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Ausgabe:

1979

Spalte:

359-363

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Genthe, Hans Jochen

Titel/Untertitel:

Mit den Augen der Forschung 1979

Rezensent:

Merk, Otto

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359

Theologische Literalurzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 5

360

2 Vgl. z. B. nur E. E. Urbach, ,,Ham-mäsör6t 'al törat has-söd,
bitcqüfat hat-tannä'im", in: Studies in Mysticism and Religion,
pres. to G. G. Scholem, Jerusalem 1967, 1—28 oder H. A. Fischcl,
Rabbinic Literature and Greco-Roman Philosophy, Leiden 1973,
bes. 1 ff; 78ff.

Neues Testament

Genthe, Hans Jochen: Mit den Augen der Forschung. Kleine
Geschichte der neutestamentlichen Wissenschaft. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1976]. 356 S., 15 Taf. 8°. (Erschien
1977 bei Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, u. d. T.
„Kleine Geschichte der neutestamentlichen Wissenschaft".)

Das Anliegen des hier anzuzeigenden Werkes verdient
Beachtung, die Idee ist gut: Das Werden der ntl. Wissenschaft
dem Kreis der Gebildeten und kirchlich engagierten
Laien verständlich und zur Auswertung für ihre eigene
Arbeit hilfreich zu machen. Daß dabei nicht die Verästelungen
der Forschungsarbeit am Neuen Testament in allen Einzelheiten
vorgeführt werden können, sondern „Grundzüge"
und große Linien, nämlich die Auswirkungen und die Wirkungsgeschichte
dieser Wissenschaft, wird man dem Verf.
bereits aufgrund seines Vorwortes zugestehen.

In 8 Kapiteln wird der Stoff dargeboten: 1 . K a p . : „Die
neuen Wege" (13—28): Der Verf. setzt mit den Beiträgen des
Humanismus und der Reformation für die Bibelwissenschaft
ein (Erasmus, Melanchthon, Luther [Römerbriefvorlesung —
„Gerechtigkeit Gottes"; Septembertestament]) mit der ihm
zentralen Feststellung: „Die durch Martin Luther aus dem
Mittelpunkt seiner Theologie entwickelte begriffliche Unterscheidung
von innerem und äußerem Wort macht eine wissenschaftliche
Erforschung der Bibel möglich; die inhaltliche
Einheit von innerem und äußerem Wort macht ihre wissenschaftliche
Erforschung nötig" (27). Die Grenzen historischer
Kritik bei Luther werden angedeutet (mit zu kurzem Hinweis
auf die Vorreden zum Neuen Testament und — ins Gewicht
fallend — der Nichtbeachtung von Luthers Fragestellung
: „Was Christum treibet" und den in ihr liegenden
Implikationen). — 2. Kap.: „Das Erbe der Reformation"
(29-49): Unter „Frühaufklärung und Pietismus" (29) wird
zunächst die Verbalinspiration angeführt und festgestellt,
Matthias Flacius habe mit seinem Werk „Clavis scripturae
sacrae" (1567; der Titel ist ungenau angegeben) „die Lehre
von der Verbalinspiration in die evangelische Kirche" eingeführt
(31). Ist es schon an sich bedenklich und keineswegs
allgemein anerkannt, die Orthodoxie der ..Frühaufklärung"
und dem „Pietismus" zuzuordnen, so zeigt sich bereits hier —
was im folgenden öfter geschieht —, wie durch Verkürzung
der Sachverhalte auf Allgemeinplätze sich Fehlurteile in die
Darstellung einschleichen. So kann z. B. die Lehre von der
Verbalinspiration nur im Kontext der Hermeneutik des
Flacius ihren richtigen Stellenwert erhalten. Der weitere
rasche Durchgang in diesem Kap. führt über H. Grotius, Ca-
merarius, J. Lightfoot, Spinoza zu R. Simon und (als einzigen
Vertreter des Pietismus) Bengel, ohne daß eine innere
Verbindung in der Bezugnahme auf die Genannten sichtbar
würde. — Im 3 . Kap.: „Das Licht der Aufklärung" (50 bis
78) führt der Vf. zunächst in lebendiger Darstellung die
durch Reimarus und Lessing gegebenen Anstöße für die Erforschung
des Neuen Testamentes vor (50—65), um dann
Semler (einschl. Zeitgenossen und Schüler, z. B. J. J. Griesbach
), Herder und Heinr. Paulus (in nicht unbedingt einsichtiger
Zusammenordnung, 74ff) zu skizzieren. Punktuell erfährt
man manches Wissenswerte, doch unter der weitgefaßten
Kapitelüberschrift wird zu viel subsumiert, zu wenig
differenziert und nicht immer deutlich genug hervorgehoben
, worin die jeweils zentrale Bedeutung der Angeführten
für die ntl. Forschung liegt. — Entsprechendes gilt für das
4 . Kap.: „Ideen der Idealisten" mit dem Untertitel „Vorherrschaft
der idealistischen Theologie" (79—116), in dem
Schleiermacher (79ff), Hegel und Strauß (87ff), Bruno Bauer
(95ff), Ferd. Christ. Baur (107ff) und Tischendorf (113ff) behandelt
werden. Dieses Kapitel, reich auch an biographischen
Einzelheiten, läßt den Leser die Stringenz der Abfolge
nur bedingt einsichtig werden, wenngleich die Jesus- und
Synoptikerforschung in den Vordergrund gerückt wird (Br.
Bauer gilt des Vf. bes. Interesse; L. Feuerbach dagegen wird
viel zu kurz dargestellt; bei keinem der Genannten wird
seine Gesamt bedeutung für die Erforschung des Neuen
Testaments sichtbar). — Der Intention des 4. Kap. entspricht
es, wenn im 5 . Kap.: „Sie fragten nach Jesus. Leben-
Jesu-Forschung im Zeitalter des Historismus" angeschlossen
wird (117—178). Hier werden (auch an Beispielen) Ausschnitte
aus der Geschichte der Zwei-Quellen-Theorie und
der Leben-Jesu-Forschung bis einschließlich Albert Schweitzer
vorgeführt, und es wird neben dem liberalen Jesusbild
und seinen Kritikern auch sachgemäß die Bedeutung der Erforschung
des Judentums für die Jesusforschung herausgestellt
(154ff). Abgesehen von Einzelheiten [s. u.] ist einzuwenden
, daß zwar Joh. Weiß und A. Schweitzer forschungsgeschichtlich
gesehen vielfach Berührungen haben, daß sich
aber Schw. gerade nicht eindeutig für seine Skizze des Lebens
Jesu auf J. Weiß beruft (176). Im übrigen differenziert
der Vf. nicht die theologisch durchaus verschieden ausgerichteten
Auflagen von J. Weiß: „Die Predigt Jesu vom Reiche
Gottes" ('1892; 21900). - Das 6. Kap.: „Religion oder
christlicher Glaube" ist der „religionsgeschichtliche(n)
Schule" gewidmet (179—230). Was im engeren Sinne unter
die Kapitelüberschrift gehört, ist durchaus verständlich audi
in den anstehenden Problemen skizziert, aber die dargestellte
Thematik ist wiederum viel zu weit gefaßt, indem
„Entstehung der Evangelien und der Apostelgeschichte"
(202ff), „Herkunft der neutestamentlichen Briefe" (208ff),
„Neutestamentlicher Kanon und Glaubensbekenntnis" (212ff)
einbezogen werden. So finden sich u. a. A. Schlatter, Deiß-
mann, H. J. Holtzmann und Th. Zahn unter der Überschrift.
„Religionsgeschichtliche Schule", so erfreulich (und sachgemäß
) die gesonderte Behandlung von W. Bousset ist (215ff).
Die enge Zusammenrückung von Schlatter und Deißmann
unterliegt forschungsgeschichtlichen Bedenken. Die Problematik
in diesem Kap. tritt u. a. darin hervor, daß der Vf.
einerseits zu viele Gedanken und Strömungen um die Jahrhundertwende
zusammenraffend in den Griff bekommen
will und diese zu undifferenziert zusammenordnet, andererseits
aber die auch geistesgeschichtlich bedeutsame Frage
nach dem Entstehen der „Religionsgeschichtlichen Schule"
gar nicht stellt. - Das 7 . Kap.: „Das menschliche Zeugnis
von Gottes Offenbarung. Dialektische Theologie" (231 bis
286) reicht von Karl Barths Römerbriefauslegung bis zur
Konzeption des Theologischen Wörterbuchs (v. G. Kittel —
G. Friedrich) und umfaßt auch Namen und Sachverhalte,
die nur teilweise oder gar nicht mit der „dialektischen Theologie
" zusammenhängen. Neben Barth und Bultmann (charakterisiert
durch die „Gesch. d. synopt. Tradition"; Entmy-
thologisierungsdebatte; JohEv.-Komm. und der wichtigen
Feststellung, daß B. die religionsgeschichtl. Fragestellung in
die „dialektische Theologie" eingebracht habe) werden die
Formgeschichtier nach dem 1. Weltkrieg (K.L.Schmidt, M.
Dibelius, R. Bultmann [nicht aber deren Kritiker], H. Schlier
und E. Schweizer (= „Vom Sein in der Kirche", 245ff), Lohmeyer
und Cullmann (= „Die ersten Lobgesänge", 251 ff),
G. Bornkamm und Käsemann (= „Mensch und Mächte",
255ff) und schließlich Grundgedanken der ntl. Arbeit von
J. Jeremias skizziert. — Im 8 . Kap.: „Neue Fragen — neue
Lösungen. Die gegenwärtige Lage" (287—346) wird viel Material
aus der Fülle der neueren Fachdiskussion ntl. Wissenschaft
ausgebreitet, nicht ohne Geschick und doch verwirrend
in der Vielfalt, da nicht zwischen Wichtigem und minder
Wichtigem, die Forschung vorantreibenden, allgemein
weiterführenden und stützenden oder heute schon wieder
durch neue Einsichten überholten Fragestellungen geschieden
wird. In den Schwerpunkten „Neue Jesusforschung"