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Ausgabe:

1979

Spalte:

411-424

Autor/Hrsg.:

Kehnscherper, Günther

Titel/Untertitel:

Theologische und homiletische Aspekte von Röm 8, 19 1979

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411

Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 6

Gott erhält dio Natur, und die Herrschaft des Menschen über sie AT als nicht schöpfungsgemäß angesehen wird. Als schöpfungs-

versteht das AT primär als Nutzung der Natur, was jedoch nicht gemäß gilt eben das Verhalten, das Gen 1,29-30 ausführen. Damit

mit einer Ausnutzung im Sinne einer Ausplünderung und Verge- aber legt das AT unausgesprochen die Vorstellung nahe, daß Bich

waltigung der Natur verwechselt werden darf. Einem solchen Ver- in der Tierwelt über einigen Tierarten so etwas wie ein Fluch, eine

halten wehrt das AT mit entsprechenden gesetzlichen Bestim- Strafe Gottes, auswirken müsse, ähnlich dem Fluch über die

mungen, unter denen vor allem auf die über das Sabbatjahr und Schlange (Gen 3,14).

Halljahr zu verweisen ist (Ex 23,10-12; Lev 25). Doch gehören in Im Gegensatz zur Tierwelt macht das AT keine Ausführungen
diesen Zusammenhang auch jene Aussagen des AT, die eine phy- über den uns heutigen Menschen ja auch bekannten Sachverhalt
sischo Einung von Mensch und Tier oder auch unterschiedlicher des Existenzkampfes und der gegenseitigen Feindschaft in der
Tierarten untereinander unter menschlicher Einwirkung verbieten Pflanzenwelt. Offenbar hat das darin seinen Grund, daß das AT
(Ex 22,18; Dt 27,21; Lev 20,15-16; - Lev 19,19). die Pflanzen nicht zu dem Bereich der Lebewesen rechnet; wie die
Das Bild von der Natur, wie es sich aus den Überlieferungen des einzelnen Pflanzenarten sich zueinander verhalten, steht ebenso
AT ergibt, wäre unvollständig, wenn abschließend nicht noch allein in Gottes Hand wie das Verhalten von Regen, Tau und
kurz auf die Vorstellung des AT über das Verhältnis der einzelnen Wasser zu Wüste, Weideland und Ackerboden. Was sich hier voll-
Bereiche der Natur zueinander eingegangen würde. Wird für einige zog, begegnete dem Menschen des AT wie viele andere Naturer-
Tierarten ein feindliches Verhältnis zum Menschen angenommen, scheinungen als ein Wunder Gottes (Ps 29; 107,23ff.; Hi 38ff.).
so liegt die Frage nahe, ob das AT dann auch ein feindliches Ver- Und so hat wohl Th. C. Vriezen die Stellung Israels zur Natur
halten einzelner Tierarten zueinander aussagt. Wir alle kennen das am treffendsten charakterisiert, wenn er sagt, daß die Natur im
Wort vom „Kampf in der Natur" und wissen darum, daß viele AT für den Glaubenden immer in einer gewissen Spannung steht:
Tierarten nur auf Grund der Tötung eines anderen tierischen Lebe- Sie wird vom Menschen beherrscht, und in ihr ereignen sich die
wesens existieren können. Diesen Sachverhalt hat auch das AT Wunder Gottes.18
schon erkannt. Zwar wird den Tieren in Gen 1,30 nur alles Grün _

des Krautes, d. h. alles Gras, zur Nahrung zugewiesen, also kein 1 Vgl. dazu auch G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments I.'lOOl, S. 424.

Lebewesen nach alttestamentlicher Auffassung, und diese Fest- Trillhaas, RGG IV "i960, Sp. 1326.

. , , . , . . , . ,r , . * „„-.. ,. „ . Vgl. dazu genauer W, H. Schmidt, Königtum Gottes in Ugarit und Israel

setzung wird auch nicht wie beim Menschen in Gen 9,3 für die Zeit (BZAW 80), "1966.

nach Noah doch noch auf tierische Lebewesen ausgeweitet. Aber ! JA ftf" a«£n pt.32.8f. sowie W . Zimmorli BZAW 105,1967, S. 255.

, , . . .. , 7 . , , 6 , .... , 1 L. Köhler, Thcologio dos Alton Testaments, '1966, § 22,10.

daneben zeigen prophetische loxte, die ein Bild des endzeitlichen « Zur Problematik dieses Wortes vgl. C. Westermann, Genesis (BK 1/1) 1974,

Zustands zeichnen und dafür den dann zwischen den Tieren be- s- ?7,3' „ _.. _ . ___. „ , .....„,„„„„

TT , , . , ... , , ... , .... , .... ' Vgl. G. v. Rad, Das erste Buch Mose, Genesis (ATD 2/4), '1958, S. 63.

stehenden „Iierineden als charakteristisch anfuhren, damit indi- • Vgl. dazu auch die ugaritische Göttin Anath als Personifikation der Quelle

rekt doch auf, daß in dieser Welt und Zeit eben kein derartiger unc* Gemahlin Jahwes in Elefantine-Urkunden

. , , . , ,m. tiiin ,-r-., n m "m Unterscheidung von 1 athoricht und Wortbericht vgl. W. H. .Schmidt,

-frriedenszustand zwischen den Iieren besteht. So sagt Jes 11,6-7: Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift (W'MANT 17), '1967, S. 40«.

TV,«,, ^] «jw.ir r>no+ „„:„ u„- ,i„„ r „__„ 10 Zur Verbindung des Glaubens an Jahwe als Schöpfergott mit den alten

„.Dann wird aer vvon zu uast sein Dei dem umra genuin Israelitischen, geschichtlich bestimmten Aussagen von Jahwes Heilstaten

und der Panther wird sich mit dem Böckchen lagern. und zur Entwicklung einer Schöpfungstheologie vgl. G. v. Rad, Das theologische

tv,____ -s-t v„iv „„ j t .—Ix_________ Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, BZAW 66, 1936, S. 138ff.

Dann mästen sich Kalb und Junglowe zusammen sowie K.Rendtorff, Die theologische Stellung des Schöpfungsglaubens bei

und ein kleiner Knabe kann sie führen. Dcuterojesaja, ZThK 51, 1954, S. 3ff. und C. Westcrmann, BZAW 105, 1967.

• S 238 ff

Dann befreunden sich Kuh und Bär, '- u Th c yriezen, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, o. J. [1956],

und ihre Jungen lagern zusammen; S. 161.

dann wird der Löwe wie das Rind Stroh fressen". 1946, ™i.H' Robln"0"' In8Piration and »«velation in the Old Testament,

Hier wird klar erkennbar, daß das AT von einer Feindschaft "'vgli^Jragenauer H. WiMberwr, Dm AbblM Oottm, G«n 1,28-80, ThZ 21«

zwischen Wolf und Lamm, zwischen Panther und Ziege, zwischen "'vglTdazii auch O. II. Steck, Welt und Umwelt, 1978, S. 68.

Rind und Löwe, zwischen Kuh und Bär weiß. Wenn diese Feind- " TT"; a ™TI!'.n' m?- ™ir,7V >, , ... „ r, ■

, ,' ,. . , „ , . , , , "Vgl. W.H.Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift

Schaft aber in der den paradiesischen Urzustand wiederherzustel- (WMANT 17), '1967, s. I35ff; O. H. Steck, Der Schöpfungsbericht der Priestcr-

lenden Endzeit aufgehoben werden soll, so macht dieses doch ,ol^(*i^N1Lli?)',19?i?;.8,;i6?,>Wett"B<1 ü™*»1*-1978, s-78.

,.,.,,„. , , „ . , . c, . , , „,. " E.Nielsen, F0nlx 1, 1976/77, S. 130tf.

deutlich, daß eine solche Feindschaft zwischen den iieren vom " Th. c. Vriezen, a. a. o., N. 189.

Theologische und homiletische Aspekte von Rom 8, 19

Von Günter Kehnscherper, Greifswald

Im Jahre 1953 stellte G. Bornkamm im Rahmen einer Vortragsreihe
die These auf, „daß die Schöpfung im ganzen auch
an der Erlösung teilhaben wird, die uns erwartet, wie die Schöpfung
im ganzen an dem Fluch des verlorenen Menschen partizipiert
". Als Schöpfung hat auch die Natur teil an der Heilszusage.
Christliche Hoffnung kann also nicht allein auf die Zukunft der
menschlichen Existenz gerichtet sein.

Damals konnte R. Bultmann noch widersprechen und derartige
Aussagen über die Zukunft als unangemessene „mythologische
Spekulation" bezeichnen.1 Ein Jahrzehnt später wird R. Bultmann
von H. Wenz2 scharf kritisiert. Die Verflochtenheit der
Menschheit mit der Kreatur auf ihrem Weg zur Erlösung ist nicht
zu bestreiten.

Seitdem bietet die Auslegung von Rom 8, speziell der Verse
18-23 und 28-30, Zündstoff für die theologische Diskussion bis
hin zu J. Moltmann3. Er fordert von der Sehnsucht der leidenden
Kreatur her ein neues Denken der Christen, in dem das in Jesus
Christus geschehene Heil und die christliche Erlösungshoffnung
auf die gesamte Welt ausgeweitet wird. Mit der Geschichte des
Heils will er von den Glaubenden auch die Geschichte der gesamten
Wirklichkeit bedacht wissen.

Bei H.-H. Jenssen und H.-G. Fritzschc qualifiziert theologisches
Denken von Jesus Christus her die Natur zur Schöpfung. Erst
durch das Heil in Jesus Christus wird Naturtheologie möglich, dio
sich dann als „das christliche Wort zur Natur" versteht.4 Die
Natur ist Objekt der theologischen Deutung, nicht nur Hintergrund
menschlicher Heilsgeschichte. Die durch den Geist befreite
Heilsgemeinde repräsentiert inmitten der Schöpfung die Herrlichkeit
des Heils Gottes. Deswegen ist die Hoffnung der Schöpfung
nicht ein zukünftiges Stadium des Heils, doxa kann vielmehr in
der Gegenwart bereits erfahren werden.5 So wird auch die Hoffnung
der Schöpfung schon in der Gegenwart Objekt der Heilstaten
Gottes durch den erlösten Menschen, Objekt der Heilsgemeinde.
Dieser Prozeß ist seit dem Offenbarwerden der Hoilstaten Gottes
in Christ us ausgelöst und im Gang. Das heißt aber nach den genannten
Untersuchungen und Kommentaren eindeutig, daß der gegenwärtige
- wir müssen sagen: unheilvolle und K-idende - Zustand
der Natur ein Ende finden wird. Gott wird seine Schöpfung nicht
dem von Menschen bewirkten Verdorben überlassen.

Noch gar nicht ausgeschöpft ist der Reichtum der Gedanken von
P. Tillich zur Exegese von Röm 8 vor allem im Hinblick auf eine
Aktualisierung der eschatologischen Dimension.0