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Ausgabe:

1979

Spalte:

382-383

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Wer ist Jesus Christus? 1979

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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381

Theologische Lileraturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 5

382

ihrer dialektischen Korrelation, d. h. als ein Ganzes, ihre
eigentliche Aussage machen:

Zu den Steinen hat einer Die Steine haben gesagt: wir
gesagt: seid menschlich! sind noch nicht hart genug.

(Erich Fried)

Auf der Linie dieses Modells liegen viele spätere Gegenüberstellungen
wie die von Königsproklamation und erniedrigender
Hinrichtung. Freilich kommen auch Bedenken,
wenn ein Plädoyer für eine Logik gehalten wird, bei der es
weniger auf Argumente als auf geschickte Gegenüberstellungen
oder Aneinanderreihungen ankommt und bei der die
"Appellfunktion" die Wahrheitsfrage sehr ins Pragmatische
wendet. Aber diese Art des plakativen Redens und Werbens
ist unsere Zeit, und man sollte das schon ins methodische
Bewußtsein heben. Aber wie wird Baudler diese Methode
auf das Neu-Erzählen (im Fachjargon: „Übertexten") des
biblischen Jesus anwenden? (Der wahre Christus-Gott erscheint
nur wie die Vision oder Fiktion einer Grenzvorstellung
, wie als Umschreibung für einen Superlativ, s. S. 249).

Der Eindruck vom Neuerzählen des Lebens Jesu ist zwiespältig
; denn es ist heute zu ungewöhnlich, wenn „ein
Jugendfreund" Jesu, eine der von Jesus geheilten Frauen,
Petrus und Jesus selbst erzählend oder Briefe schreibend
eingeführt werden. Nichts gegen freies Neuerzählen der
biblischen Geschichte, auch nichts gegen „Rearrangement
biblischer Perikopen" (151), nichts gegen Hinzudichtungen
von Einzelheiten aus der Umweltgeschichte — solange sie das
Bild Jesu unserer Evangelien nicht verfälschen und solange
noch deutlich bleibt, was Dichtung und was die Historie
unserer Evangelien ist. Leider muß der Rez. beide Vorwürfe
aussprechen. Es liegt im Wesen narrativer Theologie, Dichtung
und biblisches Zeugnis in geschlossener Einheit vorzutragen
, für Konfinnanden und Schüler zumindest bildungs-
mäßig bedenklich. Jedenfalls liegt protestantischer Theologie
eminent daran, von einer geschichtlichen Person, nicht
von einem Romanhelden zu zeugen. Baudler dagegen spinnt
die ganze Legenden-Tradition weiter und bringt Begründungen
wie die: „Diese zelotischen Tendenzen bei Jakobus
und Johannes sind freilich exegetisch nicht .gesichert'; sie
sind jedoch grundsätzlich möglich und deshalb ... in einer
narrativen Theologie verwendbar" (267).

Das führt schon zum zweiten Vorwurf. Jesus wird primär
von der Widerstandsbewegung gegen die römische Fremdherrschaft
her, die die Volksmenge „orientierungslos" gemach
habe, gedeutet, eine u. E. antiquierte Theorie, narrativer
Theologie sich gewiß aufdrängend (man denke nur an die
Jesus-Filme), aber so sehr Exponent heutigen Vorverständnisses
, daß man sie beinahe auch dann nicht katechetisch
verwenden sollte, wenn sie historisch glaubwürdiger wäre.
Man muß freilich in die Details gehen, wenn man zu einem
begründeten Urteil kommen will. Unbehagen erweckt die
u. E. reichlich klischeehafte Erzählung von dem zu Tode geprügelten
Jungen, der das Versteck seiner Guerilla-Brüder
nicht verriet — und angesichts dessen man sich des unschuldig
leidenden Gottesknechtes von Jesaja erinnert haben soll
(139f). Und wie als historisch ausgemachte Tatsache wird der
Mietling von Joh 10, der seine Herde verläßt, auf die Zeloten
gedeutet, die sich nach ihren Aktionen wieder in die
Berge zurückzogen und die Dorfbewohner dem Schicksal
durch römische Strafexpeditionen überließen (157).

Daß Jesus, nachdem er einmal ins Guerilla-Milieu hineingestellt
worden ist, dann doch die Gewalt ablehnt, erzeugt
u. E. eher ein Vacuum als eine wirklich neue Dimension.
Diese zu finden, wird auch dadurch erschwert, daß das
Schema, Jesus zu verstehen, dieses ist: daß er immer wieder
eine „Rollenerwartung" enttäusche. Das Anderssein wird
zur Verstehenskategorie. So durchzieht es das ganze Buch:
Jesus „Der andere Zimmermann oder: Das Recht, ein anderer
zu werden. Anders als Johannes. ... Der andere Prophet
oder: Die Identitätssuche. Der andere Messias oder: Jesu
Weg zum Kreuz. ... Der andere König oder: Erhöht durch

Erniedrigung. ... Der andere Logos ... Der andere Heiland
...". Uberhaupt wird über Jesus mehr negativ als positiv
geredet. Wo nicht die „Freiheitssehnsucht" zu Jesus
treibt, da ist es die „Lebenssehnsucht", die Suche „noch darüber
hinaus auf ein Leben und eine Freiheit..., auf einen
Frieden, den keine Krankheit und kein Tod und kein Machthaber
dieser Erde mehr würde zerstören können ..." (222,
vgl. 227!). Auch der ständig gebrauchte Ausdruck „orientierungslos
" bzw. Jesus als „Orientierungspunkt" bleibt u. E.
eine Leerstelle; denn inwiefern nun eigentlich Jesus
der Sinn unseres Lebens ist, bleibt u. E. vollkommen offen.
Bezeichnend ist auch, daß die christologischen Bekenntnisaussagen
ebenfalls ganz vom Negativen her, wofür sie
Schutzwehr und Sicherungen sein können, verstanden werden
.

Mit aller Kritik soll nicht verkannt werden, daß das Buch
wertvolles Material für die katechelische Arbeit an die Hand
gibt. Das gilt besonders für die Partien S. 211ff wie: „Der
Kaiser und der blinde Bettler". Durchaus könnte auch protestantische
Theologie sich stärker der altkirchlichen Legenden
und ihres großen Wertes für das Narrative, um das an
sich keinePraktischeTheologie herumkommt, erinnern. Aber
kritischer wird es beim Erdichten neuer Legenden — und solcher
aus der Gegenwart für die Gegenwart. Da muß wohl
hier rechtzeitig ein Warnsignal errichtet werden. Denn während
Baudlers Bezug auf altkirchliches Material stets
einleuchtet, wird von seinen Gegenwartsdichtungen manches
auch abstoßen. Das zeigt: Narrativer Theologie zuzuhören,
ist so wenig jedermanns Sache wie der Glaube — oder die
Vernunft. Keinesfalls kann sie die Lösung der missionarischen
Aneignungsfrage heute sein.

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Sauer, Joseph [Hrsg.]: Wer ist Jesus Christus? Beiträge von
H. U. v. Balthasar, E. Biser, W. Kasper, H. Riedlinger, A.
Vögtle, B. Welte. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1977.
200 S. 8°. Kart. DM 19,80.

Die Katholische Akademie Freiburg veranstaltete im Januar
1976 eine Tagung zu der Frage ,Wer ist Jesus Christus?'.
Die Bedeutung des Themas und das Ansehen der Referenten
weckten ein großes Interesse und veranlaßten die Veröffentlichung
dieses Sammelbandes. Er ist für breitere Kreise gedacht
, und die Referenten, die alle bereits Wesentliches zur
theologischen Fachdiskussion beigetragen haben, bemühen
sich durchweg um eine Vermittlung in das Leben der Gemeinde
. Daher wird immer wieder die christliche Geschichte
als Wirkung Jesu Christi herausgestellt.

Den Auftakt gibt der Beitrag von Hans Urs von Balthasar
. Gegenüber einer apersonalen Ideologisierung betont
er die bleibende Bestimmung durch die Person Jesu
Christi als das Besondere und Unterscheidende des christlichen
Glaubens gegenüber anderen Weltanschauungen und
Religionen. „Der positive Erweis der synthetischen Tat
Christi (in der Kirche aus Juden und Heiden — R. S.) ist der
von ihm geprägte Mensch." (17)

Anton Vögtle behandelt die Kontinuität von verkündigendem
und verkündigtem Jesus Christus. Dieser sehr umfangreiche
Beitrag wurde für die Veröffentlichung erheblich
erweitert. Nach der früher schon von Vögtle und R. Pesch
vorgelegten These wird die Kontinuität angesetzt in der
Abendmahlsparadosis mit dem „Sterben für viele". Die späteren
christologischen Aussagen über Präexistenz und Inkarnation
des Sohnes Gottes werden daraus abgeleilet, „daß die
Funktion der offenbarungs- und schöpfungsmittlerischen
Weisheit auf Jesus übertragen wurde. Und gerade diese
christologischen Spitzenaussagen verweisen uns auf den
Ausgang vom verkündigenden Jesus. Sie explizieren jene
Gottunmittelbarkeit, die dem vollmächtigen Sendungsanspruch
Jesu als abschließender Offenbarer die endzeitliche