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Ausgabe:

1979

Spalte:

363-365

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schenk, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Der Passionsbericht nach Markus 1979

Rezensent:

Linnemann, Eta

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 5

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4) Sind die angeführten Punkte dem angesprochenen Leserkreis
kaum nachprüfbar, so auch die Mehrzahl der vom
Autor genannten Veröffentlichungen, da die Fundorte in
aller Regel (bes. bei Aufsätzen) nicht beigefügt sind.

Insgesamt sind dem Informationswert des angezeigten
Buches erhebliche Grenzen gesetzt. Idee und Anliegen des
Vf. bleiben nachdrücklich bedenkenswert.

Erlangen Otto Merk

Schenk, Wolf gang: Der Passionsbericht nach Markus. Untersuchungen
zur Überlieferungsgeschichte der Passionstraditionen
. Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1974]. 285 S. gr. 8°.

I. Schenk untersucht zunächst die Traditionsgeschichte der
Kreuzigungsperikope einschließlich der synoptischen Parallelen
wie der johanneischen. Als nächstes fragt er nach dem
Beginn der Leidensgeschichte, wobei nacheinander Mk 14,lf.
lOf; 11,15-19; ll,12-14.20f; 11,1-11 und 14,3-9 untersucht
werden. Die anschließende Frage nach der Fortsetzung der
Passionstraditionen erfaßt den Text 14,12—15,20a in üblicher
Reihenfolge. Zum Schluß wird die Frage nach den Abschlüssen
der Passionstraditionen an Mk 15,42—47 und 16,1—8 gestellt
, worauf noch eine Zusammenfassung der Ergebnisse
des Buches folgt.

II. Die Ergebnisse von Schenks Untersuchung sind zwei
jeweils zusammenhängende Schichten der Passionstradition.
Zum ersten eine Praesens-historicum-Schicht, die nach Bestand
und Aufbau folgende Stücke umfaßt:

1. Die vierfache Vorhersage Jesu

(zwei positive 11,1—7; 14,12—16, zwei negative 14,17—21
und 14,26-30.)

2. Das dreifache Versagen der Jünger
(14,32-42; 14,43-52; 14,54.66-72)

3. Die vier Stationen des Kreuzweges Jesu
(14,53.55f. 61-64; 15,lf; 15,16-20a; 15,20b-24.27.29)

4. Die Kunde des Jungen Mannes an die Frauen von der
Auferweckung Jesu (16,1—8)

Die zweite Schicht ist nach Schenk eine apokalyptische
Passionstradition, deren Gestalt wie folgt zu bestimmen ist:
1) 11,8-11; 2) 11,12-14; 3) ll,15f;4) 11,18 + 14,2.10f; 5) 14,23b.
25; 6) 14,26.33.35.38.41; 7) 14,44.46.50; 8) 14,53.57f.60f.65; 9) 15,1.
3.5.12-15; 10) 15,16.25f.29f.33f.37-39.

An unabhängigen Einzelstücken soll Markus vier Stücke
verwendet haben: 14,3-9; 14,22-24; 15,7f.11.15.; 15,43.46f.

Während die Praes.-hist.-Tradition dem Tode Jesu keine
Heilsbedeutung zuerkenne, laufe bei der apokalyptisch geprägten
alles auf die Heilsbedeutung des Todes Jesu hinaus,
der als Einbruch der neuen eschatologischen Welt gesehen
werde. Die Tendenzen der apokalypt. Passionstradition lassen
sich nach Schenk als Hintergrund für die antipaulini-
schen Häretiker verstehen (!), da auch diese eine total realisierte
Eschatologie voraussetzten. Die Tempelzerstörung soll
nach Schenk den Trägerkreisen dieser Überlieferung als Beweis
für die realisierte Eschatologie starken Auftrieb gegeben
haben. Das sei der Anlaß für die Abfassung des Mk.
Ev. gewesen. Die mk. Gestaltung der Passion folge in Gestalt
und Intention der Praes.-hist.-Passionstradition. Sie kritisiere
die Behauptung von Jesu Tod als apokalyptische Weltwende
und richte sich „gegen das Vollendungsbewußtsein
der Träger des apokalyptisch-gnostischen Kreuzesverständnisses
" (274).

III. Schenks Literaturbenutzung läßt zu wünschen übrig.
Die einschlägige englisch- und französischsprachige Literatur
wird nicht benutzt. Seine weitreichende These hinsichtlich
der Einheit von Apokalyptik und Gnosis stellt Schenk auf,
ohne die nach 1949 erschienene Literatur zur Gnosis auch
nur registriert zu haben.

Obwohl sein Buch erst 1974 erschienen ist, wird die nach
1969 erschienene Literatur abgesehen von zwei Ausnahmen
nicht mehr zur Kenntnis genommen. Das ist um so mehr zu
bedauern, als darunter vier für sein Thema einschlägige

Werke sind: Ludger Schenke: Studien zur Passionsgeschidite
des Markus (FzB 4, 1971), ein Buch, welches, mit gleichen
Methoden arbeitend, zu völlig anderen Ergebnissen kommt;
G. Schneider: Verleugnung, Verspottung und Verhör Jesu
nach Lk 22,54—71 (1969) und: Die Passion Jesu nach den drei
älteren Evangelien (Bibl. Handbibl. 11,1973) sowie A. Dauer:
Die Passionsgeschichte im Johannesevangelium (1972).

Meine Studien zur Passionsgeschichte werden zwar benutzt
, aber eine begründete Auseinandersetzung erspart sich
Schenk. Meine These, daß die markinische Passionsgeschichte
vom Evangelisten aus Einzeltraditionen gestaltet
sei, wird nicht einmal erwähnt, ebensowenig meine Analyse
der mk. Kreuzigungsperikope. Meine Analysen der Gethse-
maneperikope und der Verhaftung Jesu werden zwar referiert
, aber mit Pauschalurteilen abgewiesen, die eine zureichende
Begründung vermissen lassen.

IV. Schenks Handhabung des Instrumentariums neutesta-
mentlicher Exegese weist Mängel auf:

Ohne grundlegende religionsgeschichtliche Überlegungen
werden Apokalyptik und Gnosis konfundiert.

Die Unterschiede von Traditionsgeschichte und Formgeschichte
werden nicht hinreichend beachtet (vgl. Anm. 1182).
Die Anwendung formgeschichtlicher Kriterien wird von ihm
durchweg als „Verlegenheitsauskunft" abgetan. Schenk betreibt
Quellenscheidung so, als habe es eine formgeschichtliche
Forschung nie gegeben.

Schenk unternimmt es, aufgrund des Vorkommens von
praes. hist. Traditionsschichten in der Weise zu scheiden,
daß für jene Verse, in denen praes. hist. vorkommt,
ein ursprünglicher Zusammenhang behauptet wird, während
die übrigen Verse einer anderen Traditionsschicht oder
der Redaktion zugewiesen werden. Dabei übersieht er,
welche Funktion das praes. hist. in der griechischen Sprache
hat: „Also die Umstände, oder überhaupt das Nebensächliche
, werden in den Zeitformen der Vergangenheit gegeben,
dagegen die Haupthandlungen gern im Praes., während die
schließlichen Ergebnisse wieder im Aor. stehen, weil hier
eine Vergegenwärtigung nicht natürlich wäre." (Blaß-De-
brunner 9 321) Schenk geht so weit zu unterstellen, der Evangelist
habe das Tempus seiner Vorlage geändert, sooft in den
Versen ein anderes Tempus steht, als Schenk aufgrund seiner
Hypothese erwartet.

Das Musterbeispiel für ein solches Verfahren findet sich auf S. 232.
Dort werden die Verse Mk 14,53b.55.56.Glb.62a.63.64 zur Praes.-hist.-
Schicht gerechnet, obwohl weder in V. 55 noch in V. 56 oder 61b. oder
62a — d. h. in 4 von 7 Versen! — ein praes. hist. zu finden ist und
Schenk sich zu dem Postulat genötigt sieht, daß Mk in allen Fällen
das Tempus geändert habe. Das heißt nicht exegesieren sondern
spekulieren!

Unhaltbar ist es, wenn Schenk (17) allein aufgrund des
Sprachgebrauchs in den markinischen Summarien 3,7—12;
6,53—56 sowie von 9,9—13 den Nachweis führen will, der
Evangelist habe kein praesens historicum benutzt, obwohl
in Summarien von vornherein kein praesens historicum zu
erwarten ist.

Allein Stilstatistik und Vokabelstatistik läßtSchenk als beweiskräftige
Methoden gelten. Zumal der Vokabelstatistik
traut er mehr zu, als andere Exegeten vor ihm. Er meint
nicht nur sagen zu können, welche Verse aufgrund von „Vorzugs
"- oder „Häufigkeitsworten" dem Evangelisten Markus
zuzuschreiben sind. Er will sogar wissen, welche Worte in
jedem Vers auf die Tradition zurückzuführen sind und
welche auf das Konto des Markus kommen. Je nach Belieben
entscheidet er dann, ob ein Vers mit einer Anzahl von Worten
des markinischen Sprachgebrauchs vom Evangelisten
gebildet oder von ihm lediglich verändert worden ist. Kritische
Ausführungen über die Grenzen der Vokabelstatistik
als Hilfsmittel zur literarkritischen Analyse, die ihm vorgelegen
haben, werden ignoriert. Die Frage, bei welchen Zahlenverhältnissen
eine statistische Relation relevant ist, wird
nicht erörtert.

Der mechanische Gebrauch der Vokabelstatistik wird leider
nicht nur von Schenk geübt, sondern ist mittlerweile