche die Ereignisse der Reformation und
ihre bedeutendsten Persönlichkeiten gestaltet.

In dem Buch ein wenig zu kurz gekommen scheinen die Gedenkstätten
der Reformation. In einem sehr knappen Abschnitt wird
nur das allernotwendigste über die Kirchen und die Gebäude, die
mit den Männern der Roformation in Verbindung stehen, erwähnt .
Ein reichhaltiger und detaillierter Bildteil entschädigt jedoch für
die gewisse Kargheit dieses Kapitels.

Wernigerode Helga Nenmann

Altes Testament

Zuber, Beat: Vier Studien zu den Ursprüngen Israels. Die Sinaifrage
und Probleme der Volks- und Traditionsbildung. Freiburg/
Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1976. 152 S. gr. 8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 9.

Das Buch enthält vier Exkurse aus der kath.-theol. Diss. des
Vf. (Freiburg/Schweiz), die nur durch ihre gemeinsame Beziehung
auf die Frühgeschichte Israels lose miteinander zusammenhängen.

Nach einer „Einführung" (7-14), in der der Vf. Intention und
Ablauf seiner Untersuchungen darlegt und ihre Ergebnisse skizziert
, untersucht er in der ersten Studio „Der Sinaivulkan in Arabien
" (15-59, mit 10 Abbildungen und Skizzen) dio neuerdings
besonders von J. Koenig vertretene These, der Sinai sei wegen der
mit ihm verbundenen vulkanischen Erscheinungen im nordwestarabischen
Vulkangebiet zu suchen. Das Ergebnis ist negativ: Mit
„einer historischen Initialbegegnung Israels mit seinem Jahwe an
einem vulkanischen Sinai" (27) sei kaum zu rechnen. Vulkanische
Vorkommen, die Israel entsprechende Vorstellungen vermitteln
konnten, gab es auch in seiner näheren Nachbarschaft: im Hauran
und Golan sowie im südlichen Oetjordanien. - Dieses Resultat, das
man durch Hinweis auf Ps 18,13; 104,32; 144,5 (vulkanische Vorstellungen
ohne Verbindung zur Sinaitheophanie) erhärten kann,
bestätigt nur, daß man die Frage der Lokalisierung des Gottesberges
nicht auf derartige Elemente stützen kann, sondern primär
auf eine Analyse der Überlieferung.

Zu einem Teil holt der Vf. dies in der zweiten Studie „Der Wallfahrtsweg
zum Sinai" (61-72) nach. Er überprüft hier M. Noths

These, in Num 33 stecke das alte Itinerar eines nach Nordwestarabien
führenden Wallfahrtsweges zum Gottesberg,1 wiederum
mit negativem Ergebnis. Gegen die Annahme spricht zunächst
die Fragwürdigkeit der Lokalisierung von Ortsnamen südlich
Ezjon-Geber, außerdem die Schwäche der Hypothese einer regelmäßigen
Wallfahrt zum Sinai, für die sonst keine Belege zeugen.
Die Liste könne auch weisheitlichem Ordnungsimpuls entstammen
und evtl. späteren Weihrauch- und Gewürzhandel mit Arabien
zum Hintergrund haben. - Diese Möglichkeit2 ist indes weniger
wahrscheinlich als die Annahme Noths, die sich nach wie vor dadurch
empfiehlt, daß sie eine gewisse Sachidentität zwischen der
alten Liste und dem jetzigen Kapitel Num 33 voraussetzt und
dadurch den Redaktionsvorgang erklärt. Jedoch scheint B. Zuber
der Überlieferung größere geschichtsschöpferische Kraft zuzutrauen
, wie die folgenden Studien zeigen.

Im Abschnitt „Die mündliche Tradition" (73-98) wertet der Vf.
die Erforschung rezenter mündlicher Volkstradition für die Frage
langzeitiger Geschichtsüberlieferungen aus der Frühzeit Israels
aus. Diese Möglichkeit, bisher unter dem ungeprüften „romantische
^) Axiom vom .sagenhaften Gedächtnis' illiteraler Völker"
(78) vorausgesetzt, beurteilt er als gering: Zuverlässige Erinnerungen
gingen kaum über eine Genoration hinaus; der stabilste
Kern der mündlichen Überlieferung, die „story", erlaube schwerlich
, bis zum geschichtlichen Faktum zurückzugelangen; der von
den biblischen Verfassern abgeschlossene Formierungsprozeß
dürfe den Historiker nicht zu einer ähnlich uniformierenden geschichtlichen
Rekonstruktion verleiten, sondern müsse zur Rückfrage
nach den am Anfang stehenden komplementären und dissonanten
Einzelelementen führen. Nebenbei argumentiert der Vf.
für ein engeres Zusammenrücken der vermeintlich ältesten und
jüngsten Traditionskomplexe, da sich überall die übergeordnete
Idee (!) vom einen Jahwe durchhalte, nicht aber die konkrete
Ausdrucksform dieser Idee. - Dies bedürfte unbedingt näherer
Ausführung, um diskutabel zu werden. Ob sich an dieser Stelle
nicht eher die Grenze des angestrebten Vergleiches zwischen
mündlichen Traditionsweisen der Neuzeit und des altorientalischen
Altertums, besonders Israels, zu erkennen gibt?

Zuletzt bestreitet der Vf. das in der kritischen Geschichtsschreibung
angeblich (wirklich?) gängige Sc hema von „Nomaden-
tum und Sesshaftigkeit" (99-138) als „zwei antagonistischer, je
autonomer und selbsttragender Lebens- und Kulturformen" (123)
zugunsten eines Nebeneinander: Beide seien „zwei Aspokte landwirtschaftlicher
Spezialisierung" (127) mit jeweils reversiblen
Übergängen, deren Gleichgewicht vom labilen ökologischen Gleichgewicht
abhänge und durch die Flexibilität kleinster Einheiten
aufrechterhalten werde. Dabei sei die spontane Entwicklung von
Staaten und Nationen „im freien Spiel der Kräfte" so gut wie ausgeschlossen
. Von dabei- stellt B. Zuber sowohl das kritische Geschichtsbild
als auch die ihm zugrundeliegende biblische Geschichtsdarstellung
in Frage, denn letztere sei weniger ein Niederschlag
realer Ereignisse als vielmehr eine literarische Technik, die
disparate Traditionen in ein Nacheinander ordne. Die Nachfrage
könne immer nur auf die Vielfalt von Ansprüchen und Vorstellungen
verschiedene! Gruppen stoßen. - Hier erheben sich wohl die
lebhaftesten Bedenken: Kann man, wenn man bei der Hauptwirt-
schaftsweise und nicht beim „Nomadenideal" ansetzt, das der Vf.
zudem wider besseres Wisson mit dem „Boduinenideal" gleichsetzt
, wirklich das Klein viehnomadentum mit seiner Viehzucht und
nur subsidiärem Ackerbau so einfach als Aspekt agrarischer Tätigkeit
bezeichnen? Darf man die biblische Geschichtsbetrachtung
mit ihrer „großen Idee vom einen Israel mit seiner einen Geschichte
und Religion" (137) so pauschal als spät werten (frühestens unter
Jerusalemer Elitegruppen in Babylonien entstanden) und dazu
lediglich als „literarische Technik" beurteilen, ohne mit konkreten
Anstößen und langzeitigen Anläufen für einen derartigen, unseres
Wissens singulären Entwurf zu rechnen?

Die Arbeit , die in ihrer essayhaften, oft sprunghaften Gedankenführung
nicht leicht zu referieren ist, enthält noch manche interessante
Erwägung und manche zugespitzte These. Dabei werden
gelegentlich auch offene Türen eingeraimt und nicht selten die
attackierten Gegenpositionon üborhaupt erst konstruiert. Die
relativ apodiktische Art der Darstellung, die mehr Probleme aufreißt
als sie umfassend behandelt, macht den Widerspruch leicht.