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Ausgabe:

1979

Spalte:

344-347

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Les sciences bibliques en Pologne après la guerre (1945 - 1970) 1979

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 104. Jahrgang 1979 Nr. 5

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grund des herkömmlichen Sonntagsgottesdienstes her bedacht
. Der Gottesdienst im Alltag, die Mitbeteiligung der
ganzen Gemeinde im Gottesdienst, die Darstellung inzwischen
erprobter anderer Gottesdienstformen kommen zu
kurz. „Para-Gemeinden" und „Dienstgruppen" werden in
nur zwei Sätzen erwähnt (364), dann aber doch recht vorschnell
die Bedeutung des regelmäßigen sonntäglichen Gottesdienstes
in Frage gestellt. S. 298ff gibt einen reichen Katalog
der Aspekte des Gottesdienstes, ohne ihn dann genügend
zu entfalten. Der Abschnitt über Wortverkündigung (305)
müßte stärker in bezug stehen zum Abschnitt „Gottes Wort"
(374ff), schließlich kommt auch S. 438ff noch einmal Verkündigung
dran. Die eine Seite über Bibelstudium (439f) ist in
ihrer Allgemeinheit wenig hilfreich.

Diakonie der Kirche wird als Anstaltsdiakonie ausführlicher
vorgestellt (345—47), doch fehlt leider eine zusammengefaßte
Darstellung zur diakonischen Verantwortung des
einzelnen und der Ortsgemeinde. Hier müßte Kirche als
„Beistandsgemeinschaft" (324) in ihrem Gesamtzusammenhang
anschaulich gemacht werden. Für die politische Diakonie
im Bereich gesellschaftlicher Mitarbeit werden S. 318 bis
23 Hinweise gegeben (Friedensdienst, Antirassismus-Pro-
gramm), ein wenig angehängt erscheint dann der Abschnitt
über „Die Aufgabe der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft
". Man spürt es zwar im Glaubensbuch in fast allen
Kapiteln, wie sich die Verfasser dieser Frage stellen, als
Christen in einer sozialistischen Gesellschaft zu denken, zu
leben und zu glauben. Gerade deshalb hätte man sich an
dieser Stelle mehr als nur eine Seite mit recht allgemeinen
Aussagen gewünscht. Inzwischen liegt doch in offiziellen
Verlautbarungen des Bundes genug Material zu kritischer
Einschätzung bereit.

Wie kommt nun in diesem Glaubensbuch das besondere
reformatorische Anliegen des sola fide zum Tragen? Ich habe
viele gute und nachdenkenswerte Aussagen dazu gefunden.
Man schlage etwa die im Sachwortverzeichnis unter „Glauben
" genannten Stellen auf. Die Uberschriften S. 404ff zu den
drei Kurzbiographien von Luther, Bonhoeffer und Camara
sind prägnanter Ausdruck dafür: „Gute Nachricht für Angefochtene
— Gute Nachricht für Mündige — Gute Nachricht
für Benachteiligte." Luther wird von den verschiedenen Verfassern
erstaunlich oft zitiert, u. a. auf S. 29 mit diesem Satz:
„Ich glaube, daß ich nicht... glauben ... kann." So beschließt
auch S. 250 ein Lutherzitat einen kürzeren Abschnitt, in dem
Gnade und Rechtfertigung zur Sprache kommen. Ansonsten
wird man dazu vom Sachwortverzeichnis her kaum mehr
entdecken. Als den durchgängigen theologischen roten Faden
habe ich daher das sola fide nicht entdecken können. Vielmehr
finden sich gerade auf den letzten Seiten wieder, ähnlich
wie am Anfang, Aussagen, die zu sehr an den Menschen,
an das Gute appellieren, die zu sehr vom Müssen und Sollen
sprechen. „Wir müssen lernen..." — „Wir brauchen für
unser Denken und Handeln ein neues Wertsystem ..." heißt
es S. 444 im vorletzten Abschnitt unter der Überschrift „Aktivität
". — „Nur eine im Umgang mit Gott selbständig, reich
und fest gewordene Persönlichkeit wird das erfahren", heißt
es S. 446 im letzten Abschnitt unter der Uberschrift „Hingabe
". Sollte uns hier doch wieder das Gesetz den Glauben
verderben? Entscheidende Voraussetzung des Glaubens ist
doch die Einsicht: wir sind Bettler!, die Luther als letztes
Wort aufgeschrieben haben soll.

Mit diesen Fragestellungen sind nicht zuerst und allein die
Verfasser des Glaubensbuches gemeint, sondern die Kirchen
des Bundes insgesamt und wir mit ihnen, die dieses Buch
verantworten. Wie könnte eine Redaktionsgruppe all das
leisten, was im theologischen Gespräch unter Kirchen noch
nicht bewältigt, in der gelebten kirchlichen Gemeinschaft
erst im Werden ist und im Gespräch mit der Welt sich erst
andeutet. Es ist den Verfassern des Glaubensbuches noch
einmal zu danken, daß die Dinge nunmehr auf dem Tisch
sind. Es ist nun zu wünschen, daß man sich in den Gemeinden
ebenso wie bei Fachtheologen und in den Kirchenleitungen
mit vergleichbarer Offenheit wie die Verfasser des

Glaubensbuches den Fragen stellt. Dabei werden wir uns
mit den Verfassern des Glaubensbuches sehr darum zu
mühen haben, daß unsere Sprache nicht so kompliziert und
akademisch bleibt, sondern noch einfacher und klarer wird.

Dem Glaubensbuch „Aufschlüsse" wünschte ich recht bald
eine neue Auflage, die deutlich macht, wie der „Lernprozeß
" weiter gegangen ist. Dabei wünschte ich mir auch eine
klarere Zielvorstellung, wie sich Glaube in unserer bestimmten
geschichtlichen Situation darstellen und aussprechen
kann und soll. Der Glaube der vor Gott Betroffenen (437)
führt doch über das Gespräch und das Lernen hinaus zum
bestimmten Weg mit Gott (Nachfolge) und zur verbindlichen
Antwort vor Menschen.

Schwerin Heinrich Rathke

Anmerkung der Redaktion: Eine ausführliche Besprechung des
„Evangelischen Erwachsenenkatechismus" und zugehöriger Literatur
erscheint in einem der nächsten Hefte der ThLZ.

Bibelwissenschaft

Les sciences bibliques en Pologne apres la Guerre (1945 —
1970). Travail collectif sous la redaction de M. Wolnie-
w i c z. Varsovie: Academie de Theologie Catholique 1974.
300 S. gr. 8°.

Ein Bericht über die bibelwissenschaftliche Arbeit in Polen
seit dem 2. Weltkrieg dürfte viele interessierte Leser finden
, nicht nur bei den katholischen Fachkollegen. Wer wie
der Rez. des Polnischen nicht mächtig ist, jedoch den Weg
von Kirche und Theologie im nächsten europäischen Nachbarland
mit Anteilnahme begleitet, wird dem Autorenkollegium
unter Leitung von Marian Wolniewicz und der Katholischen
Theologischen Akademie Warschau für das verdienstvolle
Unternehmen Dank wissen.

Der Leser erhält vielfältige Informationen: im Eingangskapitel
des Redaktors (7—18) und im Schlußwort von Prof.
J. Stepien (291—300) über die Zentren der biblischen Studien
in Polen, die Katholische Universität Lublin und die Katholische
Theologische Akademie Warschau; die biblische Abteilung
der Gesellschaft für Theologie, die bei ihren jährlichen
Tagungen über 100 Fachexegeten aus Fakultäten, Diö-
zesanseminarien und Klöstern sammelt; die seit 1948 existierende
Zweimonatsschrift „Ruch Biblijny i Liturgiczny"
(Biblische und Liturgische Bewegung); die Milleniumsbibel;
die seit 1959 erschienenen wissenschaftlichen Kommentarreihen
zum Neuen (12 Bände) und zum Alten Testament
(geplant 20 Bände); die seit 1965 herauskommende biblische
Monographienreihe „Sprawy Biblijne" (Biblische Fragen),
die Bibliographie der polnischen Bibelwissenschaft, die
zweibändige Biblische Enzyklopädie und die als Gemeinschaftsarbeit
angelegte neue nachkonziliare Neutestament-
liche Einleitung. Er erfährt etwas, wenn auch nur am Rande,
über den dem Umfang nach damit kaum vergleichbaren Beitrag
der protestantischen Minderheit. Ein Seitenblick fällt
auch auf die von laizistischem und marxistischem Geist getragene
Beschäftigung mit biblischen und biblisch-religionshistorischen
Themen.

Bibelrezeption heißt zunächst Bibelübersetzung, und diese
war, wie der gleichfalls von M. Wolniewicz verfaßte Beitrag
(19—41) zeigt, in einem Land mit strikter katholischer Tradition
nicht ohne Probleme. Maßgebend war für das katholische
Polen die nach der Vulgata gefertigte Ubersetzung des
Jesuiten Jakub Wujek (Krakau 1599). Deren eminente nationale
und sprachgeschichtliche Bedeutung, aber auch das
als dogmatische Entscheidung aufgefaßte Dekret Conc. Tri-
dent. sessio 4 zugunsten der Vulgata blockierten lange Zeit
eine Übersetzung aus der Ursprache. Noch die mit über
2 Millionen Exemplaren am weitesten verbreitete Übersetzung
des Neuen Testaments in der Nachkriegszeit, von
E. Dabrowski 1947 besorgt, beruhte auf der Vulgata und